Warum beschäftigt sich ein Mann mit Politik und Statistik? Sotomo-Gründer Michael Hermann erzählt es uns. Er verrät zudem, weshalb er auf sein Gefühl hört und warum er es nicht mag, wenn es zu viel Testosteron auf einem Haufen hat.

Wir fragen Männer, was sonst nur Frauen gefragt werden. Wir wollen damit einen Dialog über Stereotypen in Gang setzen, zum Nachdenken und Schmunzeln anregen, aber auch Toxizität entlarven.

Am 22. Oktober wählt die Schweiz. Werden es Männer-Wahlen? Verdient hättet ihr es ja mal.

(Lacht.) Das stimmt natürlich, nach 150 Jahren des Wartens hätten es die Männer schon auch einmal verdient. Ernsthaft: Ich gehe eher davon aus, dass sich die Ereignisse mit dem grossen Sprung der Frauen aus dem Jahr 2019 bei den anstehenden nationalen Wahlen im Herbst nicht wiederholen werden.

Warum?

Es war damals eine spezielle Konstellation, die den Wahlen vorausging: Die #MeToo-Bewegung, der Frauenstreik, Helvetia ruft!. Das hat dafür gesorgt, dass Männer systematisch von den Listen gestrichen wurden – auch von Wähler:innen der politischen Mitte. Aktuell habe ich den Eindruck, dass es auf der linken Seite zwar so weitergehen, es aber rechts eher einen Backlash geben könnte. Die Männer möchten «zurückschlagen». Denn so leicht wollen sie sich nicht verdrängen lassen.

Michael Hermann
Das weibliche Geschlecht ist politisch, das männliche ist apolitisch und der Standard.

Die SVP soll gemäss deinen aktuellen Prognosen ja weiter zulegen. Nicht gerade ideal für euch Männer und eure Anliegen rund um die Gleichstellung?

Wenn Grüne verlieren und die SVP gewinnt, dann ist die Chance gross, dass mehr Männer ins Bundeshaus kommen. Das heisst, endlich wieder mehr Gleichstellung für uns Männer. Allerdings sieht es düster aus für die Kita-Offensive und wir müssen dann noch mehr Arbeiten und Geld nachhause bringen (schmunzelt).

Das tut mir leid für euch. Aber eigentlich ist die Diskussion um die Geschlechterverteilung ja eh müssig. Männer haben heute dieselben Möglichkeiten wie Frauen. Trotzdem kandidiert ihr nicht. Fehlt euch der Mut, oder habt ihr einfach kein Interesse an der Politik?

(Schaut leicht irritiert.) Auf der linken Seite könnte man tatsächlich manchmal das Gefühl haben, dass das Interesse der Männer für politische Ämter etwas fehle. Hier setzen sich oft Frauen durch. Spannend zu sehen ist jedenfalls, dass gerade linke Männer häufig ein Männlichkeitsproblem haben.

Wie meinst du das?

Wir haben 2021 eine Studie zu Geschlechtsidentität gemacht, und da hat sich gezeigt: Sowohl linke als auch rechte Frauen haben ein starkes Bewusstsein für das Frausein. Und auch rechte Männer sind sehr klar in ihrem «Männerbewusstsein». Linke Männer hingegen fallen oft zwischen Stuhl und Bank. Sie wollen Feministen sein, verfolgen aber auch männliche Interessen, die sie mehr nicht artikulieren können oder wollen.

Oh je, die Armen!

Das ist tatsächlich nicht ganz einfach. Männlichkeit wird immer noch mit Patriarchat, Macht, Einfluss, Durchsetzungswillen und einer gewissen Grobheit assoziiert. All das wollen linke Männer nicht sein. Aber sie haben kein alternatives Männlichkeitsbild, es fehlt an Vorbildern. Und: Männer haben auch viel weniger gelernt, ihr Mannsein differenziert zu betrachten. Das weibliche Geschlecht ist politisch, das männliche ist apolitisch und der Standard.

Fühlst du dich als Mann von der Politik gesehen?

(Schweigt einen Moment.) Das muss ich mir überlegen. (Schweigt noch mal.) Zahlenmässig sind wir mehr als genug vertreten. Aber unsere Lebensrealität wird zu wenig bis gar nicht thematisiert. Männer in der Politik verstehen sich nicht als männliche Wesen, sondern als Homo Politicus. Darum fühle ich mich als Mann nicht gut repräsentiert.

Welche Männerthemen sollen denn mehr Platz bekommen?

Eine schwierige Frage. Ich habe ja viele Privilegien. Ich finde aber, gerade bei Arbeitsmodellen gibt es Verbesserungsmöglichkeiten. Viele Männer haben das Bedürfnis, flexibler oder weniger zu arbeiten. Wenn wir zudem wollen, dass Frauen, vor allem Mütter, mehr arbeiten, braucht es eine Veränderung des männlichen Mindsets gegenüber der Arbeit und die Möglichkeit, dass Männer weniger arbeiten. Das könnte man politisch diskutieren.

Was brauchen eigentlich Väter, damit sie politisch aktiv sein können?

Die Vereinbarkeit ist ein grosses Thema. Sowohl für Männer als auch für Frauen. Politik, besonders Exekutivämter, beansprucht viel Zeit. In der Öffentlichkeit werden aber noch immer viel öfter Frauen mit solchen Fragen konfrontiert als Männer. Vielen Journalist:innen ist inzwischen bewusst, dass sie nicht nur Frauen nach der Kinderbetreuung fragen sollten, sondern vielleicht auch mal die Männer. Trotzdem blenden sie bei ihnen dieses Thema oft ganz aus. Ich bin der Meinung, dass es wichtig ist, dass sich Eltern – und insbesondere Frauen – weniger für ihre Lebensgestaltung rechtfertigen müssen. So können sie freiere Entscheidungen treffen, was ihre Karriere angeht.

Natürlich verlasse ich mich auf die Zahlen. Aber man braucht auch ein Gespür für Entwicklungen. Ich höre also tatsächlich auch auf mein Gefühl.

Du stellst mit Sotomo die Prognosen für die Wahlen. Machst du das eigentlich nach Gefühl?

(Lacht herzhaft.) Klar, das ist reine Gefühlssache. Natürlich verlasse ich mich auf die Zahlen. Aber man braucht auch ein Gespür für Entwicklungen. Ich höre also tatsächlich auch auf mein Gefühl. Wenn Ergebnisse aus Umfragen beispielsweise meine Intuition nicht bestätigen, dann überprüfe ich sie.

Typisch Mann, stellt seine Gefühle über die Fakten.

Nicht ganz. Aber ich muss sagen, dass mich meine Intuition selten täuscht. Ich habe so schon einige Male Fehler in den Auswertungen gefunden. Das Gefühl ist eine wichtige Kontrollinstanz.

Politik und Statistik sind nicht gerade typische Männerthemen ...

(Lacht.) Naja, die Themen oder einige der Themen, mit denen ich mich befasse, sind vielleicht eher typisch für einen Mann. Aber die Art, wie ich arbeite und Karriere gemacht habe, ist nicht sehr klassisch männlich.

Da bin ich jetzt aber gespannt. Erzähl!

Ich habe mich nie auf einen Job beworben und hatte nie eine richtige Anstellung, ausser an der Uni als Assistent. Danach hat sich mein Weg ergeben. Ich war Doktorand und hatte bereits die Idee für meine Selbstständigkeit. Das war für mich ideal. Auch, weil ich nicht gerne die Ellenbogen ausfahre und mich mit anderen Typen messe. Ich wollte immer einen geschützten Raum, in dem ich arbeiten kann. Ich mag es nicht, wenn es zu viel Testosteron auf einem Haufen gibt und ich mich dann auch noch mit eigenem Testosteron dagegen behaupten muss. In solchen Turnverein-Situationen fühle ich mich nicht wohl. So gesehen bin ich wohl schon eher ein untypischer Mann.

Ich mag es nicht, wenn es zu viel Testosteron auf einem Haufen gibt und ich mich dann auch noch mit eigenem Testosteron dagegen behaupten muss.

Du bist als Politexperte ständig in allen Medien. Wie hast du das angestellt?

(Schmunzelt.) Ich denke, das hat zwei Gründe. Zum einen finde ich es spannend, wenn Leute mir Fragen stellen. Das regt mich zum Denken an. Männer in meinem Alter erklären ja auch gerne mal anderen die Welt. Da bin ich nicht viel anders. Ich tue das aber nur, wenn ich danach gefragt werde. Ich glaube, dann darf ich das (lacht verlegen).

Und der zweite Grund?

Mir liegt das abstrakte Denken nicht. Ich bin gut darin, Dinge konkret zu erklären. Ich versuche, durch Bilder komplexe Dinge verständlich und einfach aufzuzeigen und das Spannende herauszuschälen.

Du willst mir also sagen, dass du nur dank dieser Fähigkeiten so erfolgreich bist, ganz ohne Flirts mit den Chefredaktorinnen und Politberichterstatterinnen?

(Lacht herzhaft.) Es gibt ja nicht viele Chefredaktorinnen und Politberichterstaterinnen …

Aha, sonst wäre ein Flirt eine Option für dich?

Naja, gegen einen Flirt mit einem interessanten Gegenüber habe ich grundsätzlich nichts (lacht).

Gut zu wissen. Brauchst du eigentlich viel Mut, dich zu exponieren und zu allem etwas zu sagen?

(Überlegt und zögert.) Ein bisschen Mut brauche ich schon. Aber ich bin erstaunlich angstfrei.

Wirklich erstaunlich.

Ja, das hat vielleicht damit zu tun, dass ich mich in einer Rolle exponiere. Es hat mich früher mehr Mut gekostet, in eine Gruppe zu kommen, in der ich keine Rolle hatte, und mich dort zu unterhalten, beispielsweise an Partys oder so. Wenn ich eine Rolle habe, bin ich mutiger. Ich rede aber auch sehr gerne über andere Dinge als Politik. Ich führe gerne typische Frauengespräche.

Frauengespräche?

Ich unterhalte mich gerne über Beziehungen und Freundschaften. Beides ist mir sehr wichtig. Viele Männer pflegen ihre Freundschaften nicht und werden im Alter immer einsamer. Sie vergessen, dass Beziehungen nicht einfach da sind. Man kann sie nicht konservieren. Wenn man sie erhalten will, muss man sie pflegen. Und das tue ich.

Anderes Thema: Was ist dein Lieblingslook fürs Fernsehen?

Ein dunkelblauer Anzug und ein dunkles Hemd.

Dein Beauty-Ritual vor einem TV-Auftritt?

Ich habe kein Ritual, ausser, dass ich mich etwas eleganter anziehe. Und alles andere, das Schminken und so, wird mir dann in der Maske aufgezwungen (lacht) oder für mich erledigt.

Und im Alltag, was tust du für deine Schönheit?

Bewegung und Sport. Ich finde, gerade mit zunehmendem Alter ist es wichtig, dass man agil und beweglich bleibt.

Das Alter scheint dich zu beschäftigen.

Ich bin jetzt 51. Wenn ich mir überlege, dass ich in 20 Jahren 71 Jahre alt bin, dann macht mir das schon irgendwie zu schaffen. Vor allem, dass mein Restleben immer kürzer wird, beschäftigt mich. Ausserdem finde ich, es ist eine grosse Aufgabe, in Würde zu altern. Ich möchte das gut machen.

Zum Abschluss noch mal zur Politik: Welchen Männeranteil wünschst du dir nach den Wahlen im Herbst im nationalen Parlament?

50 Prozent.

Wir uns auch!

Dann sind wir uns ja einig.