Auf deinem Instagramprofil bezeichnest du dich als Feminist. Noch ein Mann, der sich so bezeichnet … Warum musst du diesen Trend auch mitmachen?
Dazu muss ich vielleicht erklären, was ich unter dem Begriff verstehe. Im Kern steht auch unser Verein «WE/MEN» dafür: Unser erklärtes Ziel ist, dass Frauen und Männer zusammen für mehr Gleichberechtigung einstehen. Das fängt auf der individuellen Ebene an, im eigenen Alltag. Sei es, dass man sich darüber Gedanken macht, wie man spricht, oder dass man seine Geschlechterrolle reflektiert. Oder sich mit seiner Partnerin, seinem Partner darüber unterhält, wie man als Paar und Eltern gleichberechtigt leben will. Mit diesen Themen setze ich mich sehr stark auseinander. Für mich können sich sowohl Frauen als auch Männer als Feminist:innen bezeichnen. Darum kann ich mich ohne rot zu werden so nennen, finde ich.
Du willst doch einfach provozieren.
Ein bisschen, vielleicht! Ich stelle sowohl bei Männern als auch bei Frauen fest, dass es noch immer provokant sein kann, sich als Feminist zu bezeichnen. Das habe ich ja jetzt auch bei dir gemerkt. Ich sehe das Ganze spielerisch, aber auch respektvoll und demütig. Mit der Bezeichnung kommt auch eine gewisse Verantwortung: Man muss sich reflektieren und seine Handlungen hinterfragen.
Wenn du so feministisch bist: Wer hat «Das andere Geschlecht» geschrieben?
(Überlegt lange.)
Das Buch.
… «Das andere Geschlecht»?
Ja.
Ja, das weiss ich jetzt nicht mehr auswendig. Aber ich weiss, dass ich darüber einmal eine Debatte geführt habe.
Soll ich es dir sagen?
Ja klar, gern.
Die französische Autorin und Philosophin Simone de Beauvoir. Da musst du aber noch ein bisschen Hausaufgaben machen.
Äh jaja. Weisst du, man kann sich auch als Feminist bezeichnen, ohne jedes erdenkliche Buch gelesen zu haben.
Weisst du, «Das andere Geschlecht» ist eines der feministischen Standardwerke überhaupt.
Das könnte ich ja mal noch lesen. Ich muss sagen, es war Markus Theunerts Buch «Co-Feminismus», das mich dazu ermutigt hat, mir als Mann Gedanken zu machen, was Feminismus für mich bedeutet und was meine Rolle ist.
Jetzt mal ganz allgemein: Können Männer überhaupt Feministen sein?
Das kommt immer darauf an, wie man den Begriff für sich definiert. Wenn es darum geht, einander auf Augenhöhe zu begegnen und zusammen weiterkommen zu wollen, dann auf jeden Fall. Und wenn man als Mann Mühe hat mit dem Begriff, sich aber trotzdem für Gleichberechtigung engagieren will, ist das genauso in Ordnung. Gleichberechtigung erreichen wir nur zusammen. Ich lehne mich jetzt mal aus dem Fenster und sage: Ich habe Mühe damit, wenn man Männern sagt, sie dürfen am Frauenstreiktag nicht mitlaufen.
Typisch Mann, immer gleich beleidigt. Wie ist «WE/MEN» eigentlich entstanden?
Im Prinzip sind wir als Männerbewegung gestartet. Im Ausland gab es bereits einige Vorbilder für unseren Verein: Die Mitglieder haben sich zum Beispiel klar dagegen ausgesprochen, an Panels teilzunehmen, an denen nur Männer auf der Bühne sind.
Aber Männer trauen sich ja eh nicht auf die Bühne und sagen die ganze Zeit ab.
(Lächelt.) Das stimmt natürlich. Wenn man sich exponiert, kann man angegriffen werden, das schüchtert ein. Aber da können uns die Frauen vielleicht helfen, die wissen ja, wie das ist. Jedenfalls: Ich fand die Idee, reine Männerpodien zu boykottieren, super und versuchte, auf Social Media andere Männer dafür zu begeistern. Es lief immer nach dem gleichen Muster: Viele Frauen fanden es toll, haben geliked und kommentiert – und die Männer blieben weitgehend still.
Schade!
Ja, fand ich auch. Aber ich blieb dran, und im Laufe der Zeit haben sich immer mehr Männer gefunden, die interessiert waren. Wir waren etwa zu fünft, haben uns immer wieder getroffen und uns mit der Thematik auseinandergesetzt. So ist «WE/MEN» entstanden.
Euer Claim lautete: «Männer für mehr Frauen im öffentlichen Diskurs.» Warum müssen Männer überall ihren Senf dazugeben?
Wir haben das ganz bewusst so breit gehalten, damit wir möglichst viel Öffentlichkeit einschliessen können: Von Podien bis Konzertbühnen sind Frauen nach wie vor massiv untervertreten. Und es ist einfach noch immer so, dass Männern eher zugehört wird. Heute haben wir auch vier Frauen im Vorstand, und unsere drei Grundsätze kann jeder und jede anwenden.
Wie lauten die denn?
Erstens: Öffentliche Auftritte ohne Frauen, ohne uns. Zweitens: Wir wollen einen positiven Dialog führen. Gerade auf Social Media werden feministische Debatten sehr schnell hitzig, dazu tragen Frauen und Männer bei. Oft kommt es gar nicht zu einem Austausch. Und drittens: Wir bieten eine Plattform für konstruktiven Austausch für Gleichgesinnte. Wir veranstalteten immer wieder Zoom-Talks, planen für die Zukunft auch Events und arbeiten mit Unternehmen zusammen.
Männer sind heute total verunsichert durch das Thema Gleichberechtigung. Warum hinterfragt ihr euch immer gleich?
Tatsächlich stellten wir in unseren Zoom-Talks immer wieder fest, dass viele Männer sich nicht mehr sicher sind, was man noch darf und was nicht. Darf man einer Frau noch die Tür aufhalten? Worüber darf ich mit Frauen sprechen, was ist übergriffig? Das sind aber alles auch spannende und wichtige Fragen. Wir starten bald eine Podcast-Serie, in der wir genau solchen Stimmen von Männern Raum geben.
Weil die Stimmen von Männern ja noch zu wenig Raum haben.
(Lacht.) Naja, in diesem spezifischen Feld gibt es tatsächlich noch wenig Männerstimmen. Eben weil viele verunsichert sind. Im Podcast sprechen wir dann mit diesen Männern darüber, warum sie sich bisher vielleicht noch nicht für Gleichberechtigung engagiert haben. Oder weshalb sie gerne mehr tun würden und wie man das genau anstellen kann. Wir sind auch immer im Austausch mit der Community und wollen wissen, welche Fragen und Wünsche sie haben. Da wird sich noch einiges ergeben, denke ich.
Welche Fragen hat denn eure Community?
Jemand hat zum Beispiel mal gefragt, wie er seinen Kollegen auf dem Bau erklären soll, warum sexistische Kalender im Pausenraum nicht lustig sind. Oder weshalb Gleichberechtigung ein wichtiges Thema ist. Da waren wir etwas perplex – und auch ein wenig überfordert. Ich wünsche mir allgemein mehr öffentlichen Dialog und Auseinandersetzung über solche Fragen. Warum hat das, was ihr mit den Männerfragen macht, bisher noch kein anderes Medium gemacht?
Tja.
Es ist wichtig, dass man auf eine treffende Art und Weise Leute zum Nachdenken animiert. Es passiert zwar langsam etwas, aber da geht sicher noch mehr. Wir bei «WE/MEN» engagieren uns allerdings ehrenamtlich, da kommt man natürlich irgendwann an seine Grenzen.
Du hast zwei Söhne, wie bist du die Schwangerschaftskilos wieder los geworden?
(Kichert.) Ich habe das grosse Glück, dass ich gut Fett verbrenne. Aber ich habe ziemlich rasch nach der Geburt wieder angefangen zu joggen!
Wie stark hast du dein Arbeitspensum nach der Geburt reduziert?
Bei meinem ersten Sohn vor zehn Jahren habe ich von hundert auf achtzig Prozent reduziert. Und dabei ist es geblieben. In dieser Zeit war ich aber noch dreieinhalb Jahre Gemeinderat der Stadt Zürich, und das war definitiv zu viel. Den Job als Politiker habe ich dann an den Nagel gehängt, um mehr Zeit mit der Familie verbringen zu können. Und damit meine Partnerin und ich uns die Arbeit zu Hause gerechter aufteilen können.
Du arbeitest in der Versicherungsbranche. Wie väterfreundlich ist deine Firma?
In den letzten fünf Jahren hat sich diesbezüglich sehr viel verändert. Bei meinem Arbeitgeber, der Zurich Versicherung, gibt es sechs Wochen Elternzeit für Männer. Und wenn man die Hauptbetreuung des Kindes übernimmt, sind es sogar 16 Wochen. Für Frauen sind es 20 Wochen. Solche Vereinbarungen gibt es immer häufiger auch bei anderen grossen Unternehmen.
Hauptbetreuung?
Wenn Väter nach der Geburt zu Hause bleiben , den Haushalt schmeissen und auf die Kinder schauen, bekommen sie bei uns 16 Wochen Elternzeit, die man auch in Etappen beziehen kann. Es gibt immer mehr Männer, die dieses Angebot in Anspruch nehmen.
Ah wow. Das war bei deinem ersten Sohn aber noch nicht so?
Nein. Ich habe damals fünf Tage Vaterzeit erhalten und zwei Wochen Ferien genommen. Von daher ist das eine begrüssenswerte Veränderung. Dass die Politik auf nationaler Ebene sich zu keiner Elternzeit durchringen kann, ist für mich unverständlich. Die Wirtschaft geht im Prinzip eigentlich voraus.
Wie hat denn dein Chef damals reagiert?
Der hat schon komisch geschaut, ehrlich gesagt. Er ist mittlerweile pensioniert, und man hat gemerkt, dass er in seiner beruflichen Laufbahn wohl noch nie mit einem Vater konfrontiert war, der sein Pensum zugunsten der Familie reduzieren wollte. Für Weiterbildungen wurden Pensen vorübergehend immer wieder reduziert, das war nie ein Problem. Aber für Vaterschaft? Sicher nicht. Ich war damals übrigens der erste Mann im Geschäftsbereich, der das gemacht hat. Da habe ich schon Widerstand gespürt, und es brauchte einige Gespräche, damit ich das durchsetzen konnte. Aber ich habe mir die Frage gestellt: Warum machen Männer nach der Geburt ihrer Kinder so weiter, als wäre nichts? Das war ein Erlebnis, das mich nachhaltig geprägt hat.
Nervt es dich, dass dein Lohn für die Kita draufgeht?
(Überlegt.) Das ist natürlich brutal, aber wenn man sich darauf einlässt und sich mit dem Partner oder der Partnerin darauf einigt, dass beide berufstätig sein wollen, dann kann man irgendwie damit umgehen. Aber ja: Es fehlen noch immer Anreize und Rahmenbedingungen, damit sich Erwerbsarbeit für beide Eltern auszahlt.
Du bist nicht verheiratet. Glück gehabt, denn eine Ehe ist ja heute keine finanzielle Absicherung mehr für den Mann.
(Lacht.) Vor zehn Jahren wusste man das ja noch nicht, aber wir haben uns bewusst gegen eine Heirat entschieden. Weil für uns immer klar war, dass wir beide arbeiten wollen, auch wenn die Kinder da sind, und wir für eine Heirat keine Notwendigkeit gesehen haben. Aber klar: Für viele Verheiratete gibt es noch immer strukturelle Benachteiligungen, da hat die Politik noch einiges vor sich. Die Einführung der Individualbesteuerung ist ein Muss.
Du bist Mitte 40, also praktisch schon 50. Hast du Angst vor der Andropause?
Wie gesagt, bin ich ja von der Natur ziemlich gesegnet. Angst habe ich also keine, aber ich spreche darüber schon mit meinen Freunden.
Ach ja? Männer sprechen über solche Dinge?
Ich lege das hier in den Männerfragen mal offen: Lange habe ich nur mit Frauen über meine Gefühle gesprochen. Ich fand das spannender. Viele meiner besten und langjährigsten Freund:innen sind Frauen. Heute hat sich das zwar ein wenig verändert, und ich spreche auch mit Männern über anderes als die neueste «Blick»-Headline. Irgendwie muss man sich ja gedanklich vorbereiten auf das, was einen im Alter erwartet. Und natürlich hat man Respekt davor, was da körperlich alles auf einen zukommt.
Tauscht ihr dann Tipps über die besten Haarwuchsmittel aus?
(Kichert.) Genau. Nein, aber zum Beispiel darüber, ob und wann man medizinischen Rat herbeiziehen will. Oder ob man sich psychologisch beraten lassen könnte, das ist ja noch immer ein grosses Tabu unter Männern. Aber darüber zu reden hilft. Es lohnt sich, sich beim Cüpli nicht nur über die neuesten Anzüge oder die beste Netflix-Serie zu unterhalten, sondern auch über psychische Gesundheit.
Pirmin Meyer schickt kurz nach dem Gespräch eine E-Mail und schreibt, dass er «Das andere Geschlecht» bald lesen werde. Na, geht doch.