Ich gebe zu: Es war nicht gerade mein hellster Moment, als ich Ende letzten Jahres den Twitch-Kanal eines ganzen Radiosenders mit meinen blanken Brüsten sperrte – notabene den Kanal meines eigenen Arbeitgebers. Seit Mitte 2023 moderiere ich nämlich wieder eine Radioshow – und zwar auf einem einschlägigen deutschen (!!!) Privatsender, dessen Namen ich hier nicht verraten werde. Den Walk of Shame, den ich bei meinen Vorgesetzten antreten musste, nachdem ich mich in besagtes Fettnäpfchen gesetzt (oder besser: geflasht) hatte, möchte ich keinesfalls wiederholen.
Trotzdem möchte ich euch diese Geschichte in ihrer vollen Absurdität nicht vorenthalten. So dumm sie ist, sagt sie nämlich doch auch viel aus über die Bigotterie US-amerikanischer Streamingdienste und den seltsamen Umgang, den wir als Gesellschaft und Medienschaffende damit gefunden haben.
Folgendes ist passiert: Ich moderierte die letzte Sendung des Jahres, eine längere Chose als sonst, mit wechselnder Belegschaft im Studio. Verschiedene Gäste kamen, legten auf und gingen wieder, um die Decks für die oder den nächsten DJ freizumachen. Dazwischen legte ich selber noch eine Stunde auf, parallel zu meinen Aufgaben als Gastgeberin und Moderatorin der Sendung. Man könnte also sagen, dass ich über weite Strecken sehr gefordert war – zeitlich und energetisch. Erschwerend kam hinzu, dass sämtliche Gäste sowohl Freunde als auch flüssige Verpflegung mitbrachten und ich nach ein paar Stunden ziemlich einen sitzen hatte. Ich war zwar durchaus noch in der Lage, meinen Job zu machen, so schlimm war's nicht. Aber: Mein Urteilsvermögen war doch ein wenig in Schieflage geraten. Ein Umstand, der zwar kaum hörbar war, aber leider irgendwann sichtbar wurde.
Und jetzt kommt die Krux: Besagte Sendung läuft leider nicht nur im Radio, sondern auch auf Twitch.
Für alle, die Twitch noch nicht kennen (so wie ich, bis vor Kurzem): Twitch ist eine US-amerikanische Videoplattform mit integrierter Chat-Funktion. Im Unterschied zu YouTube, das auf Video-on-Demand fokussiert, dient sie hauptsächlich der Übertragung von Livestreams – unter anderem eben dem Livestream meiner eigenen, brandneuen Radioshow. Und zwar in Ton und Bild – ein Umstand, der mir zu wenig bewusst war. Kleiner Rockstar, der ich nun mal bin, hielt ich es nämlich irgendwann gegen Ende der Show für angebracht, meine Kollegen im Studio mit einer Frontalansicht meiner Boobies zu beglücken. Das ist mir zwar gelungen, nur: Der Twitch-Algorithmus, der auf die Einhaltung der Freizügigkeitsrichtlinien achtet (und zwar offenbar wie ein kläffender Köter an der Kette!) fand die Nummer leider nicht ganz so gut. Im Gegenteil: 30 Sekunden später war der gesamte Kanal gesperrt, und zwar unwiderruflich, drei ganze Tage lang!
Ganz ehrlich: Persönlich fand ich den Zwischenfall gar nicht so schlimm. Erstens habe ich absolut kein Problem mit meinen Brüsten – die sind ganz hübsch und gehören auf dieselbe Art zu meinem Körper wie beispielsweise meine Arme oder mein Kinn. Zweitens habe ich noch nie verstanden, warum Titten in unserer Gesellschaft ein solches Tabu darstellen. Ob im Schwimmbad, am Superbowl oder auf Social Media wird darum ein Tamtam gemacht, als wären es nicht Brüste, sondern Bomben. Meine Nippel haben das Potenzial, Kinder zu erschrecken, öffentliches Ärgernis zu erregen oder eben Twitch-Kanäle zu sperren, während männliche kaum registriert, geschweige denn kritisiert werden. Um auf diese Ungleichbehandlung von weiblicher und männlicher Nacktheit aufmerksam zu machen, startete die Filmemacherin Lina Esco 2012 in New York die Kampagne #Freethenipple, hatte damit jedoch nur mässig Erfolg: Die Bilder, die im Rahmen der Kampagne entstanden, wurden nämlich konsequent von allen sozialen Medien getilgt. Die Begründung: Verletzung der Richtlinien.
Auch auf Twitch gelten für weiblich und männlich gelesene Personen andere Regeln. In seinen Richtlinien schreibt das Unternehmen: «For those who present as women, we ask that you cover your nipples.» Auf Deutsch: Diejenigen unter euch, die als weibliche Personen gelesen werden, bitten wir darum, eure Nippel zu bedecken.
Ganz ehrlich: Wenn ich sowas lese, probt meine innere Revolutionärin den Aufstand! Am liebsten würde ich fortan jede meiner Sendungen oben ohne moderieren, meine anstössigen weiblichen Nippel mit einem männlichen Nippelsticker überklebt.
Was ich de facto gemacht habe: Mich bei allen Beteiligten (und insbesondere meinen Vorgesetzten!) aufrichtig entschuldigt und sowohl Besserung als auch einen BH gelobt.
Welcome to patriarchy and have a nice day!