Zunächst eine traurige Wahrheit: Eigentlich müsste niemand auf diesem Planeten Hunger leiden. Nahrung wird genügend produziert. Bloss ungerecht verteilt ist sie. Vor diesem Hintergrund wirken die Ergebnisse des Ernährungsreports der «Schweizer Allianz für nachhaltige Ernährung weltweit» (Sufosec) umso erschreckender: Seit 2015 steigt der Hunger wieder massiv an. Die momentane Vielzahl an Krisen verschärft diese Entwicklungen zusätzlich. Und: Frauen trifft es härter.
Seit Beginn der Coronapandemie stieg die Zahl der von Hunger betroffenen Menschen weltweit um 150 Millionen auf 828 Millionen Menschen. Das bedeutet: Jeder zehnte Mensch ist von Hunger betroffen. Und davon sind rund 60 Prozent weiblich. Eine besonders irritierende Zahl angesichts der Tatsache, dass Frauen in den meisten Ländern für die Beschaffung und Zubereitung von Nahrung zuständig sind – und 60 Prozent der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte stellen. 2020 lag die Wahrscheinlichkeit, als Frau unter Mangelernährung oder Hunger zu leiden, elf Prozent höher als bei Männern. 2030 könnte die Zahl bei 14 Prozent liegen.
Interessante Zahlen finden sich zudem bei der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO): Im Globalen Süden könnte der landwirtschaftliche Ertrag um 20 bis 30 Prozent gesteigert werden, hätten Frauen dieselben Landzugangs- und Nutzungsmöglichkeiten wie Männer. Dadurch würde die lokale Ernährungssicherheit steigen, und die Zahl der hungernden Menschen liesse sich weltweit um rund 12 bis 17 Prozent reduzieren.
Eine, die weiss, was hinter all diesen Zahlen steckt, ist Sabine Maier. Sie ist Geschäftsführerin der NGO Vivamos Mejor, eine der sechs Allianzpartnerinnen von Sufosec und Co-Chair der Allianz.
Sabine Maier, Frauen bekommen weltweit weniger zu essen als Männer. Wie erklären Sie sich das?
Natürlich hat es damit zu tun, dass Frauen noch immer oft keine gleichberechtigte Stellung in der Familie haben. Studien belegen, dass lediglich 20 Prozent der Frauen Land besitzen. Frauen leiden mehr an Anämie, also an Blutarmut, weil sie sich zu wenig gut ernähren und oft nur essen, was nach der Versorgung von Mann und Kindern noch übrig bleibt. Dahinter stecken strukturelle, patriarchale Gründe.
Was heisst das? Warum steigt die Zahl der hungernden Frauen?
Dass der Anteil der Frauen stärker zunimmt, hat unter anderem damit zu tun, dass in vielen Ländern in der Krise die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern wieder zugenommen hat. Global gesehen sind Frauen öfter im unregulierten Arbeitsmarkt tätig und haben öfter prekäre Jobs, die in Krisen als erste wegfallen. Frauen haben auch weniger Zugang zu Kapital und können Einkommensengpässe weniger gut abfedern. Hinzu kommt, dass in vielen Ländern während der Coronapandemie Schulen und Kinderbetreuung monatelang geschlossen waren. Auch das hinderte die Frauen daran, das nötige Einkommen zu erzielen – weil sie es waren, die die Kinder betreuten. All diese Faktoren tragen dazu bei, dass Frauen mehr unter Hunger leiden.
Weltweit ist fast jede dritte Frau im Alter zwischen 15 und 49 Jahren von Blutarmut betroffen. Das sind 571 Millionen Frauen. Beschränken sich die Folgen von Mangelernährung auf den Globalen Süden?
Nein. Mangelernährung ist auch in sogenannten entwickelten Ländern ein Thema, äussert sich aber etwas anders. Mangelernährung heisst, dass man nicht ausgewogen genug isst. Das ist oft auch eine Frage des Budgets und des Wissens. Es kann also sein, dass man zwar Mangelerscheinungen wie Blutarmut hat, aber übergewichtig ist. Besonders heikel ist Mangelernährung in der Schwangerschaft. Denn sie hat auch eine Wirkung darauf, dass Kinder bereits zu leicht und zu klein auf die Welt kommen – dass also auch die nächste Generation unterernährt ist. Das heisst: Wenn wir die Ernährung der Frauen verbessern, durchbrechen wir diesen Teufelskreis.
Bedeutet das auch, dass die Entwicklungszusammenarbeit in den letzten Jahrzehnten nur wenig gebracht hat?
In vielen Bereichen hat die Entwicklungszusammenarbeit bedeutende Fortschritte erzielt, das geht oft vergessen. Es sind mehr Kinder und auch mehr Mädchen in der Schule als noch vor 20 Jahren, mehr Menschen können schreiben und lesen. Bis 2015 sank zudem der Hunger weltweit stetig bei Frauen und Männern. Mit den Krisen gibt es einen beunruhigenden Knick in diesen Entwicklungen, der mir Sorgen bereitet. Aber die Frage ist, ob diese Krisen die Ärmsten nicht noch viel härter getroffen hätten ohne die vorangegangene Entwicklungshilfe.
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