Seit ich mich als Feministin bezeichne, nehme ich die Welt bewusster wahr. Ich beobachte, welche Geschlechter wo (nicht) auftauchen, mache mir Gedanken, wie Geschlechterrollen porträtiert werden und natürlich, wie ich als Frau mein Leben leben will. Ich bin kritischer geworden. Manche würden auch sagen: anstrengender.
Lange hat mir das mit dem «anstrengend» nicht eingeleuchtet. Feminismus war befreiend und ermächtigend. Doch in letzter Zeit taucht sie immer wieder auf. Diese selbstkritische Stimme, die fragt: Lässt sich das, was ich mache, noch mit meinen feministischen Werten vereinbaren? Ein Beispiel: Kann ich guten Gewissens reine Männerrunden-Podcasts hören? Kann ich ernsthaft Trainings von Fitness-Youtuberinnen absolvieren, in deren Titel das Wort «Hourglass-Shape», also Sanduhr-Form, oder ein Pfirsich-Emoji vorkommt? Und als ich kürzlich mit einem Freund über die geplanten Ferien diskutierte, fragte er, wie ich es denn als Feministin verantworten könne, nach Marokko zu reisen. Das Land liegt laut dem Global Gender Gap Report des Weltwirtschaftsforum von 2022 auf Platz 136 von 146 untersuchten Ländern in Bezug auf Frauenrechte.
Wachsende (Selbst-)Ansprüche
Die Ansprüche, die Dritte an Feminist:innen stellen, oder diejenigen, die wir Feminist:innen an uns selbst stellen, sind umfassender geworden. Heute gibt es viele verschiedene Formen von Feminismus: intersektionalen Feminismus, queeren Feminismus, Öko-Feminismus, aber auch Choice-Feminismus oder weissen Feminismus. Es gibt kaum einen Lebensbereich, den Feminismus nicht durchdrungen hat.
Deshalb würde ich mittlerweile beipflichten: Ja, Feminismus ist anstrengender geworden. Aber zu einem grossen Teil ist das auch gut so. Feminismus ist kein Projekt, das irgendwann abgeschlossen ist. Unsere Lebenswelten verändern sich und damit die Bedingungen und Kontexte, in denen wir leben. Bei vielen Themen ist ein feministischer Blick weiterhin notwendig: Es macht nach wie vor einen Unterschied, ob du cis, trans, weiss oder BIPoC, gesund oder physisch oder psychisch beeinträchtigt bist, wen du liebst, wie viel Geld oder welche Religion du hast. Wir brauchen feministische Perspektiven, die sich für die Gleichberechtigung aller Menschen einsetzen.
Das Dilemma von Privat und Öffentlich
Gleichzeitig kommen wir in eine Grauzone, wenn wir als «privat» klassifizierte Bereiche feministisch hinterfragen. Denn einerseits ist es essenziell, dass wir darüber reden, wie der eigene Körper, die eigene Beziehung oder die eigene Sexualität von patriarchalen Normen geprägt sind. Andererseits wird es kritisch, wenn wir aus diesen Diskussionen neue Normen erschaffen, was man als Feminist:in tun darf und was nicht. Also wenn wir nicht nur darüber diskutieren, sondern festlegen, ob eine richtige Feministin sich die Beine rasieren, sich bei einem Date einladen lassen, beim Sex unten liegen oder sich die Lippen aufspritzen lassen darf.
Natürlich ist es sinnvoll, wenn ich mich selbst frage, weshalb ich mir vor einem Date die Beine rasiere. Mache ich das, weil ich das will? Weil ich die Norm verinnerlicht habe, dass die Haut einer Frau so glatt wie ein Babydelfin sein soll? Weil ich denke, dass in einer heterosexuellen Konstellation ein Typ sonst keinen Sex will? (Schöne Grüsse gehen raus an Tommi Schmitt und Felix Lobrecht von «Gemischtes Hack», die genau diese Norm reproduzieren.) Keine Frage: Feministische Stimmen, die sich gegen gesellschaftlich normiertes Verhalten von Frauen wehren, haben berechtigte und gute Absichten. Doch wenn ich befürchten muss, dass ich keine richtige Feministin mehr bin, wenn ich mir meine Beine rasiere, werden feministische Stimmen unter Umständen ähnlich autoritär wie patriarchale Stimmen.
Ein Beispiel ist die Rapperin und Sängerin Shirin David. Sie hat sich mehreren Schönheits-OPs unterzogen, spricht öffentlich über die Kosten und mahnt, dass man sich das gut überlegen sollte. Der Umstand, dass sie Eingriffe vornehmen liess, verleitet jedoch Kritiker:innen dazu, Davids Feminismus anzuzweifeln oder ihn ihr abzusprechen.
Mich macht das wütend und ich finde es gefährlich. Denn wir kreieren – als Frauen, für andere Frauen – eine Art feministischen Beweiszwang: Mit jeder Ebene unseres Lebens sind wir Rechenschaft schuldig, dass wir «gut genug» oder «richtige» Feministinnen sind. Eine Ebene auslassen ist nicht mehr erlaubt. Feminismus wird dadurch zu einem exklusiven Club, zu dem nur wenige Zutritt haben. Bezeichnend finde ich für die Doppelstandards unserer Gesellschaft, dass es einmal mehr einzig um das Verhalten von Frauen geht, das nicht gut genug ist. Würden wir auch einen Mann so genau durchleuchten? Würden wir ihm auch sagen, dass er als Feminist bitte aufhören soll, Proteinshakes zu trinken, und den Muskelprotz-Vorbildern auf Instagram entfolgen muss? Ich denke nicht.
Nicht jede Handlung in unserem Leben muss feministisch sein. Und nicht jede Handlung einer Feministin ist automatisch feministisch. Ja, ich persönlich sehe Schönheitseingriffe und Personal-Trainer als privilegierte Reaktionsmöglichkeiten auf eine Gesellschaft, die Frauen bis heute erfolgreich einredet, ihr Wert messe sich an ihrem Äusseren. Würde ich deswegen eine operierte Frau verurteilen oder ihr den Feminismus absprechen? Nein. Denn auch ich bin in meinem Feminismus nicht widerspruchsfrei: Ich bin mit dem Druck vertraut, der auf weiblichen Körpern lastet, jung und sexy aussehen zu müssen, und gebe ihm nach. Mit Make-up. Mit Rasieren. Mit Retinolserum im Spiegelschrank. Auch ich poste diejenigen Fotos von mir, die ich schmeichelnd finde, und mache Sachen in zwischenmenschlichen Beziehungen, bei denen ich denke: «Wow, ist das meine weibliche Sozialisierung!?» Manchmal lache ich darüber, manchmal bin ich genervt. Und ich ziehe mir gelegentlich seichte, ganz sicher nicht feministische Unterhaltung rein, weil dort die Welt einfach und Probleme absurd oder lösbar sind. Trotzdem will ich nicht, dass mir jemand sagt, ich sei keine richtige Feministin.
Auf das Wesentliche fokussieren
Natürlich ist das keine Lizenz, um alles zu rechtfertigen. Während ich ab und an die kostenlosen Trainings der normschönen Fitness-Influencerinnen mache, würde ich mein Geld nicht für ihre teils fragwürdigen Beauty-Produkte ausgeben. Trotzdem glaube ich, dass wir lernen sollten, Widersprüche auszuhalten. Wir sollten es uns selbst und unseren Mitmenschen zumuten, dass wir fähig sind zu unterscheiden. Wahrzunehmen, dass etwas vielleicht nicht feministisch ist und trotzdem nicht dazu übergehen, uns selbst oder andere Frauen als «nicht feministisch genug» abzustempeln. Denn wenn wir uns gegenseitig verurteilen, geschieht am Ende das, worauf Nicht-Feminist:innen warten: Wir zerfleischen uns gegenseitig und höhlen den Feminismus von innen aus. Deshalb: Trink deinen Skinny-Bitch-Smoothie, wenn er dich glücklich macht. Beschwer dich über seinen Namen. Lass dein Kind pinke Glitzertütüs tragen. Geh trotzdem streiken. Du gehörst dazu.