Was ist «Status S»? Wie werden Geflüchtete hierzulande untergebracht? Wie koordinieren sich der Flüchtlingsapparat des Staatssekretariats für Migration und die zahlreichen privaten Helfer:innen? Teil 2 der Serie «Frauen auf der Flucht» blickt hinter die Kulissen der grössten Fluchtbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg, hinterfragt das System und sucht nach besseren Lösungen – gerade auch für Frauen.
«Status S» – klingt wie ein kalter Bürokratie-Parameter, doch für Fatima ist es das wärmste Wort der Welt. «Es anerkennt, dass in unserer Heimat schreckliches Unrecht geschieht. Und es bedeutet Solidarität und signalisiert den Willen, uns Ukrainerinnen zu helfen», sagt sie. Fatima ist mit ihrer Tochter Diana aus Kyiv geflüchtet und nur dank ihrer Verwandten Gita sicher in Zürich angelangt. «Viele andere hätten ihn auch verdient», fügt sie an. So wie Gita, die vor 20 Jahren schwer traumatisiert dem Tschetschenienkrieg entkam. Hier jedoch allein als junge Frau um ein Aufenthaltsrecht bangen musste.
Nicht wieder zurück in Bunker
Fatima und Diana konnten nicht auf Dauer bei Gita bleiben. «Wir schliefen in ihrem Wohnzimmer, auf der Couch und einer ausgelegten Matratze», schildern sie ihre Ankunft. «Drei Wochen verbrachten wir dann im BAZ Embrach, provisorisch einquartiert, während sie kantonal ein Platz für uns suchten», erzählen sie weiter. Das Bundesasylzentrum wurde indessen fast vollständig von Bewohner:innen anderer Nationalitäten geräumt.
Nina, die es mit ihrer schwerkranken Mutter nach vielen Stationen in die Schweiz geschafft hat, berichtet über ihre ersten Tage: «Wir schliefen bei meiner Freundin Veronika. Obwohl ihre Wohnung natürlich viel zu klein für uns alle war. Aber wir konnten einfach nicht wieder zurück in einen Bunker, der uns an den Krieg erinnerte.» Lieber harren sie nun dort aus, bis eine andere Art von Unterkunft frei wird. Als sie sich registrierten, wurden sie informiert, dass es für sie auch weitere Möglichkeiten gebe.
Für die Vermittlung von Unterkunftsplätzen ist die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), als Dachverband der im Asylbereich tätigen Hilfswerke, zuständig. Sie erfüllen dieses Mandat in enger Zusammenarbeit mit den Kantonen. Die Plätze befinden sich in kantonalen Strukturen oder bei Privatpersonen, die ihre Hilfe angeboten haben. Dafür arbeitet die SFH eng mit der Partnerorganisation Campax zusammen, die Hilfsangebote der Bevölkerung zusammengetragen hat. Inzwischen wurden bereits mehr als 115’000 Betten in rund 31’000 Haushalten und 700 Hotels registriert. Die Prüfung dieser Angebote braucht Zeit. Rund 3’000 Geflüchtete konnten allerdings schon untergebracht werden.
Darunter auch Nina und ihre Mutter. «Schon nach wenigen Tagen haben wir den Anruf erhalten, dass es eine passende Gastfamilie für uns gebe. Ein junges Paar mit Kind – auch in Stallikon, wo meine Freundin wohnt. Wir waren so erleichtert!», erzählen sie heute noch sichtlich berührt.
Auch für Fatima und Diana fand sich eine längerfristige Bleibe: ein sporadisch als Homeoffice genutzter Zweitwohnsitz. «Selten ist er mal tagsüber dort, unser Gastgeber. Und abends und nachts sind wir immer unter uns», sagen sie. Jetzt können sie ihren Alltag selbst organisieren: keine fixen Strukturen mehr, keine fremdbestimmten Zeiten fürs Essen und Ausgehen. Sie haben etwas Kontrolle über ihr Leben zurückgewonnen.
Nicht für alle finden sich Plätze
Viele in die Schweiz geflüchtete Ukrainer:innen haben hier Freund:innen oder Verwandte und möchten in deren Nähe unterkommen. Dies wird beim Match-Making berücksichtigt. Der Medienverantwortliche von Campax, Christian Messikommer, berichtet: «Räumliche Nähe zu Freunden und Verwandten, städtisches oder ländliches Umfeld, Sprachregion, Nähe zu medizinischen Einrichtungen, Familien mit etwa gleichaltrigen Kindern, vorhandene oder mitgebrachte Haustiere, Nähe zu Spielplätzen, Schulen und Kindergärten. Es gibt jetzt, wo die Auswahl noch gross ist, für (fast) alles eine Lösung.»
Gerade aber für Frauen mit Kleinkindern ist es schwierig, passende Unterbringungen zu finden. Deshalb suchen private Vereine wie AnnaHelps ergänzend zur SFH nach adäquaten Wohnräumen. «Die meist traumatisierten Mütter brauchen Rückzugsmöglichkeiten und viel Platz für sich und ihre Kinder. Am besten in eigenen vier Wänden. In vielen Privathaushalten funktioniert ein gutes Zusammenleben nur sehr bedingt. Es braucht viel Toleranz seitens der Gastfamilie. Bestehende Haushaltsregeln lassen sich mit den neuen Gästen oft nicht aufrecht halten», erklärt Anna Klub, selbst Ukrainerin und Gründerin von AnnaHelps. Sie und ihr Team fahren mit Bussen besonders gefährdete Frauen und Kinder aus der Ukraine und begleiten diese bei der Registrierung, Wohnungssuche und Jobvermittlung. «Gute Erfahrungen haben wir mit Hotels gemacht. Oder toleranten WG-Situationen. Im Idealfall finden wir leerstehende Wohnungen. Asylzentren, Zivilschutzanlagen und Notschlafstellen – diese Art von Unterbringung erachten wir aber gerade für Mütter und Kinder für gänzlich ungeeignet und setzen alles daran, bessere Lösungen zu bieten», führt Anna aus.
Werden Frauen speziell geschützt?
«Die Erwartungen an uns sind enorm. Wir dürfen keine Fehler machen», sagt die Direktorin der SFH, Miriam Behrens. Jede Privatplatzierung wird im Einzelfall beurteilt. Gerade auch hinsichtlich Gendersensibilität. «Frauen (mit oder ohne Kinder) werden entweder bei alleinstehenden Frauen, Paaren, Familien mit Kindern oder in Hotels platziert. Alleinstehende Männer werden nur in seltenen Fällen berücksichtigt; etwa, wenn eine separate Wohnung im gleichen Haus zur Verfügung steht», informiert Christian Messikommer. «Zudem verlangen wir immer einen Strafregisterauszug», bestätigt Miriam Behrens.
Das Risiko, Opfer einer Straftat zu werden, besteht auch hierzulande. Von mehreren hundert Fällen pro Jahr, die die Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration FIZ betreut, betrifft rund ein Drittel Migrantinnen. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) hat inzwischen eine mehrsprachige Informationskampagne auf die Beine gestellt.
Insbesondere bei der Unterbringung bei Privaten ist das Risiko von Menschenhandel, sexueller Ausbeutung oder Ausbeutung der Arbeitskraft höher. Davor warnte der Generalsekretär der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektor:innen, Florian Düblin, bereits an einer Pressekonferenz Mitte März. Wie er heute elleXX erklärt: «Damit wollte ich die Bevölkerung und involvierten Mitarbeitenden sensibilisieren. Es ist sinnvoll, dem von den Behörden vorgesehenen Verfahren zur privaten Unterbringung zu folgen. Darin werden die Gastfamilien geprüft.»
Unübersichtliche Sonderlösungen
Nina zeigt elleXX einen zweiseitigen Ausdruck mit «Informationen für Geflüchtete und Gastfamilien». Darauf aufgeführt sind alle für sie wichtigen Kontaktstellen: SFH-Helpline, Notrufnummer 112, Rechtsdienst Asylex, Migesplus-Gesundheitsinformationen, Pro Mente Sana, Gratis-Telefonie, SRK-Suchdienst oder diverse Infokanäle des SEM. Doch reichen Broschüren aus? Miriam Behrens gibt zu, dass es weitere Schutzmassnahmen braucht: «Wir befinden uns noch in der Aufbauphase. Es braucht Zeit, bis wir mit allen Parteien die Prozesse der Nachbetreuung definiert und eingespielt haben.» Weniger diplomatisch ausgedrückt: Jeder Kanton verfolgt einen Sonderweg. Dies ergibt wiederum ein hochkomplexes förderales Gemisch aus Einzellösungen. «Stand heute ist, dass wir in zwölf Kantonen in der Hauptverantwortung bleiben. Unsere angeschlossenen Hilfswerke übernehmen dort die Begleitung. In sieben weiteren Kantonen betreut eigenes Personal. Und bei den restlichen Kantonen gibt es eine Mischform. Da arbeiten unsere Hilfswerke zusammen mit den Sozialdiensten.»
Nun gilt es viel aufzuholen. «Zuallererst sind Besuche geplant!», sagt sie bestimmt. Dies habe man aus Personal- und Zeitmangel bisher nur punktuell leisten können. Gleichzeitig schafft SFH ein Beratungsangebot. Zu Alltagsfragen, den rechtlichen Aspekten im Asylverfahren oder dem interkulturellen Austausch. «Wir gleisen bereits erste Webinars dazu auf», führt sie an. «Dann wollen wir die Gastfamilien untereinander vernetzen, ihren Austausch fördern», erklärt sie weiter. «Auch arbeiten wir daran, Freiwillige rund um eine Gastfamilie zu versammeln. Kinderbetreuung, Nachhilfestunden, Einkäufe erledigen oder Freizeitbeschäftigungen organisieren – dies alles gibt den Gästen Sicherheit und fördert die Integration im Quartier. Gemeinschaftsbildung ist das Ziel», erklärt sie die Vision. Dazu gehört das Gastfamilienprojekt im Syrienkrieg. Nun erhofft sich die die SFH, mit einer Blaupause den Flüchtenden zu helfen.
Sind flüchtende Frauen zusätzlichen Risiken ausgesetzt? Wie gross ist die Gefahr von Ausbeutung, Missbrauch oder gar Menschenhandel? In Teil 1 der Serie «Frauen auf der Flucht» haben wir mit Betroffenen gesprochen und beschreiben die Not entlang der gesamten Fluchtroute.