So viel vorweg: Artikel, wie sie vergangenes Wochenende erschienen sind, verdeutlichen einmal mehr, wie gross der Unwille ist, irgendetwas für Familien in der Schweiz ändern zu wollen. Für eine kinderlose junge Frau in der Schweiz gibt es rational gesehen nichts Unattraktiveres, als Mutter zu werden. Wieso?
In der Schweiz bedeutet Mutter werden: 68 Prozent weniger Lohn und 35 Prozent weniger Rente. Diese Aussage ist deshalb einfach scheinheilig: «Wer ein paar Jahre zurücksteckt, der ist nicht einfach weg vom Fenster, sondern kann seinen Berufsweg später fortsetzen und die Einbusse bei der Altersvorsorge kompensieren.» So einfach ist es leider nicht.
Das ist nicht alles: Es kommen noch 28,7 Stunden pro Woche unbezahlte Care-Arbeit obendrauf. Muttersein ist in der Schweiz also nicht nur finanziell nicht lukrativ – es ist ein stetiger Drahtseilakt, weil Mütter (Teilzeit-)Erwerbsarbeit und Care-Arbeit aneinander vorbeibringen müssen; das gilt in zunehmendem Masse auch für Männer.
Anders gesagt: Kinder zu bekommen ist in der Schweiz nur noch für Wohlhabende, Hochlohn-Empfangende oder Menschen tragbar, die auch fürs Alter schon ausgesorgt haben, beispielsweise, weil sie ein Erbe erwarten. Oder aber umgekehrt: Das Erwerbsleben ist darauf ausgerichtet, dass man sich jemanden leisten kann, der (oder, in vielen Fällen: die) zu Hause die Betreuungs- und Hausarbeiten übernimmt. Für den Mittelstand ist Familie aber vor allem eines: eine grosse finanzielle Belastung.
Warum genau es dann nicht gerechtfertigt sein soll, dass wir bessere Bedingungen für Familien in der Schweiz schaffen – etwa günstigere Kita-Plätze oder Elternzeit –, erschliesst sich uns nicht. Einfach macht es sich die NZZ-Autorin: «Die Frauen» hätten eh keine Lust, «mehr» zu arbeiten: «Dank den hohen Löhnen ist es relativ einfach, Kinderbetreuung zu organisieren», schreibt sie zudem. Das ist, mit Verlaub, ein heisser Anwärter für den Witz des Jahres. Und: «Die Annahme, dass Mütter wegen günstiger Krippenplätze plötzlich zu Vollzeitarbeitskräften würden, ist unrealistisch; das zeigen auch die Erfahrungen aus dem Ausland.»
Die Wahrheit ist: Rund ein Sechstel der Mütter, die im Teilzeitpensum tätig sind, geben an, dass sie ihr Pensum erhöhen wollen. Vielleicht würden Mütter nicht sofort zu Vollzeitarbeitskräften, denn ja, es stimmt, viele verbringen gerne Zeit mit ihren kleinen Kindern (viele Väter übrigens auch). Abgesehen davon ist es mit einer einzigen Massnahme wie günstigeren Kita-Plätzen noch nicht vollbracht, die Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf zu verbessern – das hat niemand behauptet. Aber es wäre ein Teil eines ganzen Puzzles, dessen Aufbau in diesem Land unendlich lange dauert. Obige Aussage ist insbesondere auch ein Affront gegenüber Frauen im Niedriglohnsektor und des unteren Mittelstands, für die sich der Job schlichtweg nicht lohnt. Laut OECD-Studien fressen die Kita-Kosten in der Schweiz bis zur Hälfte des Einkommens von Familien weg, gerade wenn beide Eltern verdienen. Und die Daten aus dem europäischen Ausland zeigen: In Ländern wie Schweden, Finnland, Dänemark oder Frankreich, die sich für günstigere Kita-Plätze, mehr Elternzeit und bessere Vereinbarkeit einsetzen – in diesen Ländern sind Mütter in einem deutlich höheren Pensum erwerbstätig als in der Schweiz. Das kann kein Zufall sein.
Familie sei Privatangelegenheit, so der Tenor des Kommentars. Jedoch: Dass Mutteschaft und Familie so schwer vereinbar sind, hat Konsequenzen für die Wirtschaft. Der Trend zur Überalterung der Bevölkerung lässt sich längst nicht mehr umkehren – aber was tun wir ohne neue Konsument:innen und Arbeitnehmer:innen?
Einen weiteren Aspekt ignoriert der Kommentar: Unsere Arbeitswelt wurde mit 42 Stunden auf fünf Tage in der Annahme geschaffen, dass «jemand» anderes kocht, putzt, einkauft und die Kinder betreut – besonders wenn sie krank sind. Bloss: Diese Frau Jemand, die sind wir, und da geht natürlich einiges nicht auf! Uns fehlen schlicht die Stunden am Tag, um alles zu stemmen: Wenn Frauen wegen des Fachkräftemangels stärker am Arbeitsmarkt partizipieren sollen, dann muss sich entweder die Belastung durch die Erwerbsarbeit reduzieren, und zwar in Stunden pro Woche, oder Männer sollen weniger hochprozentig arbeiten können.
Dies ist aber leider nach wie vor gesellschaftlich nicht akzeptiert. Fakt ist auch: Im heutigen alten Nachkriegszeit-System kommen die meisten Familien an den Anschlag. Sowohl mit den Finanzen als auch mit den emotionalen Ressourcen. Wir tun also unser Bestes, aber wir tun es in einem System, das nicht für uns gemacht wurde.
Bei der Diskussion ums Thema Care-Arbeit stört sich die Autorin nicht nur am finanziellen Aspekt – sie zeigt sich besorgt, dass der Staat in Bereiche vordringt, die heute als privat gelten: «Man muss sich bewusst sein, dass jeder weitere Schritt in Richtung Vergesellschaftung des Familienlebens die nächste Forderung nach sich ziehen wird.» Die doppelte Vergesellschaftung der Frauen hat jedoch bereits stattgefunden: Während Frauen und insbesondere Mütter früher «nur» für die Familienarbeit zuständig waren, sind viele von ihnen heute Teil der Wirtschaft und nehmen am Erwerbsleben teil. Ein Grossteil der unbezahlten Care-Arbeit bleibt trotzdem primär an ihnen hängen. Und es geht tatsächlich nicht nur um Geld, es geht auch um Anerkennung und um die Gesundheit von Müttern – und damit der ganzen Familie.
Und zum Thema Altersvorsorge ein weiterer süffisanter Satz, der nur Kopfschütteln auslöst: «Zudem kann man als Teilzeitarbeiter schnell einmal von den Segnungen des Wohlfahrtsstaats profitieren, erhält dereinst im Alter vielleicht noch Ergänzungsleistungen, da man sich als Geringverdiener ja keine anständige Rente ansparen kann.» Laut Schätzungen beziehen 50 Prozent der Menschen, die Anspruch auf Ergänzungsleistungen hätten, diese nicht – aus Scham oder weil sie davon nicht einmal wissen. Auch dieses Statement ist ein Hohn gegenüber Menschen, die im Alter arm sind. Wir sprechen hier von Menschen, die mit 1’500 Franken pro Monat über die Runden kommen müssen und deshalb Ergänzungsleistungen in der Grössenordnung von ein paar hundert Franken im Monat erhalten.
Hier geht also irgendwie einiges nicht auf. Zeit, das System anzupassen, sodass es für beide Elternteile möglich ist, im Erwerbsleben zu bleiben und eine Familie zu haben. Damit Familie wieder eine Option ist für junge Menschen. Und vor allem: Dass sie dabei gesund bleiben.