Im zweiten Teil der Interview-Serie zum Thema «Feindbild Feminismus» spricht Miriam Suter mit Susanne Kaiser über die religiösen anti-feministischen Gruppierungen und die Rolle der Frauen innerhalb rechtskonservativer Bewegungen. Der erste Teil thematisierte frauenverachtende politische und gesellschaftliche Gruppierungen wie die Maskulinisten.
Sie haben drei Gruppierungen beschrieben. Welche Rolle spielen die religiösen Fundamentalisten im autoritären Backlash?
Es gab Mitte der 1990er-Jahren ziemlich viele feministische Bestrebungen auf der Ebene von verschiedenen Weltorganisationen, etwa der UNO. Es gab verschiedene Konferenzen zur weltweiten Stärkung von Frauenrechten, unter anderem in Peking und Mexiko. Das hat vor allem der Vatikan als sehr grosse Bedrohung empfunden und deshalb angefangen, diese Bestrebungen als Ideologie zu stilisieren. Und das lange bevor die Rechten damit anfingen. Die Ausdrücke «Gender-Ideologie» oder «Genderwahn» sind auf den Vatikan zurückzuführen. Das Verrückte daran ist, dass der Vatikan plötzlich nicht mehr mit der göttlichen Ordnung argumentierte, sondern mit der natürlichen Ordnung. Also eigentlich etwas, gegen das sich besonders die katholische Kirche immer gewehrt hat. Nun hiess es plötzlich: Männer und Frauen haben geschlechtsspezifische Eigenschaften, Punkt. Wenn das infrage gestellt wird, dann wird die Familie bedroht und zerrissen. Wenn Mutti jetzt auch noch arbeiten geht, wer kümmert sich dann um die Kinder? Um das zu verhindern, wurde dieses Narrativ vom bedrohlichen Feminismus, man kann es nicht anders sagen: erfunden. Und es hat sich als sehr anschlussfähig erwiesen, auch für andere Gruppierungen.
Wovor hat der Vatikan Angst?
Eine patriarchalere Organisation als den Vatikan kann man sich ja schwer vorstellen. Letztlich gibt es sehr wenige Institutionen dieser Grösse, bei der wirklich ausschliesslich Männer eine Rolle spielen und Teil davon sein dürfen. Der Vatikan hat natürlich gemerkt, dass eine solche Konstruktion langsam an ihr Ende kommt, dass es schon lange eine evangelische Kirche gibt, die anders aufgestellt ist und sich geöffnet hat. Insofern ist diese hegemoniale Männlichkeit des Vatikans durch die Entwicklungen seit Ende der 1990er-Jahren natürlich extrem bedroht.
Welche Rolle spielt hegemoniale Männlichkeit bei Politikern wie Wladimir Putin?
Man liest oft in Bezug auf Putins Angriff, dass wir es mit einer grossen rechten Internationalen zu tun haben. Ich denke aber, wir haben es vor allem mit einer männlichen Internationalen zu tun. Putin argumentiert selber sehr patriarchal, bezeichnet die Ukraine als Frau und sagte am Ende einer Pressekonferenz: «Tja, da muss die Schöne jetzt durch, dass ich sie mir nehme.» Im Prinzip ist das ein Witz über eine Vergewaltigung. Gleichzeitig werden im Westen diese vermeintlich starken Männer bewundert: Steve Bannon applaudiert Putin für den Angriff auf die Ukraine für seine «Anti-Wokeness». Der Rechtsterrorist und Attentäter Anders Breivik sagte einmal über den IS, dass das noch echte Männer seien, die sich die Frauen einfach nehmen. Und im Sommer wurde der Durchmarsch der Taliban in Afghanistan von vielen Identitären, darunter der AfD, als Sieg gegen feministische Bestrebungen gefeiert. Das alles ist das Ergebnis eines jahrelangen maskulinistischen Diskurses. Die Rechten haben keine Angst vor Putin, sondern vor dem Feminismus.
Jetzt haben wir ganz viel über Männlichkeit gesprochen. Welche Rolle spielen die Frauen?
Das sind ganz unterschiedliche Milieus, die hier eine Rolle spielen. Zum einen ist es eine politische Strategie, die Frauen einzubinden. Bewegungen und Parteien, mögen sie noch so rechts und noch so maskulinistisch sein, haben erkannt: Um seriös zu wirken und in die breitere Bevölkerung vordringen zu können, braucht es Frauen. Das Foto vom CEO-Lunch der Sicherheitskonferenz in München sorgte für einen regelrechten Aufschrei: Es ist 2022, und keine einzige Frau ist anwesend. Auch politische Parteien, die gar keine Frauen haben, wirken heutzutage einfach unseriös. Das haben die aber längst erkannt und steuern jetzt dagegen. Ein gutes Beispiel dafür ist Alice Weidel von der AfD, sie fungiert quasi als Postergirl der Partei. Und dann ist sie auch noch lesbisch, lebt mit einer Frau aus Sri Lanka zusammen und hat Kinder mit ihr – das ist alles strategisch so geplant. Mit einer lesbischen Frau an der Spitze einer rechtskonservativen Partei ist es ein Einfaches, zu sagen, man will keine syrischen Flüchtlinge; die sind schliesslich alle homofeindlich.
Leben diese Frauen nicht einen Selbstwiderspruch?
Doch, natürlich. Sie machen Politik, die ihnen als Frauen überhaupt nicht entgegenkommt, ihnen persönlich aber schon. Eine Frau wie Alice Weidel hätte in einer Partei wie der SPD niemals Karriere gemacht; bei der AfD kann sie das. Das gleiche Phänomen sehen wir bei rechten Influencerinnen. Bei der identitären Bewegung beispielsweise gibt es sehr junge Frauen, die studiert haben und regelmässig auf Instagram oder TikTok sagen, dass sie nach dem Studium ausschliesslich für ihren Mann und die Familie da sein wollen. Dass ihr Mann klar der Chef sei in ihrem Leben. Das können sie bloss deshalb machen, weil dieses Clickbaiting einerseits natürlich super funktioniert. Und andererseits sehen diese jungen Frauen, glaube ich, gar nicht mehr, dass sie nur wegen des Feminismus überhaupt die Möglichkeit haben, sich zwischen Karriere und Familie entscheiden zu können. Diese Frauen erreichen wiederum die Frauen in der Gesellschaft, die bisher vielleicht nicht politisch engagiert waren, nicht abstimmen gegangen sind. Das sehen wir bei der AfD, die einen klar weiblichen Zulauf hat, und das haben wir auch bei Trump gesehen: Überraschend viele Frauen haben Trump gewählt.
Das waren aber vor allem weisse Frauen aus der Mittel- bis Oberschicht.
Einerseits das, und andererseits verstehen sich Frauen, die rechts wählen, oft nicht als Minderheit oder als Gruppe, die eine politische Lobby braucht. Bei ihnen können rechte Parteien ähnliche Ängste schüren wie bei Männern – diejenigen, die mit einer gewissen Art von Weiblichkeit zu tun haben: Ich habe Angst, dass meine Tochter von Flüchtlingen vergewaltigt wird oder dass sie mir meine Arbeit wegnehmen, also wähle ich die AfD. Darin spiegelt sich auch der Spagat, in dem sich heute viele Frauen befinden: Sie machen zu Hause die Care-Arbeit und den Haushalt, gehen aber trotzdem mindestens acht Stunden am Tag arbeiten, vielleicht noch in Schicht; und trotzdem reicht es finanziell hinten und vorne nicht. Natürlich ist man nicht gerne in dieser Situation, und wenn eine politische Partei einem einen vermeintlich einfachen Ausweg bietet, dann nimmt man den an. Zudem hatten wir lange einen sehr elitären Feminismus, das muss man auch sagen.
Wie meinen Sie das?
Wir haben sehr viel über Frauen in Vorständen gesprochen und sehr wenig über Aldi-Verkäuferinnen und Krankenschwestern. Das ist ein Problem. Da sind wir beim so genannten «white feminism», der sich vor allem um Anliegen und Privilegien von weissen Frauen kümmert. In Europa beschreibt die Thematik nicht so sehr den Unterschied zwischen weissen und Schwarzen Frauen, aber man sieht es beispielsweise in der Debatte um trans Menschen. Hier wird gerade von Alice Schwarzer ein sehr weisser, nichtinklusiver und biologistischer Feminismus aus der zweiten Welle gefahren, der unter anderem auch gegen muslimische Frauen mit Kopftüchern schiesst.
All diese Entwicklungen, die wir besprochen haben, können Angst machen. Wo sehen Sie Hoffnung?
Das ist eine schwierige Frage. Auf der persönlichen Ebene ist es wichtig, sich immer wieder zu distanzieren – sich eine Art Teflonschicht zuzulegen. Auf der gesellschaftlichen Ebene braucht es dringend noch mehr Debatten. Wir sehen es beim Thema bei Gewalt gegen Frauen: Hier sprechen wir mittlerweile mehrheitlich über Femizide, nicht mehr über Familientragödien. Aber das Phänomen wird noch immer tabuisiert. Das sind uralte, patriarchale Mechanismen, und genau dort müssen wir anfangen, eine breite Diskussion zu führen und aufzuklären. Das könnte schon bei entsprechenden Schulfächern anfangen.