In der Generation Z tut sich ein Graben auf. Immer mehr junge Männer sind konservativer, junge Frauen hingegen progressiver. Anfang 2024 sorgte ein Artikel der Financial Times international für Aufsehen. Anhand von Daten zeigte er auf, wie die 18- bis 29-Jährigen in Ländern weltweit ideologisch auseinanderdriften.
Bereits 2023 präsentierte die NZZ am Sonntag Umfrageresultate für die Schweiz, die das Meinungsforschungsinstitut Sotomo für die Zeitung erhoben hatte. Vor zehn Jahren positionierte sich rund jede dritte Frau links der Mitte. Nun tut dies mehr als die Hälfte. Bei den Männern hingegen geht es gerade in die andere Richtung. Hier erhöhte sich der Anteil jener, die rechts der Mitte stehen, von knapp 30 auf über 40 Prozent. Nun liegen neue Studienergebnisse vor. Sie zeigen: Junge Männer sind in Gleichstellungsfragen oft deutlich konservativer eingestellt als die Frauen derselben Generation. Junge Männer sind teilweise sogar noch weniger fortschrittlich als Männer älterer Generationen. Dieser politisch-ideologische Graben schlägt sich bis in den privatesten Bereich nieder – Beziehungen in der Gen-Z. Im Juni publizierte Sotomo das Gleichstellungsbarometer 2024. Für das Barometer hat es Daten von 2500 befragten Männern und Frauen ausgewertet. Dieses fand unter anderem Folgendes heraus:
- Gen-Z-Männer finden, dass die Gleichstellung in der Schweiz weitgehend erreicht ist.
- Geht es um Geschlechterquoten in der Politik und in Führungspositionen, befürworten diese etwa jeder Dritte der 17- bis 27-jährigen Männer. Womit sie gleichauf mit der ältesten Männer-Generation liegen.
- Fast jeder fünfte Gen-Z-Mann findet die mediale Debatte über sexuelle Belästigung unnötig und übertrieben oder eher unnötig. Auch wenn knapp die Hälfte die Diskussion wichtig und überfällig findet. Bei den jungen Frauen finden 70 Prozent diese Debatte zentral.
- Noch weniger als die älteste Männer-Generation befürworten die Gen-Z-Männer Massnahmen, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie fördern, beispielsweise Wochenarbeitszeit reduzieren, flexible Arbeitszeitmodelle, ein fortschrittlicheres Modell für die Elternzeit, längeren Vaterschaftsurlaub.
Besonders stark gehen die Ansichten der Gen-Z-Männer im Vergleich zu den Gen-Z-Frauen in folgenden Punkten auseinander:
Zustimmung der Gen-Z-Männer und Gen-Z-Frauen
Fehlt den jungen Männern die Erfahrung?
Politologin und Mitautorin des Gleichstellungsbarometers Sarah Bütikofer überrascht es, dass so viele junge Männer über verschiedene Bereiche hinweg der Ansicht sind, dass die Gleichstellung mehr oder weniger erreicht sei. «Das ist ein sehr grosser Unterschied im Vergleich mit der allgemeinen Frauenpopulation oder auch der jüngeren Frauengeneration.»
Gerade Lohngleichheit sei ein politisch stark diskutiertes Thema. Dass diese in der Schweiz noch nicht gegeben ist, vor allem bei älteren Arbeitnehmerinnen – ein Fakt. Rund der Hälfte der jungen Männer ist dies möglicherweise nicht bewusst. «Die jungen Männer gehen wohl von ihren eigenen Erfahrungen aus», so Bütikofer. Mit Mitte 20 und ohne Familie seien sie häufig noch gar nicht mit der Thematik konfrontiert. Ihre Freundinnen und Kolleginnen empfinden sie als völlig gleichberechtigt. Doch der Lohngap setzt oft erst mit der Familiengründung ein. So verdienen Frauen mit der Geburt des ersten Kindes in der Schweiz im Schnitt 60 Prozent weniger.
Die fehlende Gleichstellung sei allgemein gesehen im Umfeld der jungen Männer kein grosses Thema, so Bütikofer. Oder aber: Die Befragten seien sich des Problems auf Grund ihrer eigenen Lebensumstände schlicht nicht bewusst.
Auch Gen-Z-Frauen sehen die Gleichstellung in vielen Punkten weniger kritisch als Frauen älterer Generationen, etwa bei den Karrieremöglichkeiten, welche die jüngeren Frauen als eher gegeben beurteilen. Die Studie argumentiert: Die jüngste Generation, inklusive Frauen, ist von vielen Ungleichheiten noch nicht betroffen. Also alles eine Frage der gelebten Erfahrungen.
Die erste Männer-Generation, die es «trifft»
Warum aber gibt es in einigen Fragen derart grosse Unterschiede innerhalb der Generation Z – in der Männer wie Frauen eine gewisse Lebenserfahrung fehlt? «Anders als ältere Männer sind jüngere direkt von Gleichstellungsmassnahmen betroffen», so Bütikofer. Die heutigen Gen-Z-Männer sind die erste Generation, für die Slogans wie «mehr Frauen in Führungspositionen» keine wohlklingende Theorie, sondern Realität ist. Auf dem Arbeitsmarkt konkurrieren sie nicht nur mit anderen Männern, sondern auch mit Frauen. Und Letztere seien inzwischen genauso ehrgeizig und gut ausbildet, immer öfter auch besser ausgebildet als Männer.
Dies ist möglicherweise eine Erklärung dafür, wieso junge Männer auch Massnahmen skeptisch gegenüber stehen, die ihnen scheinbar zugute kommen könnten, wie etwa einem längeren Vaterschaftsurlaub. Sie sagen sich vielleicht: Wer sich gegen mehr Konkurrenz durchsetzen muss, kann es sich nicht erlauben, dem Job länger fernzubleiben.
Feindseliger Sexismus und radikale Social-Media-Bubbles
Ähnliche Erklärungen des Gen-Z-Gendergrabens hat auch die US-amerikanische Forscherin Alice Evans von der Standford University. Sie forscht zu Gleichstellung in verschiedenen Gesellschaften rund um die Welt. In einem Interview mit dem Atlantic spricht sie über «hostile sexism», also feindseligen Sexismus. Von USA über Polen bis Spanien – überall würden Männer zum Ausdruck bringen: Frauen erhalten mehr Rechte, und dies auf Kosten der Männer. Der Feminismus bedrohe gefühlt ihren Status. Das bringe einige Männer dazu, Frauen abzuwerten und sich an Gleichgesinnte in der sogenannten «manosphere» in den Sozialen Medien zu wenden. Also an Online-Männercommunities, die sexistisch und wertkonservativ eingestellt sind.
Sarah Bütikofer gibt zu bedenken, dass sich über Social Media potenziell sämtliche Gruppierungen radikalisieren können, nicht nur junge Männer. Zudem mache es Social Media auch Frauen einfacher, sich zu vernetzen und für ihre Anliegen einzutreten. #MeToo – unter diesem Hashtag teilte ursprünglich Tarana Burke, Überlebende sexualisierter Gewalt, ihre Erfahrungen online. Spätestens seit 2017 verwenden den Hashtag unzählige Personen, vor allem Frauen, um auf sexualisierte Gewalt und Übergriffe aufmerksam zu machen.
Doch aus der Forschung weiss man: Mobilisieren Frauen für ihre Rechte, kann gerade dies zum Backlash bei Männern führen.
#MeToo als Trigger, Feminismus als Beziehungskiller
#MeToo sei entscheidend gewesen für das Auseinanderdriften der Generation Z, schreibt die Financial Times in ihrem vielzitierten Artikel. Sarah Bütikofer sagt: «Die Me-Too-Bewegung hat die Männer durchgeschüttelt.» Viele würden ihr Verhalten mehr hinterfragen, und manche seien sehr verunsichert. Diese Verunsicherung könne auch Abwehrreaktionen hervorrufen. Junge Frauen hingegen fühlen sich durch #MeToo bestärkt, über eigene Erfahrungen und widerfahrenes Unrecht zu sprechen und Veränderungen einzufordern. «Potenzielle Sexualstraftäter sind von #MeToo aber wohl nicht beeindruckt.»
Dass Werthaltungen und entsprechende politische Einstellungen bei der jungen Generation bis in den privatesten Bereich eine Rolle spielen, zeigen zwei weitere Sotomo-Studien.
Die Befragung «Paare, Politik & Toleranz» vom August 2024 fand heraus: Menschen in der Schweiz suchen sich am liebsten Partner:innen, die ihnen politisch nahestehen. Speziell innerhalb der jungen Generation gibt es Unterschiede, wie zufrieden die Befragten mit der politischen Ausrichtung des Partners oder der Partnerin sind. Mit fast einem Drittel seien junge Frauen auffällig oft unzufrieden mit den politischen Ansichten ihres Partners.
Radikale Parolen vs. Verantwortugn für Hausarbeit
«Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass sich junge Frauen vermehrt feministische Männer wünschen, junge Männer jedoch oft nicht feministisch sein wollen», heisst es in der Studie. Männer mögen eher traditionelle Werte in der Partnerschaft, Feminismus gilt bei knapp einem Drittel als unerwünschte Eigenschaft der Partnerin. Die Befragung zu Gewalt in Paarbeziehungen aus dem Jahr 2021 fand zudem heraus: Insbesondere bei jungen, konservativen Männern sind Vergewaltigungsmythen bis heute stark verbreitet. Also Vorstellung über Vergewaltigungen, die diese unter anderem verharmlosen oder rechtfertigen, zum Beispiel: Männer können sich einfach nicht zurückhalten, die Frau hat provoziert, der Mann weiss nicht genau, was die Frau will.
Die Erkenntnis über Vergewaltigungsmythen wiege schwer, so Bütikofer. Dass man aber in einer Beziehung generell nicht ständig über Grundsatzfragen diskutieren wolle und sich deshalb eine Person mit ähnlichen politischen Einstellungen und Werthaltungen suche, sei naheliegend und nicht weiter beunruhigend. Zudem sei ja auch nicht ganz klar, was genau Feminismus bedeute. Männer würden sich unter einer Feministin allenfalls eher eine Frau vorstellen, die Transparente malt und an Demos radikale Parolen schreit. Frauen stellen sich unter einem Feministen vielleicht eher jemanden vor, dem eine gleichberechtigte Aufteilung von Erwerbsarbeit, Kinderbetreuung und Hausarbeit wichtig ist.
Die Gesellschaft neu verhandeln
Den Gendergraben als Ganzes sieht Sarah Bütikofer gelassen. Bereits frühere Generationen waren und sind sich in manchen politischen Fragen uneinig. Für abschliessende Urteile über den Gen-Z-Divide sei es zu früh.
Dennoch steht für die Politologin fest: Die heute junge Männergeneration hat weniger Privilegien als die ältere. Für jüngere Männer wird es nicht einfacher, sondern eher komplizierter. «Junge Frauen fühlen sich dem traditionellen Rollenbild weniger verpflichtet und gehen zunehmend ihren eigenen Weg», so Bütikofer. Waren Frauen früherer Generationen häufig schlicht darauf angewiesen, zu heiraten und eine Familie zu haben, stehen den Frauen heute viel mehr Möglichkeiten offen.
Aber auch viele jüngere Männer würden nicht mehr per se einem vorgegebenen Lebensweg folgen wollen – dem des Alleinernährers und Familienoberhauptes. «Frauen und Männer müssen sich daher viel stärker als früher mit den Vorstellungen und Wünschen des anderen auseinandersetzen.»
Diese gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse seien nicht einfach, sagt Bütikofer. Und was schlussendlich eine gute Gesellschaft sei – Ansichtssache. Nicht alle finden, dass mehr Gleichstellung besser sei. Gerade die aktuelle Weltlage zeige: Mancherorts werde unter einer idealen Gesellschaft nach wie vor eine verstanden, die autoritär geführt wird, mit wenig Wert auf Individualismus oder Eigenständigkeit.
Sehr akzentuierte Meinungen werden aber bei manchen im Verlaufe des Lebens ohnehin milder, so Bütikofer. Ironischerweise, weil einem weniger Zeit dafür bleibt, sich mit viel Engagement und Einsatz bestimmten Überzeugungen und Interessen zu widmen. Etwa, weil da eine Familie ist, die einen beansprucht.