Wer sich öffentlich zu feministischen Themen äussert, kennt sie gut: Die «Whataboutisten». Die Männer – ja, es sind fast immer Männer –, die beim Thema Gleichberechtigung der Geschlechter aus ihren Löchern kriechen und mit erhobenem digitalen Zeigefinger darauf aufmerksam machen, womit die betreffende Feministin doch besser ihre Zeit verbringen sollte.
Die Vorschläge, die ich bereits bekommen habe, könnten umfassender nicht sein. Sie reichen vom Schutz maritimer Säugetiere bis hin zur Altersvorsorge von IV-Bezüger:innen. Was sie gemeinsam haben, ist, dass sie erstens implizieren, dass die Gleichberechtigung von Frauen kein besonders wichtiges Thema ist, und dass ich zweitens ein naives kleines Mädchen bin, das dringend Hilfe beim Setzen von Prioritäten braucht. Vor allem aber lenken sie vom eigentlichen Gesprächsthema ab – in diesem Falle: Chancengleichheit der Geschlechter –, ohne auch nur ein einziges reales Gegenargument ins Feld zu führen.
Whataboutism bedeutet nach der Definition des «Oxford Living Dictionary» denn auch «die Technik oder Praxis, auf eine Anschuldigung oder eine schwierige Frage mit einer Gegenfrage zu antworten oder ein anderes Thema aufzugreifen». Der Begriff wurde im kalten Krieg populär – und zwar durch die sowjetische Standard-Antwort auf Kritik am Sozialismus: «Und in Amerika lynchen sie Schwarze!»
Erfunden haben’s die Russen allerdings nicht. Whataboutism wurde bereits von der Nazi-Presse im Dritten Reich betrieben. So schrieb beispielsweise die Österreichische Volkszeitung nach der Reichspogromnacht 1938: «Londoner Hetze wegen Glasscherben. Aber kein Wort über zerstörte Araberdörfer! Wieder empörende Anpöbelungen in der jüdischen ‹Weltpresse›.»
Im modernen Russland – und insbesondere unter der Ägide von Wladimir Putin – erlebte das Phänomen eine neue Blüte. In Erinnerung geblieben ist mir insbesondere Putins Antwort auf die Frage von ABC-Reporterin Rachel Scott nach seinem Treffen mit Joe Biden am 16. Juni 2021 in Genf. Scott wollte vom russischen Präsidenten wissen, wovor er sich denn genau fürchte, im Hinblick auf seine Angewohnheit, Kritiker und politische Gegner von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Putins Antwort darauf war ein langer Monolog über den Sturm aufs Capitol – und sonst: nichts!
Womit wir bei Donald Trump wären. Auch dieser hat zur neuen Popularität des Whataboutism beigetragen. Er benutzt ihn im Gegensatz zu Putin allerdings weniger zu Propagandazwecken, dafür umso mehr, um von eigenen Fehlentscheidungen abzulenken. Wird er beispielsweise darauf angesprochen, dass der Rechtsextremismus eine neue Spitze erreicht hat, ist seine Antwort: «Und was ist mit Linksextremismus?!»
Whataboutism gehört also nicht nur in feinen politischen Kreisen zum guten Ton, sondern auch – und immer mehr – in den Untiefen des Internets. Dort hat sich denn auch der Maskulinismus herausgebildet – eine Bewegung, die sich primär über die Verunglimpfung des Feminismus definiert. Und genau in dieser Bewegung verorte ich die eingangs erwähnten Kommentare zur Walrettung als Antwort auf feministische Anliegen. Der Maskulinismus ist nämlich nur oberflächlich männerfreundlich. Wer in den entsprechenden Foren mitliest – und das empfehle ich niemandem –, entdeckt schnell, dass er viel eher frauenfeindlich ist. Oder anders: Es geht höchst selten wirklich darum, die Wale zu retten – ein Anliegen, das ich übrigens sehr löblich finde –, sondern vielmehr darum, den Ruf der Frauen nach Gleichberechtigung als unwichtig abzutun.
Und damit ist niemandem gedient. Weder den Frauen noch den Männern noch den Walen.