Diese Woche diskutierte der Ständerat über die Reform des Sexualstrafrechts. Derzeit wird der Grundsatz «Ja heisst Ja» gefordert, das heisst: Opfer von sexualisierten Übergriffen müssten neu nicht mehr beweisen, dass sie sich dagegen gewehrt haben. Sondern der Täter müsste nachweisen können, dass sein Gegenüber den sexuellen Handlungen klar zugestimmt hat. Das ergibt insofern Sinn, als dass viele Opfer eines solchen Übergriffs in eine Schockstarre verfallen und so körperlich gar nicht mehr in der Lage sind, sich zu wehren. Oder dass man im Nachhinein oft nicht mehr beweisen kann, dass man etwa durch K.O.-Tropfen ausser Gefecht gesetzt wurde. Und dann wären da noch die gesellschaftlichen Erwartungen daran, wie sich ein Opfer zu verhalten hat; unsere Kolumnistin Agota Lavoyer hat hier ausführlich darüber geschrieben.
Die Reform des Sexualstrafrechts wurde vom Ständerat nur teilweise angenommen. Neu könnten zum Beispiel auch Männer als Vergewaltigungsopfer gelten, das ist im aktuellen Sexualstrafrecht nicht so. In Bezug auf die Zustimmung aber hielt der Ständerat an der «Nein heisst Nein»-Regelung fest. Der weitere Entscheid liegt nun beim Nationalrat.
Wenn Politiker twittern
Am Abend der Verhandlung über die Reform twitterte der SVP-Ständerat Hannes Germann, er hätte eigentlich lieber den Titelgewinn der Kadetten Schaffhausen live miterlebt, als im Ständerat «schier endlos über das Sexualstrafrecht zu debattieren». Dafür erntete er auf Social Media einen Shitstorm, auch wir auf der elleXX-Redaktion waren bestürzt ob einer solchen Äusserung eines Parlamentsmitglieds. For the record: Ich würde auch lieber nur noch Konzerte besuchen, anstatt feministische Kämpfe auszutragen. Aber erstens sind sie nötig, und zweitens verdient Germann als gewählter Volksvertreter sein Geld unter anderem damit, über genau diese Anliegen zu debattieren – egal wie lange.
Nun könnte man Germann theoretisch zugutehalten, dass er mit seinem Tweet sagen wollte: Eigentlich ist es doch klar, dass man hier nicht endlos debattieren muss. Es sollte ein «no brainer» sein, dass das Sexualstrafrecht angepasst wird. Dass eben nur Ja wirklich Ja heisst. Er selber habe übrigens der «längst überfälligen Verschärfung des Sexualstrafrechts» zugestimmt, schob er später auf Twitter nach. Schön. Gleichzeitig stimmte Germann diese Woche allerdings gegen eine Erhöhung der EO-Tagessätze für Mütter, analog zu den Armee- und Zivildienstleistenden. Zu feministisch mag mans bei der SVP dann doch nicht.
Egal, wie Germanns Tweet gemeint war: Von einem Ständeratsmitglied darf man ein gewisses Gespür für gesellschaftliche Stimmungen erwarten, es gehört zum Job dazu. Eine derartige Äusserung verspottet die feministischen Bestrebungen der letzten Jahre und die lange Arbeit, die diverse Parlamentarier:innen und Expert:innen in diese Vorlage gesteckt haben. Sie ist ein Hohn gegenüber Betroffenen von sexualisierter Gewalt – in der Schweiz ist das jede fünfte Frau. Die Dunkelziffer dürfte höher sein. Über diese Übergriffe zu sprechen, geschweige denn, sie zur Anzeige zu bringen, wird noch immer tabuisiert. Dazu trägt auch ein Ständerat bei, wenn er öffentlich kundtut: Handball interessiert mich mehr als die Debatte über das Sexualstrafrecht. Oder ein Nationalrat, der die nachfolgende Aussage ernsthaft lustig findet:
Ich hätte da ein paar Fragen an die beiden Herren: Wie lange ist es her, dass Sie mit dem Schlüssel als Waffe in der Hand nach Hause gelaufen sind? Wem schreiben Sie, wenn Sie sicher dort angekommen sind? Und wann hat man Ihnen zuletzt nicht geglaubt, als sie auf dem Polizeiposten einen Übergriff anzeigen wollten? Ich weiss, sich darüber Gedanken zu machen, ist nicht so spassig wie einen Handballmatch zu schauen. Aber es wäre Ihre Aufgabe als Politiker, die Perspektive zu wechseln und sich zu überlegen, wen Sie mit Ihren Aussagen und «Witzen» treffen könnten.
Wo sind die Frauen?
Die Problematik ist jedoch grösser als Germann, Köppel und ihre herablassenden Tweets: Es fehlen die Frauen in der Politik. Im Nationalrat liegt die Frauenquote zwar bei 42 Prozent – so viel wie noch nie – aber im Ständerat sitzen gerade einmal 12 Frauen. Das entspricht einem Anteil von 26 Prozent. Immer wieder werden dort feministische Vorlagen mit patriarchalen Begründungen abgelehnt. Vor zwei Jahren scheiterte eine national angelegte Kampagne gegen Sexismus. Der SVP-Ständerat Jakob Stark argumentierte damals, die Schweiz könne sich angesichts der Coronapandemie eine «derart fette Kampagne» nicht leisten. Zudem sei der Staat «nicht für alles zuständig». Immerhin, der Bundesrat entschied sich für einen anderen Weg und beschloss 2021 eine nationale Gleichstellungsstrategie. Dennoch: Gender Budgeting spielt in der Schweizer Politik eine Nebenrolle. Frauenhäuser sind seit Jahren unterfinanziert, viele Beratungsstellen für Opfer von sexualisierter Gewalt werden nicht vollständig durch die Kantone finanziert, sondern sind oft auf öffentliche Spenden oder Mitgliederbeiträge angewiesen.
Fest steht: Es braucht mehr Frauen in der Politik. Menschen, die feministische Anliegen verstehen und sie umsetzen wollen. Die historische Frauensession letztes Jahr hat gezeigt: Die Frauen sind bereit dafür. Nehmen wir unsere politische Stimme wahr und nutzen wir sie. Egal, ob als Vertreterin im Bundeshaus, als Demo-Teilnehmerin am feministischen Kampftag nächste Woche, als Spielverderberin auf Twitter oder am Stammtisch, als Mutter, die ihren Kindern beibringt, was es für Gleichberechtigung braucht, als Journalistin, Aktivistin, Freundin oder als Lehrerin. Und als Wählerin bei den nächsten Parlamentswahlen im Oktober 2023.
Die Stimmen von uns Frauen haben Gewicht, wir sind wütend, und wir haben recht damit. Es ist 2022. Es muss verdammt nochmals endlich einmal fertig sein mit den herablassenden Sprüchen der Boys Clubs und einer Bully-Atmosphäre wie auf dem Primarschul-Pausenplatz. Erst dann können wir alle in Ruhe Handball schauen.