Top gestylt im femininen Blümchenkleid und mit passender rosa Schürze steht Gwen in ihrer luxuriös ausgestatteten Küche. Sie bereitet gerade ganz entspannt und mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen Pancakes für ihren Ehemann zum Frühstück zu. Im Hintergrund läuft sanfte Musik.
Die Botschaft ist klar: Die gemütliche Atmosphäre des Videos soll den starken Kontrast zum stressigen Arbeitsalltag berufstätiger Frauen darstellen. Das Leben als traditionelle Hausfrau ist erfüllend und harmonisch, sich für die eigene Karriere abzurackern eine Falle.
Traditionelles Rollenbild erntet Millionen Klicks
So idyllisch präsentieren «Gwen the Milkmaid» sowie tausende andere Frauen in TikTok-Videos ihren Alltag als sogenannte «Tradwife». Der Begriff setzt sich zusammen aus «traditional» (traditionell) und «wife» (Ehefrau) und beschreibt Frauen, die sich für ein traditionelles Rollenbild entscheiden. Sie ordnen sich dem Ehemann unter und kümmern sich zu Hause um Haushalt und Kinder.
Mit dem «kleinen» Zusatz, dass sie ihr Leben auf Social Media inszenieren und damit ordentlich Likes kassieren. Im Falle von Gwen sind das bis zu 1.6 Millionen.
Eine der bekanntesten Tradwives ist Model und Influencerin Nara Smith. Mit ihren Kochvideos, in denen sie aufwendige Mahlzeiten für ihre drei Kinder und ihren Mann zubereitet, erreicht sie auf TikTok 430 Millionen Likes. Die von ihr gekochten Gerichte haben mittlerweile ein bizarres Niveau erreicht – angefangen beim selbstgemachten Fanta über Hustensirup bis hin zu Kaugummi macht Nara alles selbst. Dabei scheint sie trotz drei kleiner Kinder nicht nur alle Zeit der Welt zu haben, sondern auch einen scheinbar endlosen Kleiderschrank.
Verlockende 50er-Jahre Ästhetik
Das Aussehen, das Haus, die Familie – das Leben, das die Tradwives auf Social Media präsentieren, scheint makellos. Kein Wunder, dass der Lebensstil auf TikTok und Instagram auf grossen Anklang stösst. Dass der Trend gerade junge Frauen anzieht, liegt nicht alleine daran, dass jüngere Generationen allgemein mehr auf Social Media und weniger auf traditionellen Medien unterwegs sind. Vielmehr erinnert das Leben der Tradwives, mit ihren Polkadot-Kleidern und aufwendigen Föhnfrisuren, stark an die 1950er-Jahre. Eine scheinbar einfachere Zeit, die für viele junge Frauen eine verlockende Flucht vor den modernen Problemen der Frauenwelt zu sein scheint. Der Tradwife-Trend stellt damit eine bewusste Gegenbewegung zu den als überambitioniert und frustriert empfundenen Karrierefrauen dar.
Dazu einige Zahlen: In der Schweiz arbeiten rund dreimal so viele Frauen wie Männer in Teilzeit, oft um die Kinderbetreuung und familiäre Verpflichtungen zu bewältigen. Diese Doppelbelastung, beruflich erfolgreich zu sein und gleichzeitig die Hauptverantwortung für die Familie zu tragen, kann bei Frauen erheblichen Stress und gesundheitliche Probleme verursachen. Durchschnittlich widmen Schweizer Frauen zusätzlich zu ihrer beruflichen Tätigkeit fast 30 Stunden pro Woche der Haus- und Familienarbeit.
Schein versus Sein
In diesem Kontext scheint es verlockend zu sein, in traditionelle Geschlechterrollen zurückzukehren, in denen die Frau finanziell vom Partner versorgt wird und sich ganz dem Haushalt und den Kindern widmet. Doch ein Blick auf die Realität zeigt schnell, dass der idyllische Lebensstil der Tradwives auf Instagram und Co. stark von der gelebten Realität der meisten Hausfrauen abweicht.
Abgesehen davon, dass die meisten Familien in der Schweiz kaum mit nur einem Gehalt auskommen würden, geschweige denn einen ähnlich luxuriösen Lifestyle wie den der Tradwives auf Social Media führen könnten, scheint auch der zeitliche Aspekt des gezeigten Alltags unrealistisch. Aufräumen, Putzen, Waschen, die Kinder bespassen – dabei bleibt wohl den wenigsten Hausfrauen genügend Zeit, für jede Mahlzeit stundenlang in der Küche zu stehen und sich vor dem Abendessen noch einmal für den Ehemann herauszuputzen.
Weshalb machen es also die Tradwives? Nun, viele Tradwives argumentieren, dass es zur Aufgabe einer Ehefrau gehört, sich vor dem Ehemann von der besten Seite zu zeigen. Dies sei ein Ausdruck von Liebe und Respekt. Schliesslich gehe er ja auch jeden Tag raus in die harte Arbeitswelt, damit die Tradwives, so deren Argumentation, ein scheinbar sorgloses Leben und viel Freizeit geniessen können. Das bisschen Haushalt mache sich bei ihnen von allein.
Eine Inszenierung, die einschenkt
Doch die Realität sieht anders aus: Neben potenziellen Nannies und Haushaltshilfen verschweigen die Tradwives mögliche finanzielle Beweggründe hinter der perfekten Darstellung ihres Lebens auf Social Media. Dass man mit Influencing eine Menge Geld verdienen kann, ist nicht neu. Und je kontroverser die Videos, desto mehr Emotionen werden geweckt und desto mehr wird interagiert. Ein Fakt, den sich auch viele Tradwives zunutze machen. Denn je höher das Engagement mit den Posts und je grösser die Followerzahl, desto lukrativer das Geschäft.
Mega-Influencer:innen mit über 1 Million Followers können pro Post unglaubliche 10’000 US-Dollar für eine Produkterwähnung verlangen. Das lässt erahnen, welche Unsummen eine Nara Smith mit ihren 4 Millionen Follower:innen für einen Brand Deal auf Instagram verlangen kann.
Neben Brand Deals gibt es viele weitere Wege, den geposteten Tradwife-Content zu monetarisieren. Auch Tradwife Jasmine Dinis teilt auf ihrem Blog nicht nur Sauerteigbrot-Rezepte und Haushaltstipps, sondern verkauft auch einen Guide für Mütter, welche «ein zusätzliches Einkommen verdienen wollen, während sie die Freuden und Herausforderungen des Mutterseins meistern».
Wir lernen: Während Tradwives augenscheinlich Arbeit ausserhalb ihres Heims ablehnen, verdienen sie durchaus eigenes Geld mit ihren Social-Media-Aktivitäten. Durch die geschickte Inszenierung und Monetarisierung ihres Lebensstils schaffen sie sich eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit.
Finanzielle Folgen für junge Frauen
Eine finanzielle Abhängigkeit vom Ehepartner kann Frauen schnell in eine prekäre Situation bringen, und das kann zu einem unausgewogenen Machtverhältnis in der Beziehung führen. Wer das Geld hat, hat die Macht. Frauen, die dem Tradwife-Trend folgen und sich dafür entscheiden, ihre berufliche Laufbahn und damit ihr eigenes Einkommen zugunsten der Familie aufzugeben, verzichten auf einen Teil ihrer Entscheidungsfreiheit und Selbstbestimmung.
In einer liebevollen und stabilen Partnerschaft mag dieses Modell funktionieren, doch sobald Probleme auftreten, können viele Frauen plötzlich vor einer unsicheren Zukunft stehen. Sie sehen sich möglicherweise gezwungen, in einer unglücklichen oder im schlimmsten Fall sogar gewalttätigen Beziehung zu verharren, da sie finanziell abhängig sind und keine eigene Existenzgrundlage haben. Ohne eigenes Einkommen, ohne Ersparnisse und ohne Karriere, an die sie anknüpfen können, ist das Risiko, in die Armut zu geraten, hoch – insbesondere, wenn Kinder im Spiel sind. Alleinerziehende sind in der Schweiz viermal häufiger von Armut betroffen als andere Bevölkerungsgruppen.
Diese bittere Erfahrung mussten auch einige (Ex)-Tradwives machen. Eine davon ist Enitza. Sie möchte anderen Frauen mit ihrer Erfahrung nun die Augen öffnen: «Stell dir vor, das Leben als Tradwife hat nicht funktioniert. Du hast eine Lücke von zehn Jahren in deinem Lebenslauf, vier Kinder, die versorgt werden müssen. Jetzt stehst du im Sozialamt und hoffst, dass dein Antrag genehmigt wird.»
Auch Jennie warnt in einem emotionalen Video auf TikTok vor dem Leben als Tradwife: «Ich habe nie realisiert, dass unsere Lebensgrundlage davon abhängt, ob mein Mann mich gerade mag. Ob er mich attraktiv und interessant findet, entscheidet darüber, ob meine Kinder etwas zu essen haben oder nicht.»
Auch bei den Tradwives ist nicht alles Gold, was glänzt. Für viele Frauen kann die Entscheidung, sich ganz der Familie zu widmen, bereichernd, befreiend und empowernd sein. Dennoch ist es wichtig, den idealisierten Alltag der Tradwives auf Social Media kritisch zu betrachten und die möglichen finanziellen Schattenseiten zu erkennen.
Eine solide finanzielle Absicherung durch ein eigenes Bankkonto, eine gesicherte Altersvorsorge und realistische Karriereoptionen, auf die im Bedarfsfall zurückgegriffen werden kann, sind gerade ohne regelmässiges eigenes Einkommen unerlässlich.