Ich weiss nicht, wie es euch geht, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass die Welt gerade zugrunde geht. In den USA wird ein verurteilter Sexualstraftäter zum Präsidenten gewählt, Gewalt an Frauen und Queers steigt global massiv an, und Europa erlebt einen Rechtsrutsch wie seit den 1930er Jahren nicht mehr.
Alles, was meine Mutter – Stimmrechtsaktivistin und Frauenrechtlerin – mühsam für mich und meine Generation erstritten hat, steht wieder zur Debatte. Auch bei uns in der Schweiz.
Vergangenes Wochenende haben wir in der Stadt Zürich über eine Initiative abgestimmt, deren Ziel es war, non-binäre Personen aus dem öffentlichen Sprachgebrauch zu tilgen – unter dem Deckmantel von Verständlichkeit und Objektivität.
Eingereicht wurde die Initiative ausgerechnet (und für mich unverständlich) von einer Frau: Von Susanne Brunner, Kantonsrätin und Co-Präsidentin der Stadtzürcher SVP. Gemeinsam mit einem überparteilichen Komitee lancierte Brunner die Initiative im Sommer 2022, nachdem die Stadt Zürich ein neues Sprachreglement inkl. Genderstern eingeführt hatte – und nachdem Brunner selbst punkto Sprache ordentlich auf die Kappe bekam: 2019 lehnte der Gemeinderat eine Interpellation von ihr ab, da Brunner in dieser beinahe ausschliesslich das generische Maskulinum verwendet hatte. Dass gegenderte Sprache zu kompliziert ist, um angewendet und verstanden zu werden, scheint vor allem ein Problem von Frau Brunner zu sein, auch wenn Tausende ihrer Mitbürger:innen dies ohne Probleme tun.
Erster Punkt: Mir wurde an der Uni beigebracht, warum die wissenschaftliche Sprache oft kompliziert und «unnatürlich» daherkommt: Sie soll präzise und auf gar keinen Fall mehrdeutig sein. Dies gilt auch und insbesondere für Texte der Juristik und Politikwissenschaft, zu der öffentliche Communiqués ja gehören. Wer schon einmal einen juristischen Text gelesen hat, weiss, dass der Genderstern wahrlich nicht das Unverständlichste daran ist.
Der zweite Punkt – gegenderte Sprache stelle eine unrechtmässige Verpolitisierung eines politischen Textes dar – ist noch hanebüchener. Sprache ist immer politisch, denn Sprache ist das Vehikel des politischen Prozesses. Schliesslich spielen sie sich im Kantonsparlament nicht gegenseitig Geige vor, und wir malen keine Comics auf unsere Abstimmungsunterlagen.
Eine kleine Anekdote dazu: Vor 1971 waren Frauen nicht mitgemeint, wenn in der Verfassung vom Recht der Bürger auf politische Mitbestimmung die Rede war. Die frühen Kämpferinnen argumentierten lange dagegen und bekamen schliesslich Recht. Dies war einer der Gründe für die Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz. Soviel zum Thema, behördliche Sprache dürfe nicht politisieren.
Während Zürich die Vorlage abgelehnt hat (zum Glück!), wird ein Genderverbot andernorts diskutiert – oder ist bereits in Kraft: An Behörden, Schulen und Hochschulen in Bayern ist es seit April diesen Jahres ausdrücklich verboten, gendergerechte Schreibweisen zu verwenden. Ebenfalls dieses Jahr haben Bürgerliche in Emmen (LU) erfolglos ein Verbot des Gendersterns gefordert. Und im Bundeskanzleramt unseres Nachbarlands Österreich ist die Verwendung von Genderstern, Doppelpunkt und Binnen-I bereits verboten, allerdings sollen dafür «nach Möglichkeit sowohl die männliche als auch die weibliche Form verwendet werden».
All diese Beispiele verdeutlichen, was ich bereits als kleines Kind wusste: Worte sind mächtig. Klein und zierlich, wie ich war, und dazu noch aus einer sozial schwächeren Schicht stammend, wäre ich theoretisch ein gefundenes Fressen für Bullys gewesen. Mit Betonung auf theoretisch, denn: praktisch wurde ich auf dem Pausenplatz stets in Ruhe gelassen. Der Grund: Ich war verbal begabt. Ich konnte lustig, präzise, klug, lieb, verletzend oder vernichtend sein, je nachdem, was die Situation erforderte.
Wer der Sprache mächtig ist, definiert nicht nur das Gesprächsthema, sondern auch das Vokabular und die Tonalität einer Diskussion. Und auch die sogenannten Tabus sind sprachlich definiert: Es sind diejenigen Themen, für die wir wortwörtlich keine Worte finden.
Und so schliesst sich der Kreis: Wer die Anliegen, Sorgen oder gar die Existenz bestimmter Menschen – zum Beispiel Frauen, non-binäre Personen oder trans Personen – aus dem öffentlichen Diskurs tilgen möchte, der verbietet das entsprechende Vokabular und macht diese Menschen und ihre Anliegen somit unsichtbar. Denn wer aus der Sprache verschwindet, verschwindet ultimativ aus dem Leben.
Oder was glaubt ihr, warum die Ultrarechte in den USA Bücher über Homosexualität und Geschlechtsidentität verbietet? Wohl kaum, weil Bücher tatsächlich die Macht haben, heterosexuelle cis-Kinder zu nonbinären Homosexuellen zu machen, oder? Viel eher haben «schlaue» Machthabende schon immer gewusst, dass, wer Worte findet, bald auch Rechte fordern wird.
So einfach ist das.
Anmerkung der Red.: Bei ellexx gendern wir mit dem Doppelpunkt.