Ich muss ein Geständnis machen: Ich liebe es, in fremden Badezimmern zu stöbern. Ich kann keine Toilette aufsuchen, ohne das Schränkchen unter dem Lavabo zu öffnen. Ich schaffe es nicht, mir die Hände zu waschen, ohne einen Blick in den Spiegelschrank zu riskieren. Ich kann wirklich kein Bad betreten, ohne heimlich hinter den Duschvorhang zu linsen. Gerade jetzt, wo die Welt mal wieder in Scherben liegt, fröne ich meinem semi-verbotenen Laster wesentlich häufiger als noch vor ein paar Wochen. Warum? Ich denke in fremden Badezimmern weniger an Krieg, Mord und Totschlag. Aus diesen Gründen:
Erstens: Ich mag Menschen. Eine Liebe, die ich in den langen Jahren der Pandemie oftmals nicht so richtig ausleben durfte. Und wo menschelt es mehr als auf dem WC? Nasszellen geben nämlich – mehr noch als Kühlschränke – Auskunft über den Charakter ihrer Besitzer:innen. Anhand des Inhalts eines Spiegelschrankes ist es ein Leichtes, Frauen von Männern, Heteros von Homos, Singles von Nicht-Singles, Chemikerinnen von Naturalisten und Puristen von Sammlerinnen zu unterscheiden.
Zweitens: Ich bin schlicht und ergreifend sehr interessiert an den Körperpflegeritualen anderer Menschen. Da ich schon sehr lange allein wohne, verfüge ich nämlich – abgesehen von mir selbst – über keinerlei badezimmerspezifische Referenzen. Und weil die Frage «Darf ich dir mal beim Duschen zuschauen» erfahrungsgemäss zu eindeutig verstanden wird, bin ich dazu gezwungen, von Produkten auf Tätigkeiten zu schliessen.
Drittens: Das Bad ist oft der einzige Raum in einer fremden Wohnung, in dem man sich ein paar Minuten allein aufhalten kann, ohne verdächtig zu wirken. Es empfiehlt sich sogar, die Türe abzuschliessen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich nicht die Einzige bin, die unter diesen Umständen von ihrer Neugier manchmal kurz übermannt wird.
Viertens: Mein feministischer Forscherinnen-Geist ist ausgesprochen ausgeprägt. Und das Bad eignet sich vorzüglich als Ort der wissenschaftlichen Beobachtung. Trotz Pinky-Gloves-Skandal scheinen nämlich immer noch erschreckend viele Frauen Angst vor ihren eigenen Geschlechtsteilen zu haben – anders kann ich mir die vielen unnötigen Produkte zur Intimpflege nicht erklären, die in den Badezimmern von Frauen rumstehen.
Was mich regelrecht schockiert, ist die Erkenntnis, dass die meisten meiner weiblichen Bekannten Tampons mit einem Applikator verwenden. Der Sinn des Applikators erschliesst sich mir nicht. Er produziert unnötigen Abfall, trägt nicht zur Sauberkeit des Badezimmers bei (nebst benutzten Tampons gammeln im Abfall dann auch noch blutige Röhrchen vor sich hin) und ist ausserdem nicht besonders angenehm zu verwenden. Scharfkantige Kartonröhrchen in sensible Körperöffnungen zu stecken, fühlt sich selten wirklich gut an. Der einzig für mich ersichtliche Vorteil eines Applikators ist es, dass frau damit die Berührung zwischen Vagina und Hand vermeidet, indem sie den Applikator benutzt. Was wiederum impliziert, dass Frauen ihre eigene Muschi irgendwie eklig finden bzw. nicht berühren wollen.
Da fällt mir ein: Stell dir vor, es würde eine Einwegzange auf den Markt gebracht, mit der Männer beim Pinkeln ihr Schnäbi halten können, ohne sich die Finger schmutzig zu machen. Würde so etwas Absatz finden? Wohl kaum. Ich sage nur: Pinky-Gloves-Gate reloaded.
Ein weiteres Beispiel für die Angst der Frauen vor ihrer Vagina sind Slipeinlagen. Auch diese finden sich in allen erdenklichen Formen, Farben und Grössen in fast allen Badezimmern, die von Frauen frequentiert werden. Ihr Sinn besteht darin, das Höschen der Trägerin vor deren natürlichen Körperflüssigkeiten zu «schützen» und zum «Sicherheitsgefühl» der «Verwenderin» beizutragen. Im Ernst? Sind unsere Körperflüssigkeiten wirklich so eklig, dass sogar unsere Unterwäsche davor «always» geschützt werden muss? Und wenn mal was daneben – aka ins Höschen – geht, dann sollten wir uns total unsicher fühlen? Versteh ich nicht, irgendwie. Ich für meinen Teil wechsle meine Unterwäsche und wasche mich täglich.
Und wenn wir grad beim Thema Waschen sind: Ich persönlich benutze dazu Wasser und Seife. Mein Bad ist – im Gegensatz zu vielen anderen Bädern – eine intimwaschlotionfreie Zone. Ich weiss schlicht nicht, warum ich dafür Geld ausgeben sollte – schliesslich besitze ich auch keine separaten Waschlotionen für Ohren, Füsse oder meinen Bauchnabel. Und bitte jetzt keine Diskussion über den pH-Wert meiner Muschi. Meine Muschi ist wohlauf und hat kein Problem mit Seife. Sie pflegt mir das in unseren täglichen innigen Konversationen auch mitzuteilen.
Ich behaupte nicht, dass die Jahrtausende alte Tabuisierung des weiblichen Körpers und der weiblichen Sexualität nicht auch bei mir Spuren hinterlassen hat. Diese sind allerdings in meiner Seele zu finden und nicht bei mir im Badezimmer. Dieses – mein eigenes und das von anderen Menschen – sind meine Rückzugsorte, wenn die Welt mal wieder untergeht. Die Verachtung des weiblichen Körpers hat darin nichts verloren.