Weisst du, was ein Skandal ist? Frauen dürfen in der Schweiz erst seit 35 Jahren ein eigenes Bankkonto eröffnen. Das liegt mitunter am alten Eherecht von 1907, das erst 1987 komplett revidiert wurde. Damals war der Ehemann das sogenannte «Haupt der ehelichen Gemeinschaft». Darin stand auch: «Sie führt den Haushalt.» Und einen Beruf auszuüben, war der Frau nur gestattet, wenn es der Ehemann «bewilligte». Ein Bankkonto eröffnen als Frau? Fehlanzeige, auch dafür brauchte es den Mann. Ihm allein stand die Verwaltung und Nutzung des ehelichen Vermögens zu. Frauen waren per Gesetz finanziell unmündig.

Ganze Frauengenerationen sind mit diesem patriarchalen Ehegesetz aufgewachsen. Sie wurden in dieser Gesellschaft sozialisiert. Für viele war es «normal», kein eigenes Geld zu haben. Doch noch immer gibt es viele Frauen, die weder ein eigenes Konto haben noch eine Vollmacht für die Konten ihrer Männer.

Tief verankert sind sie, die alten Glaubenssätze:

Ich kann nicht gut rechnen.

Ich verstehe von Gelddingen nichts.

Ach, Geld ist mir nicht wichtig.

Ich vertraue in Gelddingen auf meinen Mann.

Aber auch: Ich muss eine perfekte Mutter sein.

Ich muss bis zur Erschöpfung für die Familie da sein.

Wem kommen diese Glaubenssätze bekannt vor?

Wir befinden uns mitten in einem Paradigmenwechsel. Weg von einem patriarchalen Versorgersystem hin zu einer gleichberechtigteren Teilnahme an der Wirtschaft. Trotzdem werden Mütter noch immer abgestraft. Weder wird die unbezahlte Care-Arbeit als wirtschaftliche Leistung von unserem Wirtschafts- und Vorsorgesystem anerkannt, noch werden die Bedürfnisse berufstätiger Mütter endlich umgesetzt. Nach wie vor leben wir in einer patriarchalisch organisierten Wirtschaft. Vereinbarkeit von Beruf und Familie? Ist Frauensache.

Nadine Jürgensen
Wir befinden uns mitten in einem Paradigmenwechsel. Weg von einem patriarchalen Versorgersystem, hin zu einer gleichberechtigteren Teilnahme an der Wirtschaft. Trotzdem werden Mütter noch immer abgestraft.

Doch es gibt Lichtblicke: Der Wert des traditionellen, maskulinen Modells der Wirtschaft und sogar der Männlichkeit selbst wird hinterfragt von männlichen Millennials und jüngeren Männern. Toxische Männlichkeit ist ein Trendbegriff dieser Zeit. Und es zeichnet sich ab, dass genau diese Männer gemeinsam mit den Frauen die Revolution der alten Wirtschaft einleiten werden.

Was wir brauchen, ist eine Neugestaltung. Eine Wirtschaftswelt, die unsere heutige Gesellschaft und ihre Bedürfnisse abbildet, nicht die von 1907.

Nadine Jürgensen
Der Wert des traditionellen, maskulinen Modells der Wirtschaft und sogar der Männlichkeit selbst wird hinterfragt von männlichen Millennials und jüngeren Männern. Toxische Männlichkeit ist ein Trendbegriff dieser Zeit. Und es zeichnet sich ab, dass genau diese Männer gemeinsam mit den Frauen die Revolution der alten Wirtschaft einleiten werden.

Das Problem ist: Die Ungleichbehandlung von Mann und Frau des alten Eherechts von 1907 wirkt noch immer nach. Die alten Glaubenssätze wirken nach in unseren gesellschaftlichen Systemen.

Auch wenn die Frauen heutzutage vielleicht einen Beruf erlernen und anfangs erwerbstätig sind – heutzutage immerhin ohne Bewilligung des Partners –, so endet die Gleichberechtigung spätestens, sobald Kinder auf die Welt kommen.

Weil Kinder, das sei Privatsache, sagen sie.

Eine gute Mutter bleibe doch besser zu Hause, heisst es.

Der Job der Frau? Er lohne sich nicht, finden sie.

Die Kosten der Kinderbetreuung seien ja höher als der Lohn, den sie nach Hause bringt.

Überhaupt, ohne Not solle sich niemand diesen Stress antun.

Frau könne eben nicht alles haben.

Wer hat diese Sätze auch schon gehört?

Oft unterbrechen die Frauen nach der Geburt eines Kindes ihre Erwerbstätigkeit oder sind in einem tiefen Teilzeitpensum tätig. Damit folgen sie auch tief verankerten gesellschaftlichen Imperativen, «eine gute Mutter» zu sein – stets begleitet vom Schatten des schlechten Gewissens. Das sage ich keineswegs verächtlich, sondern voller Mitgefühl.

Mütter tun dies, ohne an die Folgen für das eigene finanzielle Leben zu denken.

Nadine Jürgensen
Oft unterbrechen die Frauen nach der Geburt eines Kindes ihre Erwerbstätigkeit oder sind in einem tiefen Teilzeitpensum tätig. Damit folgen sie auch tief verankerten gesellschaftlichen Imperativen, um «eine gute Mutter» zu sein – stets begleitet vom Schatten des schlechten Gewissens. Das sage ich keineswegs verächtlich, sondern voller Mitgefühl.

Ändern muss sich politisch einiges, wir kennen die Liste, und ich zähle sie schon fast im Schlaf auf: Paritätischer Elternurlaub, Tagesschulen, bezahlbare frühkindliche Betreuung, Individualbesteuerung, flexible Arbeitgeber etc.

Bevor wir politische und gesellschaftliche Systeme verändern können, haben wir aber auch selbst eine Aufgabe: Wir müssen uns alle von den alten Glaubenssätzen trennen, die uns zurückhalten, unseren Weg zu gehen und dafür einzustehen.

Das ist Psychologie, nicht Politik.

Bevor wir politische und gesellschaftliche Systeme verändern können, haben wir aber auch selbst eine Aufgabe: Wir müssen uns alle von den alten Glaubenssätzen trennen, die uns zurückhalten, unseren Weg zu gehen. Das ist Psychologie, nicht Politik.

Ich würde uns gerne eine gesamtgesellschaftliche Psychotherapie verordnen, bei der wir alle lernen, die alten Glaubenssätze hinter uns zu lassen und neue zu kreieren:

Geld ist auch Frauensache.

Geld ist wichtig für mich. Auch als Frau.

Mütter, die erwerbstätig sind, sind auch gute Mütter.

Ich darf, kann und will finanziell unabhängig sein.

Ich verdiene es, gleich viel zu verdienen.

Ich muss nicht alles alleine schaffen.

Ich muss nicht perfekt sein.

Und:

Männer dürfen Gefühle zeigen.

Care-Arbeit ist auch etwas für Männer.

Leistung, Lohn und Status ist nicht alles.

Väter dürfen Teilzeit arbeiten und für ihre Kinder da sein.

Männer sind männlich, auch wenn sie Wäsche falten.

Männer sind nicht alleine verantwortlich, die Familie zu ernähren.

Ich fühle mich männlich, auch wenn meine Frau mehr verdient als ich.

Nicht jede Rechnung muss halbe-halbe geteilt werden, aber sie muss fair sein. Familien und Eltern sollen sich ihre Aufteilung selbst aussuchen können, ohne staatliche Bevorzugung bloss eines Lebensmodells.

Vielleicht wäre dann die Lohnungleichheit rascher verschwunden, Männer und Frauen würden beide selbstverständlich Teilzeit arbeiten und ihre Familien betreuen, eine gleichberechtigte Elternzeit wäre normal, die unbezahlte Arbeit würde fair aufgeteilt werden, und wir alle würden gleichermassen kochen, putzen, waschen, bügeln, – und die Frauen könnten besser für sich selber sorgen. Sie wären dann nicht mehr finanziell abhängig, sondern könnten ihre finanziellen Lücken schliessen, beim Lohn, bei der Rente, bei Eigentum. Ein eigenes Portemonnaie ist aber letztlich auch wichtig für die Psyche, bei Frau und Mann.

Gestern hat Patrizia Laeri bereits vorgerechnet, warum es dringend eine faire Aufteilung braucht.