Zugegeben, es dauert noch eine Weile. Fast ein Jahr, um genau zu sein: Am 22. Oktober 2023 finden in der Schweiz die nächsten nationalen Wahlen statt. Dann entscheidet das Stimmvolk, wer die folgenden vier Jahre im National- und Ständerat sitzt – und die Politik der Schweiz macht.
Bereits heute wird der Grundstein für die Frauen im Parlament gelegt: Aktuell suchen die Parteien ihre Kandidat:innen für die Wahllisten. Jetzt müssen sich Frauen in Position bringen. «Die Parteien bereiten sich derzeit auf die Wahlen vor. Frauen, die mitmischen möchten, müssen jetzt aktiv werden», sagt Kathrin Bertschy. Sie ist selbst Grünliberalen-Nationalrätin und eine der Macherinnen von «Helvetia ruft!», einer überparteilichen Bewegung, die mehr Frauen in die Politik bringen will.
Verändert der Frauenanteil die Themen und die Debatten?
Aktuell sind 84 der 200 Nationalratsmitglieder Frauen. Das ist ein Anteil von 42 Prozent und gleichzeitig ein absoluter Rekord in der Geschichte der Schweiz. Noch nie sassen so viele Frauen in der grossen Kammer wie seit den Wahlen 2019. Damals sprang ihr Anteil von 32 auf 42 Prozent. Auch im Ständerat trifft man derzeit so viele Frauen wie nie zuvor: Allerdings sind sie mit 28 Prozent (13 von 46) deutlich schlechter vertreten.
Der höhere Frauenanteil im Parlament hat die Politik laut Kathrin Bertschy verändert: «Es gibt tendenziell mehr Raum für Themen, die in der Vergangenheit häufiger von Frauen eingebracht wurden. Gleichzeitig werden diese Themen seriöser und respektvoller behandelt. Sie werden nicht mehr als Nischenproblem abgetan oder verniedlicht.» Als Beispiel nennt Bertschy das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Hier habe der Nationalrat ausführlich über Lösungen diskutiert, sogar im Rahmen einer Sonderdebatte, und eine parlamentarische Initiative zur Finanzierung von Kita-Plätzen durch den Bund auf den Weg gebracht. Ein weiteres Beispiel ist der Vorstoss zur Gendermedizin, der ursprünglich als Petition in der Frauensession 2021 eingereicht wurde. Der Nationalrat verlangt, dass der Bundesrat ein nationales Forschungsprogramm zum Thema weibliche Gesundheit lanciert, weil Frauen andere Krankheiten und Symptome entwickeln und medizinisch teilweise fehlbehandelt werden. Der Vorstoss ist an den Bundesrat überwiesen worden. «Natürlich gibt es noch immer einzelne Politiker, die solche Themen nicht ernst nehmen oder belächeln. Aber es sind eben eher nur noch Einzelpersonen und nicht mehr grosse Gruppen», stellt Bertschy fest.
Es stehen zentrale Geschäfte an
Auch viele der Anliegen aus der Frauensession 2021 bekommen Gehör. So sind von den 23 eingereichten Petitionen inzwischen fünf erfüllt und sechs auf sehr gutem Weg. Neun werden beraten oder traktandiert. Nur drei wurden bisher abgelehnt. Unter anderem muss der Bund eine Ausweitung und Aufwertung der Erziehungs- und Betreuungsgutschriften prüfen. Er wurde beauftragt, regelmässige schweizweite Präventionskampagnen gegen häusliche, sexualisierte und geschlechtsbezogene Gewalt durchzuführen. Und er muss gegen seinen Willen einen Bericht zum Frauenanteil in den MINT-Berufen vorlegen. Das Anliegen im Hinblick auf die Revision des Sexualstrafrechts hin zur Zustimmungslösung – «Nur Ja heisst Ja» – wurde von der Rechtskommission des Nationalrats aufgenommen.
Auch in Zukunft sind die Stimmen der Frauen gefragt. Auf den Traktandenlisten der Zukunft stehen unter anderem die Revision der beruflichen Vorsorge, die Individualbesteuerung oder die Finanzierung der familienergänzenden Betreuung.
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Die Partei ist wichtiger als das Geschlecht
Etwas kritischer eingestellt ist Isabelle Stadelmann, Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Bern. Es sei schwierig, festzustellen, wie der Frauenanteil in einem Parlament die politische Arbeit und die Entscheidungen effektiv beeinflusse. Man könne nicht einfach früher und heute vergleichen, erklärt sie: «Zwischen der letzten Legislatur und der laufenden hat sich nicht nur der Frauenanteil im Parlament verändert, sondern auch andere Dinge. Zum Beispiel sind Gleichstellungsanliegen oder Klimafragen generell wichtiger geworden in der Bevölkerung, auch bei den Männern.» Wichtiger als das Geschlecht sei für Entscheidungen oft die Partei. So hätten Studien gezeigt, dass die Unterschiede zwischen den Parteien grösser seien als jene zwischen den Geschlechtern. «Das hängt mit einem wichtigen Punkt zusammen: Es gibt nicht die Frauen. Die Unterschiede unter den Frauen sind gross, genauso wie sie es auch unter den Männern sind.»
«Realistische Ziele» für die Wahlen 2023
Trotzdem erachtet auch Stadelmann Diversität und eine ausgeglichene Geschlechterverteilung in einem politischen Gremium als wichtig. Nur so seien unterschiedliche Gruppierungen und Interessen repräsentiert und präsent. «Gerade weil Frauen eine heterogene Gruppe sind, reicht es eben nicht, dass wenige oder einzelne von ihnen die Frauen vertreten. Es braucht angemessen viele, um unterschiedliche Fraueninteressen zu vertreten und zu repräsentieren», so Stadelmann. Die Forderung nach einer egalitären Frauenvertretung sei deshalb unabhängig davon, ob mehr Frauen am Schluss zu anderen Entscheiden führen oder nicht.
Auch Helvetia ruft! will nicht mehr Frauen im Parlament, um bestimmte Themen zu fördern. Die Bewegung strebt nach einer «Verbesserung der Demokratie». «Ein Parlament soll die Bevölkerung repräsentieren. Die Bevölkerung wiederum soll sich mit den politischen Gremien und deren Entscheidungen identifizieren können. Damit das gelingt, müssen Frauen und Männer zu gleichen Teilen vertreten sein und politische Entscheidungen treffen», sagt Kathrin Bertschy. Ausserdem wisse man aus der Unternehmenswelt nachweislich, dass divers zusammengesetzte Gremien bessere Entscheidungen treffen. Diese Erkenntnis lasse sich auch auf die Politik ummünzen. Für die nationalen Wahlen 2023 hat sich Helvetia ruft! «klare und realistische» Ziele gesteckt, führt Bertschy aus: «Wir wollen den Frauenanteil im Nationalrat weiter steigern und näher an die 50-Prozent-Marke bringen. Im Ständerat sind vier zusätzliche Sitze realistisch.»
SP, Grüne und GLP haben heute 50 Prozent Frauen und mehr
Und was sagen die Parteien dazu? In einer Medienaktion haben die Parteipräsident:innen versprochen, ja sogar darauf gewettet, dass ihre Bundeshausfraktionen weiblicher werden. Bei den linken Parteien, SP und Grüne, ist eine ausgeglichene Verteilung zwischen den Geschlechtern bereits heute Realität. Mehr noch: Bei der SP sind 24 von 39 Nationalrät:innen weiblich. Im Ständerat sind drei von acht Sitzen von Frauen besetzt. Die Frauenquote der SP liegt damit über beide Kammern bei knapp 58 Prozent. Im Ständerat könnte die Partei ihren Frauenanteil bei den Wahlen noch steigern, wie SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer sagt: «Für abtretende Ständeräte stehen kompetente und engagierte Frauen bereit.»
61 Prozent beträgt der Frauenanteil der Grünen in der Bundeshausfraktion. Im Ständerat sind sogar vier von fünf Vertreter:innen Frauen. «Wir wollen weiterhin mindestens 50 Prozent Frauenanteil halten. Wir gehen aber davon aus, dass unser Frauenanteil nach den Wahlen 2023 wieder höher sein wird, weil ein grosser Teil der Fraktion 2019 neu gewählt wurde und wieder antreten wird», sagt Parteipräsident Balthasar Glättli. Sowohl Grüne wie auch SP setzen seit jeher auf ausgeglichene Listen.
Eine weiterhin «ausgeglichene Vertretung» streben die Grünliberalen an. Für sie sitzen acht Männer und acht Frauen im Nationalrat. Die GLP nutzt sogenannte Zebra-Listen: Frauen und Männer wechseln sich in der Reihenfolge auf der Liste ab. «Dadurch kommen Kandidatinnen automatisch auf die guten Plätze», sagt Parteipräsident Jürg Grossen. Im Ständerat ist die GLP aktuell nicht vertreten. 2023 will sie dort aber wieder hin und mit «prominenten Kandidatinnen» antreten.
Mitte und FDP nehmen sich einiges vor, die SVP sieht's anders
Vermehrt in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt ist die Geschlechterfrage bei den beiden bürgerlichen Parteien Mitte und FDP. Mitte-Präsident Gerhard Pfister setzt auf die Listengestaltung. Man wolle insgesamt mehr Frauen für eine Kandidatur motivieren als bei den Wahlen 2019. «Wir streben ausgeglichene Listen an, insbesondere bei den aussichtsreichen Positionen», so Pfister. Aktuell sind sieben der 28 Nationalratsmitglieder der Mitte Frauen sowie fünf der 14 Ständerät:innen. Der Frauenanteil der Mitte beträgt damit knapp 29 Prozent. Ob die Mitte nach den nächsten Wahlen tatsächlich weiblicher wird, ist fraglich. Denn sowohl im National- wie auch im Ständerat treten laut Pfister Stand heute die meisten Bisherigen wieder an. «Das führt dazu, dass wir vor allem bei möglichen Sitzgewinnen auf Frauen setzen», so der Mitte-Präsident.
40 Prozent Frauen in der Bundeshausfraktion nach den Wahlen 2023: Diese Wette hat FDP-Präsident Thierry Burkart im Rahmen der Medienaktion mit Helvetia ruft! abgeschlossen. Ein ambitioniertes Ziel. Aktuell liegt der Frauenanteil seiner Partei bei 29 Prozent. Zwar sind 38 Prozent der FDP-Nationalratsmitglieder Frauen (11 von 29). Aber unter den zwölf Ständerät:innen ist nur eine einzige Frau. Burkart will denn auch im Ständerat «zulegen». Bekannt seien bereits vielversprechende Frauenkandidaturen in Zürich, St. Gallen, Schwyz und Bern. Auch in weiteren Kantonen seien Frauenkandidaturen geplant.
Keine Ziele steckt sich die SVP. Die grösste Fraktion im Bundeshaus hat aktuell gleichzeitig den kleinsten Frauenanteil: Nur 14 der 55 Nationalratssitze werden von Frauen besetzt. Die sieben Ständeratssitze sind komplett in Männerhand. Damit kommt die SVP in ihrer Bundeshausfraktion auf eine Frauenquote von knapp 23 Prozent. Parteipräsident Marco Chiesa sagt, er mache keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern. Er habe daher diesbezüglich auch keine Ziele. «Mein Ziel ist, dass fähige, motivierte und kompetente Frauen und Männer aus meiner Partei in die Bundeskammern gewählt werden», so Chiesa.
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Und wie kommt man nun auf eine solche Liste?
Wenn du dich politisch engagieren möchtest oder ein politisches Amt anstrebst, ist es ideal, jetzt aktiv zu werden. Unsere Tipps:
- Such dir eine Partei aus, die zu dir passt. Wofür die Parteien einstehen, findest du auf den jeweiligen Websites. Eine Übersicht über alle Parteien findest du hier. Kathrin Bertschy betont, dass man sich durchaus auch für eine Partei entscheiden kann, die nicht zu 100 Prozent die eigene Meinung abbildet. «Das ist manchmal sogar spannend, denn da kann man auch innerhalb der Partei noch etwas bewegen.»
- Wenn du Mitglied einer Partei geworden bist oder schon bist, solltest du möglichst bald auf dich und deine Ziele aufmerksam machen. Melde dich bei der Parteileitung, stell dich persönlich vor und sag, wo du hinwillst. «Wir raten dazu, diesen Schritt gemeinsam mit einer Kollegin zu machen, die vielleicht auch in die Politik will. Das hilft vielen», weiss Bertschy aus Erfahrung.
- Setz dich dafür ein, dass du auf die Liste für die Nationalratswahlen 2023 kommst und sei dabei nicht bescheiden. Wenn du bereits politische Erfahrungen hast, solltest du dafür sorgen, dass du auf einen guten Platz weit vorne kommst. «Gerade Frauen, die schon ein politisches Amt haben, haben gute Chancen. Haltet euch nicht vornehm zurück», betont Kathrin Bertschy. Aber auch ohne politische Erfahrungen kannst du bei den Wahlen 2023 antreten. Äussere deine Wünsche und Forderungen selbstbewusst und setz dich gemeinsam mit anderen Frauen für eine ausgewogene Listengestaltung ein. «Unsere Erfahrung zeigt, dass viele Kantonalparteien und Sektionen froh sind, wenn sich Frauen aktiv melden», weiss Bertschy.
- Vernetz dich, tausch dich aus, frag nach Hilfe und lass dich coachen. Zum Beispiel von Helvetia ruft!. Die Bewegung bietet ein Mentoringprogramm an. Dabei geht es um die Themen Wahlkampf, Auftrittskompetenz, Medienarbeit und Social Media. Die Kurse starten ab Januar.
Ganz allgemein gilt: Es ist nie zu spät, sich politisch zu engagieren. Im Gegenteil: «Jetzt ist der absolut richtige Zeitpunkt, um eine politische Karriere zu starten oder zu beschleunigen», so Bertschy. Die nationalen Wahlen können auch ein Sprungbrett sein. Denn gewählt wird nicht nur im nächsten Jahr und nicht nur auf Bundesebene, sondern zeitversetzt auch in den Kantonen. Du kannst dich also jetzt in Position bringen für ein nationales, ein kantonales oder ein Amt in der Gemeinde. Und für eine ausgewogenere Demokratie.