Wer auf Social Media unterwegs ist, kam in den vergangenen Wochen kaum am viralen Sound der TikTokerin «Girl On Couch» vorbei. Seit ich ihn zum ersten Mal gehört habe, kriege ich den Ohrwurm nicht mehr aus dem Kopf.
«I'm looking for a man in finance. Trust fund. 6’5". Blue eyes.»
Klingt nach einem perfekten Sommerhit, der den Nerv der Zeit trifft. Das fanden wohl auch der DJ David Guetta und das Songwriting-Duo Billen Ted, die gemeinsam mit Girl On Couch, die eigentlich Megan Boni heisst, einen Song produzierten.
Heute Morgen sang ich den Ohrwurm beim Haarewaschen und stoppte mit dem Einmassieren des Conditioners, als ich realisierte, was ich da gerade summe. Als Feministin mit dem Anspruch an mich selbst, eigenständig und finanziell unabhängig zu sein, widerstrebt es mir, einen Man in Finance zu wollen. Als ich aus der Dusche kam, begann ich, Artikel und Kolumnen über den Trending Sound zu lesen. Häufige Meinungen dazu sind, dass wir jungen Gen Z-Frauen nicht besser wären als all die Generationen von Frauen zuvor, indem wir uns wünschen, von einem reichen Prinzen gerettet zu werden. Unsere Ambition wäre, als «Stay at Home-Wifeys» und «Pilates-Moms» unser Leben zu geniessen – auf Kosten der «Men in Finance».
Diese Logik finde ich zu einfach. Einige fragen sich jetzt, wie ich darauf komme – schliesslich singt Megan Boni genau das? Dann analysieren wir doch mal die Bedeutung des Sounds.
Es geht um eine junge Frau, die ihre Erwartungen an ein Date äussert. Sie sagt, dass sie einen grossen Mann mit blauen Augen möchte, der in der Finanzbranche tätig ist und einen Trust Fund hat. Falls sich beim Lesen jemand die Frage stellt, was ein Trust Fund sein könnte, Chat GPT erklärt ihn folgendermassen: «Ein Trust Fund, oder Treuhandfonds auf Deutsch, ist eine rechtliche Einrichtung, die dazu dient, Vermögenswerte im Namen einer anderen Person zu halten und zu verwalten.»
Kommentare interpretieren die Beschreibung so: Girl On Couch sucht einen gutverdienenden, gutaussehenden Mann, der grösser ist als sie, der ihr das Leben finanziert, während sie auf der Couch sitzt. Diese Interpretation stülpen sie nicht nur Megan Boni, sondern einer ganzen Generation über. Mit dem Fazit, wir seien alle nicht feministisch.
Ist es unfeministisch, einen reichen Märchenprinzen zu wollen?
Nein, ist es nicht. Es ist unfeministisch, Frauen vorschreiben zu wollen, was sie begehren sollten und wie sie zu leben haben. Oder dass sie ihre Begierde am besten gar nicht äussern sollten. Würde Megan Boni singen, dass sie sich einen «Stay at Home-Hubbie» wünscht, so würden ihr die gleichen Kolumnist:innen vorwerfen, dass sie Männer unterdrücken wolle und das Matriarchat fordere.
Megan Boni wird in «People» zitiert, dass sie mit ihrem Song überhöhte Ansprüche von Single-Frauen an ihre Dates verspotten wollte. Laut Megan Boni herrschten unrealistische Anforderungen an Männer in der heutigen Online-Dating-Ära. Jetzt überlegt mal, wie es uns Frauen geht.
Kehren wir es um. Würde ein junger Mann in einem TikTok singen, dass er sich eine Karrierefrau wünscht, die kleiner ist als er und normschön, was würden die gleichen Zeitungen dann schreiben? Wahrscheinlich nichts, weil das gefühlt jeder dritte Typ auf Dating-Apps in seiner Bio stehen hat.
In meinem Kopf höre ich gleich die misogyne Stimme, die fragt, was wir denn heute beim Daten überhaupt noch für Ansprüche stellen dürften? Früher sei doch alles besser gewesen. Ja, auch ich als junge Feministin bin nicht geschützt vor diesem patriarchalen Einfluss. Trotzdem lautet meine Antwort: Alles, was du willst. Wichtig ist nur, dass du deine Anforderungen an das Gegenüber reflektierst und du mit den Konsequenzen dieser Ansprüche leben kannst.
Ich stelle mir häufig die Frage: Was ist mir im Leben wirklich wichtig? Was möchte ich selbst und was schreibt mir die Gesellschaft vor? Manchmal ist das unmöglich zu trennen. Doch es ist einen Versuch wert, sich damit auseinanderzusetzen, welchen Weg man einschlagen würde, wenn da nicht der Einfluss unserer Gesellschaft wäre.
Beim Daten geht es unter anderem um Anziehung, Liebe und Glücklichsein. Niemand darf dir vorschreiben, was dich anzieht und was dein Herz höher schlagen lässt.
Ich suche keinen «Man in Finance». Aber ich feier den Sound und hoffe, dass die Diskussion unsere Dating-Kultur ein Stück feministischer macht. Positive side-effect: Viele junge Menschen wissen jetzt, dass es Trust Funds gibt, und einige recherchieren vielleicht, was das Wort zu bedeuten hat. Auch so geht finanzielle Bildung.
PS: Den Sound gibt’s auch in der Katzen-Ausgabe:
«I’m looking for a man with whiskers. Chonky. 1’5”. Green eyes.»