Für Lara Dickenmann war schon als Kind klar: Sie möchte einmal Fussballprofi werden. Ein Traum, den auch ihre Teamkollegen hegten. Bis sie 12 Jahre alt war, dribbelte sie als einziges Mädchen in der Mannschaft mit. Gestört hat es sie damals nicht. Es fühlte sich ganz normal an. Die Innerschweizerin erinnert sich: «Ich habe früh verstanden, dass es für mein fussballerisches Fortkommen hilfreich ist, wenn ich mit den Buben spiele.» Erst als sie mit anderen Mädchen in der Regionalauswahl spielte, habe sie gespürt, wie viel wohler und zugehöriger sie sich fühlte.
Nebenamtliche Trainer für Mädchen, Vollprofis für Jungs
Tatjana Haenni ist Direktorin des Ressorts Frauenfussball beim Schweizerischen Fussballverband (SFV). Sie betont, dass gemischte Teams bei jüngeren Kindern gut sein können, gerade für die Förderung besonders talentierter Mädchen. Dennoch ist sie überzeugt davon, dass mehr Mädchenteams in den Clubs auch mehr Spielerinnen anlocken würden. «Mein Wunsch wäre, dass sich jeder Verein ohne Mädchenteam hinterfragt und ein entsprechendes Angebot schafft. Das passiert zur Zeit nicht, weil die Fussballwelt kulturell und strukturell noch sehr männerfussballlastig ist», sagt Haenni.
Auf landesweiter Ebene gibt es mittlerweile auch für Juniorinnen anspruchsvolle Nachwuchsprogramme, beispielsweise beim Ausbildungszentrum des Schweizerischen Fussballverbands in Biel. Die meisten Spielerinnen wechseln danach zu einem grösseren Schweizerclub in die U17 und U19 Teams. Hier sieht Tatjana Haenni Handlungsbedarf. Die Trainingsbedingungen seien nicht vergleichbar mit denjenigen im Männerfussball. Während bei den jungen Männern professionelle Trainer an der Linie stehen, sind es bei den Frauen oft Trainer im Teilzeitpensum. Das stört sie sehr: «Es ist nicht fair, dass ein junger Mensch komplett andere Rahmenbedingungen hat, nur aufgrund seines Geschlechts.»
Keine Spielerin in der Schweizer Profiliga kann vom Sport leben
Lara Dickenmann wurde mit 17 Jahren in der Schweizer Nationalmannschaft von amerikanischen Scouts entdeckt und erhielt ein Stipendium in den USA. Nach ihrer Ausbildung wechselte sie zum französischen Fussballclub Olympique Lyon. Die Schweizer Liga sei für sie damals nicht attraktiv genug gewesen, sagt sie rückblickend. Aus wirtschaftlicher Sicht ist sie das bis heute nicht.
In der Schweiz haben rund 70 Frauen in der Nationalliga A Profiverträge. Die Profispielerinnen verdienen im Durchschnitt zwischen 500 und 1500 Schweizer Franken im Monat. Im Vergleich dazu beträgt der Durchschnittslohn für die Männer in der Schweizer Super League rund 14’000 Franken. Tatjana Haenni sagt: «Es gibt keinen Schweizer Club, der einer Spielerin genug Lohn zahlen kann, dass sie davon leben könnte.» Doch auch ganz allgemein sei die wirtschaftliche Situation im Frauenfussball nicht vergleichbar. Während der Elitefussball bei den Männern in den letzten 40 Jahren stark kommerzialisiert wurde, ist der Frauenfussball kein Geschäft.
Tatjana Haenni erkennt das Problem vor allem bei den Strukturen in der gesamten Fussballwelt. Frauenteams gehören Verbänden an und sind in Clubs integriert, die historisch gesehen von Männern für den Männerfussball geführt werden. Dabei schaut sie auch kritisch auf ihren eigenen Verband: «Weder die Clubs noch der Verband haben bisher eine Gleichberechtigung im Fussball konsequent angestrebt.» Als Teil der Lösung sieht sie auch mehr Frauen in den Entscheidungsgremien.
Es geht anders wie England beweist
England hat den Frauenfussball in den letzten Jahren stark professionalisiert und gefördert. Die Frauenliga spielt immer häufiger in den grossen Stadien. Ein weiterer Meilenstein wurde anfang des Jahres erreicht: Sky Sports und BBC haben Fernsehrechte im Wert von 24 Millionen Pfund für die Übertragung von Spielen aus der Women’s Super League gekauft.
Lara Dickenmann weiss den Grund: Der englische Fussballverband sei bis an die Spitze vom Potenzial des Frauenfussballs überzeugt gewesen. Grosse Vereine wie Manchester City oder Chelsea hätten die Frauen auf gleiche Stufe wie die Männer gesetzt. Die Spiele seien in grossen Stadien mit 40'000 Zuschauern professionell gefilmt worden. «So sehen die Spiele der Frauen plötzlich ganz ähnlich aus wie diejenige der Männer.»
Professionell und hochwertig
Der Frauenfussball in der Schweiz hat noch einiges aufzuholen, doch auch hier entwickelt sich momentan einiges. Der Schweizerische Fussballverband hat in seiner neuen Strategie beispielsweise den Frauenfussball zu einer der wichtigsten Prioritäten erkoren. Das allein aber reiche nicht, meint Lara Dickenmann, die seit ihrem Rücktritt als Profi nun General Managerin beim Grasshopper Club Zürich ist. Ihr sei es wichtig, die Bedingungen für die Spielerinnen zu verbessern und dem Frauenfussballs innerhalb der Vereinsstrukturen mehr Gewicht zu geben. Erste Erfolge lassen sich bereits sehen: Am kommenden Sonntag wird ein Heimspiel des GC Frauenteams gegen den FC Basel im Stadion Letzigrund ausgetragen. «Wir müssen immer wieder versuchen solche Highlights zu schaffen. Das Spiel präsentiert sich dadurch wie ein anderes Produkt», sagt Dickenmann.
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Frauenfussball braucht einen Businessplan
Lara Dickenmann sieht die Situation im Schweizer Frauenfussball auch als Chance. Ihr Hauptziel sei es, ein neues Bild des Frauenfussballs zu kreieren und Verband, Sponsor:innen sowie Investor:innen vom Frauenfussball zu begeistern. Dazu brauche es mehr Sichtbarkeit: «Wenn Cristiano Ronaldo einen Fallrückzieher macht, sieht das die ganze Welt. Die herausragenden Leistungen der Fussballerinnen sollen ebenfalls viral gehen.»
Tatjana Haenni spürt diesen gesellschaftlichen Wandel bereits. Das Interesse der Gesellschaft am Frauenfussball sei vorhanden, dies würden die steigenden Zuschauerzahlen in den Stadien oder die Einschaltquote im Fernsehen bei Frauenspielen zeigen. Doch nun sei es an der Zeit, dass auch die Fussballwelt erkenne, welche Chancen Frauen im Fussball bringen – auch auf wirtschaftlicher Ebene. «In der heutigen Zeit möchte man als Fussballverein im Sinne eines Unternehmens doch die ganze Gesellschaft ansprechen und als Kundschaft gewinnen. Und momentan wird die Hälfte der Gesellschaft nicht angesprochen.»