Viele aus der Ukraine Geflüchtete haben bis auf ihr Leben alles zurückgelassen. Sie brauchen Essen, Kleidung, Unterbringung – und Geld. Was wird vom Staat bezahlt? Wie können sie langfristig auf eigenen Beinen stehen? Wir haben nachgefragt im dritten und letzten Teil der Serie «Frauen auf der Flucht».

«Ich lebe hier ganz ohne Geld», sagt Nina bei unserem ersten Gespräch. In der Eile der Flucht mussten sie und ihre Mutter alles zurücklassen. Wohnen und essen können sie bei ihrer Gastfamilie, die Kleidung erhalten sie von Hilfswerken. Auch Fatima und ihre Tochter Diana warten noch auf die versprochene Sozialhilfe.

Finanzielle Sorgen

Doch das Recht auf Sozialhilfe sofort nach der Registrierung der Geflüchteten besteht nur in der Theorie. Die Praxis sieht anders aus. Zuerst prüft das Staatssekretariat für Migration die definierten Kriterien: Nur «besonders Schutzbedürftige» erhalten den Status S und die damit verbundenen Finanzstützen. Die Prüfung dauert rund vier Wochen: «Alles, was wir tun können, ist Warten», sagt Nina. «Wir wissen nicht, ob, wann und wie viel Sozialhilfe wir bekommen», fügt sie an. Die Ungewissheit zehrt an ihr.

Nina, Geflüchtete
Ich lebe hier ganz ohne Geld.

«In manchen Gemeinden erhalten Geflüchtete sofortige Nothilfe. Andernorts nicht», erklärt Anna Klub, die Gründerin von AnnaHelps. Die NGO ergänzt für ukrainische Frauen und Kinder in prekärer Lage das staatliche Angebot, wenn die Behörden nicht nachkommen. «Einige Gemeinden warten zuerst eine Kostengutsprache des Kantons ab. Und diesem wiederum sind so lange die Hände gebunden, bis er vom Bund die offizielle Zuweisung erhält.»

Sobald Fatima, Diana, Nina und ihre Mutter über den Status S verfügen, können sie rund 400 Franken Sozialhilfe im Monat erwarten. Reicht das? «Wenn ich mein gewohntes Leben weiterführen will, reicht es nicht. Hier ist alles teuer», sagt Nina. «Ich möchte mein eigenes Geld verdienen, unabhängig sein und wieder eigenverantwortlich leben», erklärt sie weiter. Auch für Diana ist klar: «Ich will schnellstmöglich eine Arbeitsstelle finden. Die Untätigkeit lässt mich nur an den Krieg denken und macht mich verrückt.» Anna Klub schätzt: «Über die Hälfte der Geflüchteten können und wollen sofort arbeiten. Mit dem für Hilfskräfte üblichen Einkommen von 50'000 Franken jährlich können sie immerhin einen Grossteil des Lebens selbst finanzieren.»

Diana, Geflüchtete
Ich will schnellstmöglich eine Arbeitsstelle finden. Die Untätigkeit lässt mich nur an den Krieg denken und macht mich verrückt.

Sprachbarriere ist eine Herausforderung

«Ich versuche momentan noch herauszufinden, wer mich überhaupt ohne Deutschkenntnisse einstellen will», erzählt Diana konsterniert. Die fehlenden Sprachkenntnisse sind die grösste Barriere, um in der Schweiz Fuss zu fassen. Die Mehrheit der Geflüchteten sprechen ausschliesslich Ukrainisch und Russisch.

Der Bund bezahlt den Kantonen pro Person und Jahr rund 18’000 Franken für Unterkunft, Sozialhilfe und medizinische Versorgung. Geld für Integrationsleistungen gibt es keines, weil der Status S rückkehrorientiert ausgestaltet ist. Bundesrätin Karin Keller-Sutter sagte nach einer Absprache mit den Sozialpartnern Mitte Märzو bei den Geflüchteten handle es sich überwiegend um Frauen und man gehe davon aus, dass diese irgendwann wieder in die Ukraine zurückkehren wollten. Den Kantonen steht es frei, auf ihre Kosten Sprachkurse und weitere Förderprogramme anzubieten. Das machen auch einige. Der Druck auf den Bund wurde dennoch zu gross, und seit letzter Woche ist entschieden: Die Kantone erhalten zusätzliche 3’000 Franken zweckgebunden für die Sprachförderung.

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Schwarzarbeit als Option

«Ich würde im Moment jeden Job annehmen. Alles ist besser als nichts», gesteht Diana. Die Schwarzarbeit ist eine Option für Menschen, die in der Schweiz Zuflucht gesucht haben.

Für den Schutz vor Missbrauch und Sozialdumping der Geflüchteten hat der Bundesrat für den geltenden Status S dieses Problem antizipiert und deshalb besondere Bewilligungspflichten für Arbeitgeber:innen eingeführt. Die Betriebe müssen bei der Anstellung von Ukrainer:innen ein Gesuch bei der kantonalen Arbeitsmarktbehörde einreichen. Geprüft wird, ob der Lohn und die Arbeitsbedingungen orts- und branchenüblich sind sowie der Qualifikation und dem Stellenprofil entsprechen.

«Ich würde im Moment jeden Job annehmen. Alles ist besser als nichts», gesteht Diana. Die Schwarzarbeit ist eine Option für Menschen, die in der Schweiz Zuflucht gesucht haben.

Fatima überlegt sich, wie sie ihre Tätigkeit als Anwältin freischaffend aufnehmen könnte. Der Bund hat besonders für die selbstständige Erwerbstätigkeit die Hürden gesenkt. Lediglich finanzielle und betriebliche Zulassungsbedingungen wie Startkapital oder genügendes voraussichtliches Einkommen sind durch die Kantone zu prüfen. Die sonst geltenden Kontingente kommen aber beispielsweise nicht zur Anwendung. Solche Erleichterungen helfen, um im Bürokratie-Dschungel zurechtzukommen. Zu den Hauptfaktoren, die Schwarzarbeit begünstigen, zählt unter anderm die Regeldichte. Die vielen komplizierten staatliche Vorschriften verhindern oftmals das korrekte Vorgehen, oft auch aus Unwissen.

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Schattenwirtschaft und Schwarzarbeit sind zudem durch Nachfrage getrieben. In der Schweiz gibt es eine Angebotslücke für weniger qualifizierte Stellen. Bei Schweizer:innen unbeliebte Jobs werden sehr oft von Ausländer:innen, Asylsuchenden und Sans-Papiers mit wenig Verhandlungsmacht besetzt. Ukrainer:innen «schwarz» anzustellen, scheint sich deshalb für Arbeitgebende zu lohnen: Für sie müssen keine Sozialversicherungs- und Steuerabgaben geleistet werden, und es ist möglich, die Personalkosten mit einem Dumpinglohn zu drücken. Typische Branchen sind die Hotellerie und Gastronomie, das Baugewerbe, die Landwirtschaft, das Gesundheitswesen und die Pflege. Generell kommt Schwarzarbeit eher bei Dienstleistungen vor, die nicht komplett in Tieflohnländer ausgelagert werden können – häufig findet sie deshalb auch in Privathaushalten statt.

Arbeiten die Ukrainer:innen schwarz, sind sie nicht versichert, zahlen nicht in die Vorsorgesysteme ein und sind insbesondere nicht vor Ausbeutung geschützt. In einzelnen Kantonen laufen bereits Abklärungen bei Verdachtsfällen, bestätigt der Generalsekretär der Konferenz der Justiz- und Polizeidirektor:innen, Florian Düblin.

Ohne Unterstützung geht es nicht

Aufgenommene Ukrainer:innen sollen möglichst rasch die finanzielle Unabhängigkeit erreichen. Doch das geht auch mit Ängsten einher: «Angenommen, ich finde einen Job: Fällt dann die Sozialhilfe weg?», fragt sich Nina. Die Sozialhilfe wird solange gezahlt, wie der Lohn nicht ausreicht, um die Existenz zu sichern. Finanziell lohnt es sich, eine Anstellung zu finden. Ukrainische Stellensuchende können sich bei den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren anmelden. Sie erhalten dort eine spezialisierte Beratung. Das wollen Diana und Nina machen. Vorausgesetzt sind Grundkenntnisse in Deutsch oder neu auch in Englisch, was die Jüngeren der vier leidlich beherrschen. Auch Kurse für den Berufseinstieg, Beschäftigungsprogramme in verschiedenen Branchen und Deutschunterricht stehen ihnen damit offen. Fatima und Ninas Mutter können über die Integrationsangebote des Kantons Zürich Deutschkurse besuchen.

Ukrainische Stellensuchende können sich bei den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren anmelden. Sie erhalten dort eine spezialisierte Beratung. Vorausgesetzt sind Grundkenntnisse in Deutsch oder neu auch in Englisch. Angeboten werden Kurse für den Berufseinstieg, Beschäftigungsprogramme in verschiedenen Branchen und Deutschunterricht.


«Unser Ziel ist, dass Geflüchtete möglichst schnell für sich selbst sorgen und ihre eigenen Entscheidungen treffen können. Der Schlüssel dazu ist die Chance auf eine fair bezahlte Arbeit», sagt Anna Klub. «Unsere Unterstützung folgt dem Grundsatz der Hilfe zur Selbsthilfe», erklärt sie weiter. Sie helfen bei der Stellensuche, gestalten Lebensläufe und begleiten die Frauen an Bewerbungsgespräche. Die meisten der in ihrer Obhut stehenden Frauen konnten sie so vermitteln. Anna Klub fasst zusammen: «Es ist wichtig, dass jemand die Brücke von Ankunft bis Aufnahme der Erwerbstätigkeit schlägt. Die öffentliche Hand kann dies leider nur sehr begrenzt übernehmen.»