Wir wollen, dass Politik weiblicher wird. Darum stellen wir hier in Kooperation mit «Helvetia ruft!» Kandidatinnen aus unterschiedlichen Kantonen und Parteien vor. Wir machen damit keine Wahlempfehlung. Wir wollen zeigen, dass es in allen Parteien und Kantonen Kandidatinnen gibt, die man wählen kann. In unserem letzten Artikel zum Thema stellen wir dir Christine Bulliard-Marbach, Tamara Funiciello, Tamara Alù und Florence Brenzikofer vor.
Christine Bulliard-Marbach (64), Mitte-Kandidatin, Ueberstorf, Kanton Freiburg
Welches Anliegen treibt dich in den Nationalrat?
Politik heisst für mich, Lösungen für gesellschaftliche Probleme zu finden. Dafür suche ich die Zusammenarbeit über die Partei- und Sprachgrenzen hinweg.
Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie steht es in der Schweiz um die Gleichstellung?
7: In den letzten Jahrzehnten hat sich viel getan. Doch bei der Lohngleichheit und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind wir noch nicht am Ziel.
Welches Thema wird dein Dossier?
Die Kinderrechte sind für mich ein zentrales Anliegen. In der kommenden Legislatur will ich mich für Lösungen für Wohnen und Pflege im Alter einsetzen.
Wann wirst du als Politikerin unbequem?
Abschätzige Kommentare und despektierliches Verhalten machen mich wütend. Die Menschen sollten sich mit Respekt begegnen, das gilt für die Politik wie im Alltag ganz allgemein.
Was sagst du zu folgenden Stichworten
Vereinbarkeit von Beruf und Familie: Die Familien sind für unsere Gesellschaft von grossem Wert, denn sie sind die Wiege künftiger Generationen. Bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie gibt es aber nach wie vor grosse Herausforderungen: Wir brauchen mehr bezahlbare Krippenplätze und flexible Arbeitsbedingungen. In Bern engagiere ich mich weiterhin für starke Familien und eine Jugend mit Zukunft.
Klimakrise: Der Klimawandel ist eine der grössten Herausforderungen unserer Zeit. Darum müssen wir unsere Abhängigkeit von fossilen Energien beenden und unsere Versorgung mit erneuerbaren Energien rasch ausbauen. Ich unterstütze das Netto-Null-Ziel 2050. Der Weg dorthin muss sozialverträglich, wirtschaftsfreundlich und realistisch sein.
Schutz gegen Gewalt an Frauen (Istanbul-Konvention): Frauen und Kinder sind viel zu oft Opfer von häuslicher Gewalt. Viele Taten bleiben im Verborgenen. Ich setze mich dafür ein, dass das Problem sichtbar wird. Nur so können wir die Betroffenen richtig schützen und unterstützen.
Wie sieht deine Schweiz 2050 aus?
Im Jahr 2050 leben wir in einer klimaneutralen Schweiz, in der ein gesundes Gleichgewicht zwischen den Generationen, zwischen Stadt und Land und den verschiedenen Sprachregionen herrscht.
Tamara Funiciello (33), SP-Kandidatin, Stadt Bern, Bern
Welches Anliegen treibt dich in den Nationalrat?
Frauen arbeiten gleich viele Stunden wie Männer. Sie verdienen aber rund 100 Milliarden Franken weniger im Jahr. Sie leisten den Grossteil der unbezahlten Arbeit, ohne die diese Gesellschaft nicht leben könnte. Und trotzdem sind sie im Alter arm. 93,7 Prozent aller schweren Gewaltdelikte werden von Männern begangen – und trotzdem reden wir von Einzelfällen. Es ist nicht ein individuelles Problem, das wir hier haben. Es ist ein System. Das Patriarchat. Diesem System müssen wir strukturellen Widerstand entgegenstellen – den Feminismus. Und zwar dort, wo Macht ausgeübt wird – im Parlament.
Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie steht es in der Schweiz um die Gleichstellung?
5. Dank vieler hartnäckiger Pionierinnen haben wir schon viel erreicht, aber der Weg ist noch lang. Fehlende Gleichstellung trifft uns im Alltag bei der Arbeit, im Ausgang, im Alter. Nach wie vor erhalten wir nicht den gleichen Lohn für gleiche Arbeit, Frauenrenten sind immer noch ein Drittel tiefer als die der Männer, die familienergänzende Kinderbetreuung ist unzureichend, und wir haben zu wenig Plätze für Opfer von Gewalttaten.
Welches Thema wird dein Dossier?
Arbeitszeit, Renten und geschlechterspezifische Gewalt.
Wann wirst du als Politikerin unbequem?
Immer – ich bin nicht in der Politik, um bequem zu sein oder um gemocht zu werden. Ich bin in der Politik, um den Finger auf Themen zu legen, wo man lieber wegschaut. Um aufzuzeigen, was man alles machen könnte, wenn der politische Wille da wäre. Um aufzurütteln, anzuprangern – aber auch, um Nägel mit Köpfen zu machen.
Was sagst du zu folgenden Stichworten
Gender Pay Gap: Frauen und Männer leisten in der Schweiz gleich viele Stunden Arbeit. Doch Frauen haben im Jahr ganze 100 Milliarden Franken weniger im Portemonnaie. Sie sind es, die grossmehrheitlich Kinder grossziehen, Eltern pflegen oder sich um den Haushalt kümmern – doch das wird nicht als Arbeit anerkannt. Ausserdem werden Berufe, die als typisch weiblich wahrgenommen werden (Pflege, Kinderbetreuung oder Detailhandel), schlechter bezahlt. Und schliesslich führen mangelnde Strukturen im Bereich der familienergänzenden Kinderbetreuung dazu, dass Frauen häufig Teilzeit arbeiten, was zu Einbussen beim Einkommen und der Rente führt. Wenn wir wollen, dass Frauen und Männer gleich viel und genügend verdienen, braucht es bezahlbare Kitas, höhere Löhne in Frauenberufen und eine Senkung der Arbeitszeit.
Klimakrise: Dass es zu einer Klimakrise kommen wird, sagen Feministinnen seit über 50 Jahren – man hat ihnen einfach nicht zugehört. Gleichzeitig darf nicht vergessen werden, dass gerade Frauen übermässig von der Klimakrise betroffen sind. Die Antwort auf die Klimakrise ist auch eine feministische. Care-Arbeit sollte mehr ins Zentrum unserer Gesellschaft gerückt werden, wir sollten weniger arbeiten und dafür Arbeit verrichten, die sinnvoll und sinnstiftend ist. Keine Klimagerechtigkeit ohne Geschlechtergerechtigkeit.
Schutz gegen Gewalt an Frauen (Istanbul-Konvention): Mit dem Sieg bei der Revision des Sexualstrafrechts haben wir einen wichtigen Pflock eingeschlagen bei der Umsetzung der Istanbul-Konvention. Doch es reicht nicht. In der Schweiz fehlen zahlreiche Schutzplätze für Opfer von Gewalt. Die, die es gibt, sind häufig nicht zugänglich für Menschen mit Behinderungen oder Frauen mit Kindern, geschweige denn für queere Menschen und Frauen mit Migrationserfahrung. Es fehlt an Ressourcen bei Beratungsstellen und Spitälern, Präventionsarbeit und Täterarbeit. 430‘000 Frauen in diesem Land wurden vergewaltigt. Alle zwei Wochen stirbt eine Frau in den eigenen vier Wänden durch Gewalt von ihrem Partner oder Expartner. Wir müssen endlich diese Gewaltepidemie stoppen. Die Umsetzung der Istanbul-Konvention muss endlich Priorität haben!
Wie sieht deine Schweiz 2050 aus?
Wir leben in Frieden, Freiheit und Gleichheit. Alle können frei wählen, wie sie ihre Familie gestalten wollen, es gibt genügend öffentliche Betreuungsstrukturen sowie bezahlbaren Wohnraum. Ganz Europa – das keine Grenzen mehr kennt, weder innen noch aussen – ist mit einem dichten, schnellen und kostenlosen ÖV-Netz verbunden. Dafür haben wir aufgehört, in fossile Energien zu investieren. Wir leisten noch 20 Stunden sinnstiftende Erwerbsarbeit pro Woche. Roboter haben unsere repetitive Arbeit übernommen, der Mehrwert, der dadurch generiert wird, fliesst an die Bevölkerung zurück statt in die Taschen von einigen wenigen. Die Lebensqualität der Menschen ist massiv gestiegen, Kunst, Kultur und Forschung erleben eine neue Blütezeit, und die Klimakatastrophe konnte abgewendet werden. Wir haben einen Mindestlohn von 5‘000 Franken, eine Erbschafts- und Vermögenssteuer, eine Einheitskrankenkasse, eine Erwerbsversicherung, Elternzeit und eine Volkspension. Dass der Kapitalismus nicht gut genug ist und durch sein Streben nach unendlichem Wachstum nicht zukunftsfähig ist, wurde allgemein anerkannt. Es wird nach Formen der demokratischen Verteilung von Reichtum und Macht gesucht. Die Gleichstellung ist erreicht. Gewalt an Frauen und Queers gehört der Vergangenheit an – wir haben neue Männlichkeitsbilder, die Binarität der Geschlechter ist überwunden, und alle können sich frei und sicher bewegen.
Tamara Alù (36) FDP-Kandidatin, Basel, Basel-Stadt
Welches Anliegen treibt dich in den Nationalrat?
Obwohl seit den letzten Wahlen mehr Frauen denn je im Nationalrat vertreten sind, sind wir immer noch untervertreten. Frauen müssen sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft weiterhin gestärkt und gefördert werden. Zudem braucht es endlich eine junge, bürgerliche Stimme aus Basel in Bundesbern
Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie steht es in der Schweiz um die Gleichstellung?
7: Es gibt immer noch verschiedene Themen, die angegangen werden müssen: Individualbesteuerung, mehr Frauen in der Wirtschaft sowie in Kaderpositionen und ein zeitgemässes, flexibles Arbeitsrecht für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und damit auch gegen den Arbeitskräftemangel.
Welches Thema wird dein Dossier?
Wirtschaft und die dazugehörigen Themen, die vor allem Frauen betreffen.
Wann wirst du als Politikerin unbequem?
Bei Ungleichheit – denn Selbstbestimmung benötigt Gleichstellung.
Was sagst du zu folgenden Stichworten
Fachkräftemangel: Mit einem zeitgemässen und flexibleren Arbeitsrecht sowie einer Individualbesteuerung können wir dem Arbeitskräftemangel besser entgegenwirken und die Erwerbsanreize auch für Frauen erhöhen.
Schutz gegen Gewalt an Frauen (Istanbul-Konvention): Die Schweiz lahmt bei der Umsetzung der Istanbul-Konvention, die Frauenschutzhäuser sind überbelegt. Es braucht mehr Mittel und Engagement, aber auch Daten zum Schutz gegen Gewalt an Frauen.
Altersarmut: Gegen Altersarmut hilft unter anderem eine sichere Altersrente. Die Renteninitiative sorgt dafür, dass die AHV ihre Leistungen auch noch in Zukunft erbringen kann. Mit der Anhebung des Rentenalters auf 66 Jahre und der Anbindung an die Lebenserwartung wirkt sie zudem auch dem Arbeitskräftemangel entgegen.
Wie sieht deine Schweiz 2050 aus?
2050 ist die Schweiz noch moderner, erreicht die volle Punktzahl bei der Gleichstellung, verfügt weiterhin über eine starke Wirtschaft, und die Politik ist kompromissbereiter und fern von linken oder rechten Extremen.
Florence Brenzikofer (48), Grüne-Kandidatin, Oltingen, Basel-Landschaft
Welches Anliegen treibt dich in den Nationalrat?
Eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und eine grüne, lebenswerte Zukunft für unsere nächsten Generationen.
Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie steht es in der Schweiz um die Gleichstellung?
5: Die Schweiz hinkt bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf hinterher, es braucht in der nächsten Legislatur deshalb neue, mutige Schritte für mehr Chancengerechtigkeit.
Welches Thema wird dein Dossier?
Familien- und Verkehrspolitik.
Wann wirst du als Politikerin unbequem?
Wenn kein lösungsorientierter Ansatz vorhanden ist und starr auf einer Position beharrt wird oder wenn Mitmenschen diffamiert werden.
Was sagst du zu folgenden Stichworten
Individualbesteuerung: Höchste Zeit, diese einzuführen.
Fachkräftemangel: Die Hürden für den Wiedereinstieg in den Beruf müssen gesenkt werden, eine wichtige Rolle spielen dabei die Einführung einer paritätischen Elternzeit und gerechte Löhne für alle.
Klimakrise: Klimaschutz geht nur sozial.
Wie sieht deine Schweiz 2050 aus?
Eine klimapositive Schweiz mit gelebter Gleichberechtigung, ohne Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung.
Helvetia ruft! motiviert Frauen zur Kandidatur, unterstützt Kandidatinnen mit Mentorings und regt die Parteien dazu an, Frauenkandidaturen zu fördern. Helvetia ruft! veröffentlicht im September ein finales Rating sämtlicher Wahllisten für die nationalen Wahlen am 22.Oktober 2023. Darin errechnet Helvetia ruft!, welche Wahlchancen die Kandidatinnen in den verschiedenen Kantonalsektionen aller Parteien haben. Bereits am 1. Juni hat Helvetia ruft! anhand der zu dem Zeitpunkt bekannten Listen ein Zwischenrating veröffentlicht. Aus diesen Listen hat Helvetia ruft! ellexx die Namen der bestplatzierten Kandidatinnen genannt. Die Auswahl, wen ellexx in dieser Reihe porträtiert, hat ellexx selbst vorgenommen.