Wir wollen, dass Politik weiblicher wird. Darum stellen wir hier in den nächsten Wochen in Kooperation mit «Helvetia ruft!» Kandidatinnen aus unterschiedlichen Kantonen und Parteien vor. Wir machen damit keine Wahlempfehlung. Wir wollen zeigen, dass es in allen Parteien und Kantonen Kandidatinnen gibt, die man wählen kann. Heute stellen wir dir Melanie Mettler, Rahel Würmli und Isabelle Chappuis vor.
Melanie Mettler (45), GLP-Kandidatin, Stadt Bern, Bern
Welches Anliegen treibt dich in den Nationalrat?
Ich will eine Schweiz mit hoher Lebensqualität und Chancengleichheit erhalten, in der auch nächste Generationen Handlungsfreiheit und gesunde Lebensgrundlagen vorfinden.
Welches Thema wird dein Dossier?
In der letzten Legislatur konnte ich bei der Altersvorsorge zum Erfolg der wichtigen Vorlagen in der ersten und insbesondere der zweiten Säule beitragen. Die vorliegende Reform der beruflichen Vorsorge (BVG) bewirkt nie dagewesene Verbesserungen, insbesondere für Teilzeitarbeitende und tiefe Löhne, also vornehmlich Frauen, und kompensiert die kleinen Vorsorgevermögen für die Reformkosten. Leider wird die Vorlage im Wahljahr aus parteipolitischen Gründen schlechtgeredet.
Wann wirst du als Politikerin unbequem?
Heute sollten wichtige Richtungsentscheide gefällt werden. Stattdessen stehen wir still, blockiert zwischen den Lagern an den politischen Polen. Darunter leiden unsere Demokratie und unser Wohlstand, was dazu führt, dass Handlungsfreiheit und Chancengleichheit reduziert werden. Das trifft die Schwächsten immer am meisten. Da werde ich sehr unbequem und gehe hartnäckig vor. Aber nicht mit Konfrontation, sondern, indem ich nicht locker lasse, bis sich verhärtete Positionen aufzuweichen beginnen und Verhandlungserfolge möglich werden.
Was sagst du zu folgenden Stichworten
Vereinbarkeit von Beruf und Familie: Wenn wir eine Gesellschaft wollen, in der Personen ihren Lebensentwurf frei wählen können, müssen wir heutige Gesetze so ändern, dass sie neutral gegenüber der Art und Weise der Erwerbstätigkeit sind. Arbeitgebende, die Eltern beschäftigen möchten, und arbeitnehmende Eltern müssen ihr Verständnis von Führung und Arbeitsorganisation umstellen. Die familienexterne Betreuung und Bildung muss den Bedürfnissen von Eltern gerecht werden, beispielsweise mit erschwinglicher und verfügbarer Kinderbetreuung, früherer Einschulung oder mit Blockzeiten an der Volksschule. Und es braucht einen Kulturwandel in den Familien selbst, damit die Verantwortung in der Kleinkindphase nicht vornehmlich den Müttern zugeschrieben wird. Dazu braucht es unter anderem einen paritätischen Elternurlaub für Erwerbstätige.
Gender Pension Gap: Unerklärbare Lohndifferenzen sowie mangelnde Vorsorgeversicherung in der zweiten Säule von Erwerbstätigkeit, die in Teilzeitarbeit erfolgt und/oder in einem tiefem Lohn eingestuft ist, tragen zum Gender Pension Gap bei. Im heutigen Gender Pension Gap ist zudem die Generation Pensionärinnen enthalten, die nicht dieselben Ausbildungsmöglichkeiten hatten wie die Männer. Der grösste Teil des Gender Pension Gaps entsteht heute bei der Wahl des Lebensmodells in der Familienphase, in der Mütter ihre Rolle in der Familie gegenüber ihrer beruflichen Entwicklung priorisieren.
Klimakrise: Wenn wir heute keine richtungsweisenden Entscheide und Investitionen treffen, werden in der Schweiz die Handlungsfreiheit, Innovationsfähigkeit, Gesundheit und Lebensqualität durch fehlende Lebensgrundlagen wie Boden, Luft, Wasser und Biodiversität stark eingeschränkt sein. Es braucht ein Verständnis von Lebensqualität, das Konsum nicht in der Menge, sondern in der Qualität versteht, und zwar vom Ernährungs- über den Wohnflächen- bis zum Mobilitätskonsum. Dies bedingt dringliche Massnahmen bei steuerlichen Fehlanreizen beim Konsum und Produktion und bei der fehlenden Wettbewerbsgleichheit für nachhaltige Geschäftsmodelle.
Wie sieht deine Schweiz 2050 aus?
Die Schweiz hat in den 2020er Jahren zahlreiche Herausforderungen genutzt. So etwa jene des drohenden Klima- und Biodiversitätskollaps, der politischen Machtverschiebungen, des drohenden Kollaps des Mulitilateralismus und der Demokratie, des gesellschaftlichen, kulturellen und technologischen Wandels. Sie hat es so geschafft, eine Transformation zu einer gerechteren, nachhaltigeren und gesünderen Schweiz aufzugleisen.
Rahel Würmli (55), Grüne-Kandidatin, Rapperswil-Jona, St.Gallen
Welches Anliegen treibt dich in den Nationalrat?
Die Schweiz braucht weiter Grüne Kräfte, damit wir gesellschafts- und klimapolitisch vorankommen.
Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie steht es in der Schweiz um die Gleichstellung?
6. Wir haben schon einiges erreicht, aber es bleibt noch viel zu tun.
Welches Thema wird dein Dossier?
Die Alterspolitik.
Wann wirst du als Politikerin unbequem?
Bei Ungerechtigkeit und beim Negieren von Tatsachen wie dem Klimawandel. Das halte ich schlecht aus.
Was sagst du zu folgenden Stichworten
Fachkräftemangel: Da ist die gesamte Gesellschaft gefordert, dem zu begegnen. Frühzeitige Pensionierung bei guter Gesundheit und keine jungen ausgebildeten Fachkräfte ergeben eine Mischung, die unsere Gesellschaft und unseren Wohlstand herausfordert.
Klimakrise: Hier brauchen wir ganz grosse Schritte, um den Turnaround noch zu schaffen.
Altersarmut: Altersarmut ist weiblich. Hier brauchen wir schnelle Lösungen.
Wie sieht deine Schweiz 2050 aus?
Ich wünsche mir, dass es noch Gletscher gibt, der Permafrost uns noch erhalten bleibt und dass Gleichberechtigung aller kein Thema mehr sein wird, sondern gelebte Realität.
Isabelle Chappuis (52), Mitte-Kandidatin, Lausanne, Waadt
Welches Anliegen treibt dich in den Nationalrat?
Mich beschäftigen die Auswirkungen der künstlichen Intelligenz (KI) und der Technologien auf den Arbeitsmarkt sowie die damit verbundenen Sicherheitsrisiken rund um die Cybersicherheit. Dieser technologische Wandel beschleunigt die Überholung der menschlichen Fähigkeiten, was eine echte Bedrohung für die nationale Sicherheit und die Stabilität unserer Gesellschaft darstellt. Mein Ziel ist, unsere Gesellschaft auf die Arbeitsplätze der Zukunft vorzubereiten, indem wir das Bewusstsein für die Herausforderungen der KI schärfen, die bevorstehenden Veränderungen antizipieren und unser Bildungssystem stärken.
Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie steht es in der Schweiz um die Gleichstellung?
Die Gleichstellung in der Schweiz bewerte ich mit 7. Das Lohngefälle besteht weiterhin. Trotz einiger Fortschritte bekommen Frauen oft weniger Geld für die gleiche Arbeit. Zu den beruflichen Herausforderungen für Frauen gehören begrenzte Beförderungen, Stereotype und Hindernisse nach der Mutterschaft. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird durch einen Mangel an Betreuungsplätzen und angemessenen Urlaubsregelungen behindert. Darüber hinaus besteht eine erhebliche Rentenlücke aufgrund von Karriereunterbrüchen und Teilzeitarbeit bei Frauen.
Welches Thema wird dein Dossier?
Meine Arbeit wird sich natürlich auf meine Fachgebiete konzentrieren, nämlich die Antizipation der Auswirkungen von künstlicher Intelligenz und Technologie auf den Arbeitsmarkt, mit besonderem Schwerpunkt auf die zu erwägenden flankierenden Massnahmen. Dazu zählen:
- KI & Technologie: die Auswirkungen, Risiken und Chancen erkennen und gleichzeitig einen rechtlichen Rahmen festlegen.
- Antizipation & Zukunftsforschung: eine langfristige Vision entwickeln, die die Bedürfnisse zukünftiger Generationen berücksichtigt.
- Bildung & Ausbildung: Angesichts einer sich schnell verändernden Welt (Cyberrisiken, neue Berufe usw.) ist die Bildung unser wichtigster Schutzwall.
Was sagst du zu folgenden Stichworten:
Vereinbarkeit von Beruf und Familie: Es muss noch viel getan werden, um es Frauen zu ermöglichen, Beruf und Familie auf erfüllende Weise miteinander zu vereinbaren. Kinderbetreuungssysteme müssen verfügbar und erschwinglich sein. Unternehmen müssen sich flexibilisieren, um es den Angestellten zu ermöglichen, ihre familiären und beruflichen Pflichten zu vereinbaren. Mit Strategien, flexiblen Arbeitszeiten, Homeoffice oder Teilzeitmöglichkeiten können Unternehmen ein Umfeld fördern, in dem Frauen nicht aufgrund ihrer familiären Verpflichtungen ausgeschlossen werden. Dies trägt auch dazu bei, eine Verschärfung des Fachkräftemangels zu verhindern.
Fachkräftemangel: Dieser Mangel in Zeiten von nahezu Vollbeschäftigung ist eine besorgnisserregende Situation, da der technologische Wandel den Arbeitsmarkt und die erforderlichen Qualifikationen grundlegend verändert. Es ist von entscheidender Bedeutung, unser Bildungssystem weiterzuentwickeln, um die Menschen nicht nur für die Berufe von heute, sondern auch für die Berufe von morgen aus- und weiterzubilden. Diese Verantwortung darf nicht allein bei Einzelpersonen oder den Arbeitgebenden liegen, sondern muss als Staatsaufgabe betrachtet werden. Indem wir in die Weiterbildung investieren, reagieren wir auf die Bedürfnisse der Wirtschaft und schaffen Möglichkeiten, damit jeder und jede in einer sich ständig verändernden Welt gedeihen kann.
Altersarmut: Ein wichtiges Anliegen, das einen generationenübergreifenden Ansatz erfordert. Wenn wir unsere Vorsorgesysteme nicht reformieren und jetzt Massnahmen ergreifen, laufen wir Gefahr, dass die Armut auch für künftige Generationen fortbesteht. Es liegt in unserer Verantwortung, politische Massnahmen einzuführen, die nicht nur die finanzielle Sicherheit älterer Menschen gewährleisten, sondern auch die prekäre Lage künftiger Generationen von Rentnern verhindern. Dazu gehört auch, Schritte zur Stärkung der Rentensysteme zu ergreifen und gegen Altersdiskriminierung auf dem Arbeitsmarkt vorzugehen.
Wie sieht deine Schweiz 2050 aus?
Meine Vision für die Schweiz im Jahr 2050 ist die eines Landes im Übergang, das die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts mit Zuversicht und Entschlossenheit angeht. Erstens wünsche ich mir eine Schweiz, die wirtschaftliche und individuelle Freiheit garantiert und durch eine robuste Wirtschaft gestärkt wird. Zweitens wünsche ich mir eine Schweiz, die angesichts des digitalen und ökologischen Wandels solidarisch ist und eine Verschärfung der sozialen Ungleichheiten verhindert. Drittens sollte jeder Schweizer zu ökologischer und persönlicher Verantwortung ermutigt werden, die durch eine innovative Bildung unterstützt wird, die es ermöglicht, die in einer sich verändernden Wirtschaft erforderlichen Fähigkeiten zu erwerben.
Helvetia ruft! motiviert Frauen zur Kandidatur, unterstützt Kandidatinnen mit Mentorings und regt die Parteien dazu an, Frauenkandidaturen zu fördern. Helvetia ruft! veröffentlicht im September ein finales Rating sämtlicher Wahllisten für die nationalen Wahlen am 22.Oktober 2023. Darin errechnet Helvetia ruft!, welche Wahlchancen die Kandidatinnen in den verschiedenen Kantonalsektionen aller Parteien haben. Bereits am 1. Juni hat Helvetia ruft! anhand der zu dem Zeitpunkt bekannten Listen ein Zwischenrating veröffentlicht. Aus diesen Listen hat Helvetia ruft! ellexx die Namen der bestplatzierten Kandidatinnen genannt. Die Auswahl, wen ellexx in dieser Reihe porträtiert, hat ellexx selbst vorgenommen.