Ganz ehrlich: Die letzten Wochen waren hart zu schlucken. Jede Person, die wie ich regelmässig Nachrichten und Soziale Medien konsumiert, müsste eigentlich wissen, wovon ich spreche.
Erstens waren Horrormeldungen über Gewalttaten an Frauen in den Medien omnipräsent – in einem Ausmass, das über die fast schon alltäglichen Femizide in unserem Land und anderswo weit hinausgeht. Hier ein kurzer Abriss:
Im September erscheint der Dokumentarfilm der BBC «Al Fayed: Predator at Harrods». Darin werfen 20 Frauen dem Harrods-Besitzer und Milliardär vor, sie sexuell attackiert zu haben. Seither meldeten sich über 100 weitere Frauen, die der Harrods-Besitzer zu Lebzeiten offenbar belästigt und vergewaltigt haben soll. Zu Lady Diana, die mit seinem Sohn Dodi zusammen war und gemeinsam mit ihm verstarb, hat er, als er sie bedrängte, offenbar gesagt: «In der ägyptischen Tradition kommt der Vater zuerst.»
Im September stirbt die olympische Langstreckenläuferin Rebecca Cheptegei. Ihr Partner Dickson Ndiema übergiesst sie mit Benzin und steckt sie in Brand. Es ist der dritte Femizid an einer Spitzenläuferin – nicht an einer Frau, an einer Spitzenläuferin! – in Kenia seit 2021.
Im Oktober zieht ein Schweizer sein Haftentlassungsgesuch bis vors Bundesgericht. Zuvor hatte er gestanden, seine Frau zuerst umgebracht und dann ihren Körper mit Stichsäge, Messer und Gartenschere zerlegt und mit einem Stabmixer püriert zu haben. Die Tatsache, dass er offenbar der Meinung ist, nach all dem nicht ins Gefängnis zu gehören, sprengt mir schier den Kopf.
In den USA wird gerade die Anklageschrift gegen Sean Combs aka Puff Daddy (oder wie zum Teufel er sich aktuell auch immer nennt) verlesen. Sie umfasst unter anderem organisierte Erpressung, gewaltsamen Sexhandel, Betrug und Nötigung. Das Idol einer ganzen Generation hat mutmasslich über Dekaden hinweg Minderjährige missbraucht und Vergewaltigungs-Partys veranstaltet, an denen das Who-is-Who der Musikbranche auf der Gästeliste gestanden haben soll. Die Industrie hat dazu kollektiv geschwiegen und das Leben unzähliger Opfer – Männer und Frauen, notabene! – für immer zerstört.
In Frankreich steht derweil ein gewisser Dominique Pélicot vor Gericht, der jahrzehntelang seine Frau in die Bewusstlosigkeit sedierte und ihren Körper an Dutzende Männer verkaufte. 83 waren es an der Zahl, 50 davon sitzen mit ihrem Ehemann zusammen auf der Anklagebank. Deren Erklärungen vor dem Richter lassen mir die Galle hochkommen. Sex mit der bewusstlosen Frau sei ein Geschenk gewesen, das er von ihrem Ehemann erhalten habe, meint einer. Ein anderer: Er habe gedacht, sie sei tot. Gemeinsam haben viele die Behauptung, nicht gewusst zu haben, dass es auch mit dem Einverständnis des Ehemanns eine Vergewaltigung sei.
Gott sei Dank ist mein Herz über die Jahre ein bisschen taub geworden – sowohl für Männergewalt als auch für die Berichte darüber. Wie die meisten Frauen bin ich mit vierzig ein harter Hund, ein geeichtes Fass, desillusioniert und ein bisschen stumpf. Wie sollten wir sonst auch überleben? Wenn ich all die Diskriminierung, die Respektlosigkeit und Gewalt aufzählen müsste, die mir im Laufe meines Lebens passiert sind, weil ich eine Frau bin: Wir wären morgen noch hier!
Und dennoch erschüttern mich solche Berichte in meinen Grundfesten, denn: Sie sprechen die uralte Sprache des Patriarchats in einer Deutlichkeit, wie ich sie selten gehört habe. Sie widerspiegeln ein Frauenbild, das jeglicher Empathie und Menschlichkeit entbehrt und deutlich macht, was wir Frauen in den Augen vieler Männer immer noch sind: Besitz, über den man beliebig verfügen darf.
Zweitens ist die Reaktion «normaler» Männer auf die aktuelle Berichterstattung zu Gewalt an Frauen wirklich das Letzte. Anstatt sich endlich mit uns Frauen zu solidarisieren, unseren Schmerz zu fühlen und unser Leid zu teilen, weisen die meisten reflexartig jegliche Verantwortung von sich – in den Kommentarspalten, in persönlichen Gesprächen, überall. Sprüche wie «es sind ja nicht alle so» oder «jetzt krieg dich mal wieder ein mit deinem Männerhass» höre ich jeden Tag – und zwar meistens dann, wenn ich gerade meinem Entsetzen über Pélicot oder Diddy Ausdruck verleihe.
Männer: Ihr merkt schon, was daran nicht stimmt, oder?
Falls nicht: Ich erkläre es euch noch einmal, wenns unbedingt sein muss.
- Die Abwehrhaltung «#NotAllMen» ist infantil und kontraproduktiv, jetzt mal rein rhetorisch betrachtet. Wer das nicht versteht, der stelle sich vor, es würden alle Autofahrer #NotAllAutos hupen, nachdem mal wieder ein Kind überfahren wurde. Wäre das der Diskussion um sichere Strassen zuträglich? Nein? Eben.
- Solange ich noch rede und keine Männer im Mixer püriere, habt ihr keinen Anlass, mir mit «Männerhass» zu kommen, wenn ich über Frauenhass rede. Oder um es in den Worten von Autorin und Journalistin Birgit Schmid zu sagen: «Ein häufiges Synonym für Männer ist derzeit ‹Monster›. Männer begehen so schwere Sexualverbrechen an Frauen, dass der Schluss naheliegen könnte: Die Welt wäre besser ohne sie. Der Männerhass hat eine Ursache: Männergewalt.»
- Mir ist durchaus bewusst, dass nicht alle Männer reihenweise Frauen vergewaltigen, ich bin ja nicht dumm. Nur leider war es in unser aller Leben fast immer ein Mann, der uns Gewalt angetan hat. Wenn eine Frau hinter mir herläuft nachts im Park, dann fürchte ich mich nicht, ist es ein Mann, dann nehme ich die Beine in die Hand – aus gutem Grund.
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