Es war ein Gespräch an einer Bar. Ich traf einen Bekannten, und wie so oft landeten wir beim Thema sexuelle Belästigung und sexualisierte Gewalt. Ich erzählte davon, wie schade es sei, dass Männer kaum an Veranstaltungen kommen, bei denen es um sexualisierte Gewalt geht. Mein Bekannter zeigte kein Verständnis für meinen Frust. Kurz zusammengefasst meinte er: Es sei ja klar, dass sich Männer nicht so für dieses Thema interessierten. Er zum Beispiel hätte einfach keine Berührungspunkte mit dem Thema. Zudem sei es unterdessen echt mühsam, dass ständig über sexuelle Belästigung geredet werde und Frauen in jedem normalen Verhalten Sexismus sehen würden.
Ich holte tief Luft und bildete mir ein, dass, wenn ich gut genug argumentierte, er es verstehen würde. Tat er aber nicht. Irgendwann verliess ich wütend und frustriert die Bar. Das Gespräch verfolgte mich noch tagelang. Als ich ihn das nächste Mal traf und auf unser letztes Treffen ansprach, wusste er nicht einmal mehr, worüber wir gesprochen hatten. Da fasste ich einen Entschluss: Ich werde in Zukunft Gespräche mit Menschen, die das Ausmass und die Folgen von sexualisierter Gewalt ignorieren, nicht mehr führen. Es ist kräftezehrend und ermüdend. Während für meinen Bekannten das Gespräch höchstens mühsam war, waren für mich seine Ignoranz und emotionale Distanziertheit verletzend. Wenn ich über sexualisierte Gewalt rede, kann ich nie nur als Fachperson reden. Und im Gegensatz zu meinem Bekannten habe ich als Frau nicht das Privileg, mich nicht interessieren zu müssen für Sexismus und sexualisierte Gewalt.
Es ist nicht nur anstrengend, immer und immer wieder auf sexualisierte Gewalt hinzuweisen, als Frau muss ich auch noch aufpassen, dass sich das männliche Gegenüber nicht auf den Schlips getreten fühlt. Sobald Männer Frauen als kompliziert, mühsam, hysterisch oder zu emotional wahrnehmen, hören sie ihnen noch weniger zu.
Kommen wir zurück zu meinem Bekannten und seinen Argumenten.
Als Mann zu behaupten, keine Berührungspunkte mit Sexismus und sexualisierter Gewalt zu haben, ist schlicht ignorant. Gewalt an Frauen ist kein Frauenthema – auch wenn sie seit Jahrzehnten als solches abgewertet wird. Männer haben nicht nur Berührungspunkte, weil sie mit Frauen leben und arbeiten, sondern schlicht: weil sie Männer sind und damit zu der Gruppe von Menschen gehören, von der die überwiegende Mehrheit der Abwertungen, Grenzverletzungen und Gewalttaten an Frauen ausgeübt wird. Auch wenn ein Mann selber noch nie die Grenzen einer Frau überschritten hat, hat er wahrscheinlich Freunde, Kollegen und Verwandte, die das getan haben. Jeder Mann hat Berührungspunkte mit sexualisierter Gewalt, mindestens so viele wie Frauen.
Ja, es ist in der Tat mühsam, wird so viel über sexualisierte Gewalt gesprochen. Aber bekanntlich verschwindet ein Problem nicht, wenn man nicht mehr darüber spricht. Nicht nur haben Männer das Privileg, kaum von sexualisierter Gewalt betroffen zu sein. Sie haben auch das Privileg, sich dem Thema entziehen zu können und sich auch nicht mit eigenem Fehlverhalten auseinandersetzen zu müssen. Eigentlich müssten wir noch viel mehr über sexualisierte Gewalt reden, bis sie endlich auch von Männern als vordringliches gesellschaftliches Problem wahrgenommen und ihr konsequent entgegengewirkt wird.
Widmen wir uns also den Privilegien. Privilegien sind unverdiente Vorteile, die ein Mensch geniesst. Ich, als weisse schlanke heterosexuelle cis-Frau ohne Behinderung, habe sehr viele Privilegien. Ich erfahre keinen Rassismus, keine Dickenfeindlichkeit und keine Abwertung aufgrund meiner sexuellen Orientierung oder einer Behinderung. Privilegien zu geniessen heisst nie, dass man keine Schwierigkeiten im Leben hat oder hatte. Es heisst nicht, dass man nicht auch hart gearbeitet hat für das, was man erreicht hat. Privilegien zu haben heisst schlicht, einen Teil der Schwierigkeiten, die andere haben, nicht zu haben.
Ein cis-Mann geniesst Privilegien, die ich aufgrund meines Geschlechts nicht habe. Dazu gehört das Privileg, als Erwachsener wahrscheinlich nie sexualisierte Gewalt zu erfahren. Dies ermöglicht einem Mann, emotional distanzierter über das Thema nachdenken und reden zu können. Und genau darauf will ich hinaus: Es ist nicht fair, das ganze Engagement gegen eine Diskriminierung der Gruppe der Diskriminierten zu überlassen. Weil es für die Diskriminierten um ein Vielfaches anstrengender und herausfordernder ist, sich zu engagieren und dabei auch noch zu riskieren, erneut abgewertet und lächerlich gemacht zu werden. Konkret: Für einen Mann ist es viel weniger belastend, gegen sexualisierte Gewalt zu argumentieren, als für eine Frau.
Sich als Mann gegen sexualisierte Gewalt zu engagieren, wenn man das Thema bisher erfolgreich von sich gewiesen hat, bedeutet Arbeit. Sie zu leisten, ist aber von immenser Bedeutung. Sexualisierte Gewalt ist Männergewalt und muss (auch) von Männern bekämpft werden. Wenn Männer so viel Macht haben, dass sie in dem Ausmass sexualisierte Gewalt ausüben können, dann haben sie auch die Macht, sexualisierte Gewalt zu beseitigen. Liebe Männer, bitte nutzt euer Privileg und engagiert euch. Informiert euch über sexualisierte Gewalt und Rape Culture, hört Betroffenen zu, lest Bücher, stärkt eure Argumente. Fangt an, euch mit den eigenen Fehlern auseinanderzusetzen und sie aktiv im Umfeld zu thematisieren. Und wählt Politiker:innen, die sich gegen sexualisierte Gewalt einsetzen. Im Gegenzug verspreche ich, dass ich für jedes nicht geführte Streitgespräch über sexualisierte Gewalt meine Privilegien auch nutzen und ein Gespräch über Rassismus, Ableismus oder Dickenfeindlichkeit führen werde.