Frauen als «Mixer» bezeichnen und trans Personen entmenschlichen: Das darf man nach den neuen Meta-Richtlinien.
Ich beobachte besorgt, wie Trumps Freunde im Silicon Valley immer wieder einen draufsetzen. Am Beispiel von Meta (etwa Instagram, Facebook und WhatsApp): Externe Faktenchecks werden für Facebook in den USA abgeschafft und durch sogenannte «Community Notes» ersetzt. Neu soll die Community ihre Inhalte selbst moderieren und nicht mehr eine dafür beauftragte Faktencheck-Organisation. Seit Elon Musk dieses Konzept auf seiner Plattform «X» angewendet hat, sind Hassrede und Rassismus gestiegen – und das Unternehmen hat an Wert verloren.
Hinzu kommt: Der Meta-CEO Mark Zuckerberg ruft auf zu mehr «maskuliner Energie» und betont die Vorteile von Aggressivität. Ich konnte es kaum fassen, als ich zum ersten Mal davon hörte.
Als Reaktion auf diese Entwicklungen werden Stimmen lauter, Meta-Dienste zu verlassen und Zuckerberg zu boykottieren – insbesondere als Frau und Mitglied der LGBT+-Community. Ein Abschied von den sozialen Medien klingt angesichts der aktuellen Tendenzen verlockend, doch ist das wirklich die Lösung? Katzenreels, Stories und Doomscrolling, adieu?
Die negative Seite der sozialen Medien ist mir seit Langem bekannt: Die Plattformen schaden unserer psychischen Gesundheit. Mädchen und Frauen sind davon stärker betroffen als Jungen und Männer, Jugendliche der LGBT+-Community mehr als heterosexuelle Jugendliche. Bubbles sind real und Algorithmen undurchsichtig – um nur einige Punkte zu nennen.
Ich halte mir beim Umgang mit sozialen Medien vor Augen: Hinter den Plattformen stehen profitorientierte Konzerne, die in erster Linie an meine Daten wollen.
Aus diesen Gründen habe ich mit 14 Jahren meinen Instagram-Account deaktiviert, nachdem ich die Plattform rund ein Jahr genutzt hatte. Daraufhin änderte sich mein Zeitgefühl, ich las deutlich mehr Bücher und ersparte mir unnütze Informationsflut. Jedoch bekam ich News aus dem Bekanntenkreis und Gossip spät oder gar nicht mit, die meisten Trends gingen an mir vorbei, und ich verpasste Ticketverkäufe für Konzerte.
Auf Instagram zurückgebracht hat mich mein politisches Engagement. Ich möchte sichtbar sein, meine Anliegen teilen, auf Themen aufmerksam machen, mich verbünden, andere unterstützen. Heute kann ich sagen: Ohne Social Media wäre ich nicht da, wo ich aktuell stehe, und würde diese Kolumne nicht schreiben.
Dank LinkedIn konnte ich mein Netzwerk in den letzten Jahren erweitern und mit 19 Jahren meine Selbstständigkeit neben dem Studium aufbauen. Dank Instagram erreiche ich weitaus mehr Menschen, als ich im realen Leben antreffe.
Social Media ist trotz aller berechtigten Kritik für mich ein Sprachrohr und das basisdemokratischste Medium, das wir haben. Jede und jeder kann einen Post hochladen. Hingegen haben nur wenige Einfluss darauf, was in den Zeitungen steht, welche Themen im Fernsehen besprochen werden, worüber berichtet wird.
Die sozialen Medien sind bei Weitem nicht perfekt, und doch bieten sie Chancen. Man muss sie zu nutzen wissen – und sich vor den negativen Aspekten schützen.
Ist die komplette Verweigerung dafür der richtige Weg?
Sie wäre auf jeden Fall nichts Neues. Bereits in der Vergangenheit verliessen Nutzer:innen die Plattformen aus politischem Protest, beispielsweise 2018 wegen des «Cambridge Analytica»-Skandals Facebook. Schon seit Längerem wenden sich Millionen von Musks Plattform «X» ab. Als Reaktion auf die Abschaffung von Faktenchecks in den USA riefen einige Prominente mit dem «Lights Out Meta Boycott» dazu auf, während einer Januarwoche allen Meta-Diensten den Rücken zu kehren.
Ich finde: Wenn wir uns von den sozialen Medien verabschieden, verlieren wir nicht nur die positiven Aspekte der Plattformen, sondern auch unsere Sichtbarkeit. Die sozialen Medien sind aus unserer Demokratie nicht mehr wegzudenken. Damit diese fortbesteht, müssen wir den Diskurs aufrechterhalten – auch auf Social Media.
Auf gesellschaftlicher Ebene heisst das für mich: Es ist höchste Zeit, die Medienkompetenzen aller Altersgruppen zu stärken.
Meine Tipps für einen bewussten Umgang mit den sozialen Medien:
- App-Sperren: Ich habe eine zusätzliche App mit Kurzbefehlen installiert. Öffne ich Instagram, kommt so zuerst eine Atemübung. Nur wenn ich diese durchführe, kann ich Instagram öffnen – ansonsten bleibt Letzteres gesperrt. Damit spare ich rund 20 Minuten am Tag.
- Zeitlimits: Nie wieder Doomscrolling ist möglich – mit einer Zeitbeschränkung für Social-Media-Apps. Ebenso mit zeitlichen Beschränkungen, sodass ich direkt nach dem Aufwachen und vor dem Einschlafen nicht durch Stories swipe.
- Haters gonna hate: Konstruktive Diskussion ja, aber Hasskommentare und -nachrichten keinen Raum geben. Darum: Abgrenzen, melden und blockieren.
- Die Stummschalten-Funktion gibt’s aus einem Grund: Manche Inhalte tun mir nicht gut. Die entsprechenden Accounts schalte ich stumm und moderiere so aktiv, was in meinem Feed landet.
- Mitteilungen aus: Insbesondere bei den klassischen sozialen Medien wie Facebook und Instagram lasse ich die Mitteilungen ausgeschaltet, ausser ich brauche sie für die Arbeit. Wenn’s wichtig ist, kann man mich per Telefon erreichen.
Sollten wir Instagram und Co. also aus politischem Protest verlassen? Meine Antwort lautet: Nein.
Mir ist es wichtiger denn je, laut und authentisch zu bleiben und mich für Repräsentation und demokratische Werte einzusetzen – auch auf Social Media. Ich überlege mir jeweils: Wer würde davon profitieren, wenn wir aufgeben? Es sind konservative, antidemokratische Kräfte. Das treibt mich an, immer weiterzumachen.
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