Wir fragen Männer, was sonst nur Frauen gefragt werden. Heute den YouTuber und Mathe-Erklärer Daniel Jung.

Kamera an: Ein Dienstagmorgen, Daniel Jung sitzt vor dem Bildschirm. Im Hintergrund prominent platziert sind Auszeichnungen und eines seiner Bücher. Er trägt seine eigene Merch, ein schwarzes Polohemd, und grinst in die Kamera. Bereit, sich den Männerfragen zu stellen. Im Gespräch verrät der Unternehmer unter anderem, ob er mit negativen Kommentaren umgehen kann.

Du erreichst mit deinen Videos Millionen und wirst von Schweizer Medien schon mal als «Mathe-Gott» bezeichnet. Gerade als Mann: Wie hast du gewusst, dass du schlau genug für die Mathematik bist?

Das hat sich in der Schulzeit ergeben, wo ich immer nur zwei Sachen gut konnte: Sport und Mathematik. Alles andere fand ich langweilig. In der fünften oder sechsten Klasse, wenn morgens der Gong ertönte und die Hausaufgaben nicht gemacht worden waren, hatte ich die Hälfte der Klasse an meinem Tisch. Sie fragten, ob ich helfen könne. Dafür bekam ich damals einen Tadel. Da zeigte sich bereits: Entweder wird mein Lebensweg im Sport oder in der Mathematik verlaufen.

Männer überlegen es sich ja dreimal, bevor sie etwas wagen: Wie konntest du den Menschen im Internet beweisen, dass du rechnen kannst?

Erstmal habe ich 2001 das Abitur gemacht. Damals war ja noch alles analog. Dann habe ich mich im ersten Unisemester selbstständig gemacht mit einer Tennis- und einer Nachhilfeschule. Erst später, in den USA, entdeckte ich, dass amerikanische Universitäten ihre Vorlesungen auf eigenen Plattformen und auf YouTube aufzeichneten. Ich sagte mir: Wenn es Eliteuniversitäten machen, dann kann ich das auch. Dann überlegte ich mir, was ich gut kann.

Und das wäre?

Mathe in Kürze erklären. Keine eineinhalbstündigen Vorlesungen, sondern  fünf- bis zehnminütige Tutorials. Diese Videos stellte ich auf eine eigene Plattform. Das ging völlig in die Hose, weil sie zu teuer war und kein Geschäftsmodell hatte. Da YouTube «umsonst» war, lud ich die Videos einfach weiterhin dort hoch. 2011/12 war YouTube noch die eine Videoplattform. Das Feedback auf die kurzen Erklärvideos war von Anfang an sensationell.

Männer machen ja häufig Gratisarbeit. Wie verdienst du Geld mit deinen Gratisvideos?

(Lacht.) Ich brauchte erstmal drei Jahre, um auf YouTube die Monetarisierung einzustellen. Mein damaliger Filmer brachte mich auf die Idee, dass ich durch die Gratisvideos Geld verdienen könnte, indem YouTube zuvor Werbung abspielt. In den letzten zehn Jahren habe ich über diese Gratismethode einen Brand aufgebaut, dass man mich kennt als «das ist der Mann vor der weissen Tafel, der uns durchs Abi oder durchs Studium gebracht hat». Um diese Marke und Reichweite konnte ich Geschäftsmodelle aufbauen, beispielsweise durch Kooperationen mit Firmen, die an die entsprechende Zielgruppe herankommen wollen.

Du unterschätzt dich bestimmt oft?

Äh … jein? Es ist ein gesunder Mix zwischen unter- und überschätzen. Ich habe mich in den letzten Jahren auch ein paarmal überschätzt. Ich dachte, dass ich das Bildungssystem ändern könnte … Was ein Trugschluss war. Ich habe viel Geld verbraten, indem ich eine Plattform bauen wollte, um Millionen von Menschen auf eine eigene Plattform zu bringen. Dafür suchte ich Investorengelder – und fand keine.

Wann hast du dich unterschätzt?

Unterschätzt habe ich mich bei der Dimension der Reichweite, die ich mit meinem YouTube-Kanal habe. Praktisch jede:r Schulabgänger:in, ist schon mal mit meinem YouTube-Kanal in Berührung gekommen, weil er oder sie ein Matheproblem hatte. 

Daniel Jung
Ich sagte mir: Wenn es Eliteuniversitäten machen, dann kann ich das auch.

Andere Frage: Hast du Kinder?

Nein, ich habe nie Zeit dafür gehabt. Das Unternehmertum hat mich abgelenkt. Ich bin stolzer Onkel von zwei Nichten und einem Neffen. Aber selbst hab ich’s noch nicht geschafft.

Du bist mit 43 Jahren nicht mehr ganz so jung.

Naja!

Merkst du dein Alter?

(Überlegt.) Also ich fühle mich eigentlich noch ganz fit. Fitter als so manche Anfang vierzig. Mein Alter merke ich, wenn ich fünfmal in einer Woche im Fitnessstudio war. Dann ist es härter, aus dem Bett zu kommen. Das ging früher einfacher. Oder: Früher habe ich von mittwochs bis sonntags jeden Abend Party gemacht und trotzdem durchgearbeitet. Das ist heute schwieriger.

Ihr Männer seid ja das eitle Geschlecht – wie hältst du dich in Form?

Mit Sport. Ich gehe viel joggen, viel ins Fitnessstudio, und ich pflege meine alte Liebe, das Tennisspielen.

Als männlicher Influencer: Was ist dein Geheimtipp für den perfekten Glow vor der Kamera? 

(Lacht.) Die Würze liegt in der Kürze – also nicht zu lange vorbereiten. Für mich ist der Glow der Inhalt. Meine Videos glänzen, indem sie die Mathematik in Kürze erklären. Ich habe mich nie darum gekümmert, ob ich pudern muss oder nicht. Als Markenzeichen halte ich meinen Bizeps vor der Tafel, lächle auch am Ende immer noch in die Kamera und versprühe einen Charme nach dem Motto: Und, hast du’s verstanden oder nicht? 

Keine Angst, vor lauter Bizeps vom Inhalt deiner Videos abzulenken?

(Lacht.) Gemäss Rückmeldungen lenke ich teilweise schon ab mit meinem Bizeps. Ich selber versuche, einfach mein Matheding durchzuziehen. Und hoffe, dass mein Aussehen nicht zu sehr ablenkt. Allerdings bekam ich bereits Rückmeldungen wie «Tafel vor lauter Bizeps nicht gesehen».

In deinen Videos berechnest du alles Mögliche. Hast du schon mal ausgerechnet, wie viel Zeit du täglich in dein Äusseres investierst?

Nein. Ich wurde das schon öfters gefragt, weil ich es in den letzten Jahren wohl hinbekommen habe, dass ich ein wenig jünger aussehe, als ich bin. Ich sage immer: Eine gesunde Ernährung und viel Sport sind schon die halbe Miete.

Ist das also dein Schönheitstipp?

Ja! Und ein paar Zusatzpillen wie Vitamin D. Plus ab und zu stressfreier Urlaub.

Du hast jetzt Stress erwähnt. Wie kommst du mit dem Mental Load klar?

Boah, teilweise gar nicht. Ich bin tatsächlich gerade an so einem Punkt. In den letzten Jahren habe ich auf viel verzichtet für Gratiscontent im Internet. Ich arbeite gerade daran, dass ich diese ganze Matheecke bestmöglich monetarisiere, um irgendwann auch mental runterzukommen. Vor allem die letzten drei Jahre waren extrem stressig, weil ich viele Fuck-ups hatte. Ich versuche, mit Sport etwas runterzukommen. Und ich suche einen Weg, meinen Mathebrand zu vergolden.

Daniel Jung
Mein Alter merke ich, wenn ich fünfmal in einer Woche im Fitnessstudio war. Dann ist es härter, aus dem Bett zu kommen.

Was machst du, damit die Leute nicht denken, du seist überheblich?

Ach, ich versuche, einfach so zu sein, wie ich bin. Wenn ich in einem Café sitze und jemand nach einem Foto fragt, dann versuche ich, das wahrzunehmen. Wenn Leute ein Gespräch haben wollen, versuche ich, diese Zeit abzuzwacken. Ich versuche, höflich zu sein. Von zu Hause aus habe ich viele Werte mitbekommen, ich komme ja noch aus der alten Schule. Ich glaube, das kommt ganz gut an. Bis heute versuche ich, auf YouTube jeden Kommentar mitzunehmen und auf die Community einzugehen.

Bekommst du nur gute Kommentare?

Nicht nur, nein. Überwiegend aber schon. Vereinzelte Kommentare wie «Der Mann hat ja keinen Abschluss, warum stellt er sich als Mathe-Guru dar» oder «Was fällt dem ein, Wissen weiterzugeben, der hat ja keinen Abschluss» gibts auch. Ich bin da relativ entspannt. Ich sage manchmal: Ich könnte krebsheilend über Wasser laufen, und irgend jemand würde doch etwas finden, das nicht gut ist. 

Wenn du einen negativen Kommentar liest, wie fühlst du dich?

Es gab eine Zeit vor fünf, sechs Jahren, da hat mein Herz gepocht, meine Hände zitterten und ich versuchte, mich auf eine Art Diskussion einzulassen. Aber ich habe gemerkt: Du kannst es nicht allen recht machen. Wenn du das akzeptierst, dann wägst du nur noch ab, ob der Kommentar rufschädigend ist und du ihn deshalb melden solltest.

Ihr Männer geltet als emotional. Bist du Kopf- oder Bauchmensch?

Ach, ich bin ein gesunder Mix, weil ich aus der Mathematik kommend eher rational unterwegs bin, aber auf mein Bauchgefühl höre. 

Daniel Jung
Wahrscheinlich lässt ein qualitativer Inhalt das Aussehen charmanter wirken.

Möchtest du mit deinen Mathevideos zeigen, dass auch Männer es gut mit Zahlen können?

(Schmunzelt.) Ich habe mir nie darüber Gedanken gemacht, wer Mathe gut kann oder nicht. Ich wollte Wissen bereitstellen, und zwar für alle – egal, ob Mann, Frau oder was auch immer. Ich sehe es als meine Aufgabe, das Wesen der Mathematik allen zugänglich zu machen. Und ich hoffe, dass maximal viele Menschen sagen: «Hey, Mathe war gar nicht so schlimm. Ich wusste gar nicht, wie einfach das ist.» Und im besten Fall, wie manche Leute schreiben: «Ich habe die Liebe zur Mathematik gefunden.»

Was machst du, damit du beim Erklären nicht ins Mansplaining verfällst?

In ein was?

Mansplaining, kennst du das?

Was ist denn Mansplaining?

Wenn Männer versuchen, vor allem Nicht-Männern die Welt zu erklären.

Hmm … Ja, das ist eine sehr gute Frage. Ich versuche, mich beim Erklären darauf zu fokussieren, wie der Inhalt am einfachsten rübergebracht wird, und denke gar nicht daran, wer mich schaut. Ich überlege mir, wie ich ein Thema am besten verstehen würde, und erkläre es dann maximal einfach. Meine Statistiken zeigen, dass ein sehr diverses Publikum meine Videos schaut und ich gut bei ihnen ankomme.

Ist es dir wichtig, bei anderen Menschen gut anzukommen?

Mir wars immer wichtig, dass man die Inhalte versteht. Wenn das unter gut ankommen gemeint ist, dann ja. Mir wars aber nie wichtig, ob ich von meinem Äusseren her gut ankomme. Wahrscheinlich lässt ein qualitativer Inhalt das Aussehen charmanter wirken.

Wie wählst du die Farbe deines T-Shirts oder Pullis aus?

(Lacht.) Gar nicht. Ganz am Anfang trug ich ein kariertes Hemd, dann ein Tennishemd. Irgendwann schaute ich in den Schrank und hatte drei Farben an Hugo-Boss-Polohemden. Dann sagte ich mir: In der Einfachheit liegt die Kunst, und wechselte immer zwischen den drei Farben, weil die so angenehm waren. Inzwischen ziehe ich meine eigene Merch an in den Videos, auch wieder ein Polohemd. Gedanken über die Farbe habe ich mir nie gemacht.

Hast du nie Bedenken, dass deine Videos zu einfach sein könnten? Mittlerweile macht die Konkurrenz Animationen bis zum Gehtnichtmehr, und du bist bei deiner Tafel geblieben.

Nö! Weil: Je weniger Showeffekte du hast, desto mehr konzentrieren sich die Zuschauer:innen auf die Inhalte und desto höher ist auch der Lerneffekt. Für mich zählen das Tafelbild und das Verständnis der Sache. Ich fühl mich damit sauwohl.