Macht und Misogynie, Geld und Gier, Patriarchat und Privilegien: Wer die Antwort nicht scheut, darf unseren Kolumnisten alles fragen, Markus Theunert teilt, was er in 25 Jahren Beschäftigung mit Männern und Männlichkeit gelernt hat.

Heute mit der Frage von Malu (33): Sollte unbezahlte Care-Arbeit bezahlt werden?

Liebe Malu 

7.6 Milliarden Stunden im Wert von 319 Milliarden Franken: So beziffert das Bundesamt für Statistik, was in der Schweiz jedes Jahr allein an Kinderbetreuung und Hausarbeit geleistet wird. Ich fokussiere in meiner Antwort der Übersichtlichkeit wegen diesen Teil der Care-Arbeit und lasse das weite Feld von Angehörigenbetreuung & Co. weg. Der Umfang der bezahlten Erwerbsarbeit ist just genau gleich hoch.

Markus Theunert
Die unbezahlte Arbeit muss ja nicht deshalb nicht bezahlt werden, weil sie so erfüllend wäre. Sondern, weil Streiken keine Option ist, da darunter andere Menschen, unsere Liebsten, leiden würden.

Es gibt also zwei Arten von Arbeit: Bei der einen Hälfte tun wir so, als müsse sie bezahlt werden, damit sie geleistet wird. Bei der anderen Hälfte tun wir so, als sei die Arbeit selbst erfüllend genug, damit sie auch ohne Bezahlung geleistet wird. Das ist zwar ziemlich willkürlich, aber man muss zugeben: Der patriarchale Plan geht ganz gut auf, wenngleich er mit einem Trick operiert. Denn die unbezahlte Arbeit muss ja nicht deshalb nicht bezahlt werden, weil sie so erfüllend wäre. Sondern, weil Streiken keine Option ist, da darunter andere Menschen, unsere Liebsten, leiden würden.

Sicher ist: Die heutige Verteilung von Arbeit zwischen den Geschlechtern ist ungerecht. Denn Frauen übernehmen gut 60 Prozent der unbezahlten Haus- und Familienarbeit, Männer knapp 40 Prozent. Bei der Erwerbsarbeit ist das Verhältnis genau umgekehrt. Unter dem Strich arbeiten zwar alle viel (und immer mehr!) – aber eben nicht dasselbe und nicht zum gleichen Lohn. Daraus ergibt sich die Frage: Was tun, um die Ungerechtigkeit zu beheben? Grob gesagt stehen dafür zwei Möglichkeiten zur Verfügung: Entweder verteilen wir die Arbeit oder das Geld fair.

Markus Theunert
Männer müssen nicht nur mehr tun, sondern auch die ganze Verantwortung für ihre Hälfte der Care-Arbeit übernehmen.

Für eine faire Verteilung der Arbeit bräuchte es eine doppelte Bewegung: Männer müssten 50 Prozent der unbezahlten Arbeit übernehmen, Frauen 50 Prozent der bezahlten Erwerbsarbeit. Das würde vor allem ein grösseres Engagement der Männer in Haushalt und der Kinderbetreuung bedingen. In Stunden gerechnet stehen sie zwar gar nicht so schlecht da. Im Vergleich zu vor 25 Jahren leisten sie heute immerhin zehn Wochenarbeitsstunden mehr Care-Arbeit. Bloss entlastet das die Frauen kaum, weil ein grosser Teil des Mental Loads an ihnen hängen bleibt. Männer müssen also nicht nur mehr tun, sondern auch die ganze Verantwortung für ihre Hälfte der Care-Arbeit übernehmen. Das erfordert neben gutem Willen und entsprechenden Kompetenzen vor allem förderliche Rahmenbedingungen (paritätische Elternzeit, Recht auf Teilzeitarbeit nach der Familiengründung etc.). In der ach so liberalen Schweiz mangelt es zumindest an Letzterem. Das ist auch kein Wunder: Die Care-Frage stellt letztlich die Macht-Frage. Und da gibt sich das Patriarchat dann nicht mehr locker. Entsprechend langsam sind die Fortschritte. 

Nur verständlich, dass in dieser Situation vielen der Geduldsfaden reisst und die Frage aufkommt, weshalb die unbezahlte Arbeit nicht einfach bezahlt werden sollte. Als Kostenträger stehen zur Auswahl: die direkten Nutzniesser (also in der Regel die Männer/Väter) und/oder die indirekten Nutzniessenden (das Gemeinwesen und/oder die Arbeitgebenden).

Ich persönlich bin unsicher, ob das ein schlauer Move wäre. Einerseits wegen der Zementierung der heutigen Ungleichheitsverhältnisse. Denn die Bezahlung der unbezahlten Arbeit wäre zwar per Definition mit ihrer Aufwertung verbunden, aber kaum mit einer Gleichstellung zur bezahlten Erwerbsarbeit. Es ist für mich schwer vorstellbar, dass auf diesem Weg Haus- und Familienarbeit so attraktiv würde, dass mehr Männer in diesen Bereich drängen. Und weshalb sollten Männer um der Gerechtigkeit willen plötzlich mehr leisten? Höchstwahrscheinlich würde sich an der Verteilung also gar nichts ändern. Es würde bloss der Druck zur Umverteilung abnehmen. Das kann ich nicht wünschbar finden. 

Markus Theunert
Mir scheint, dass das Modell Lohnarbeit schlicht nicht in den Bereich der privaten Care-Arbeit transferierbar ist, weil die Familie nun mal kein (Arbeits-)Markt ist. 

Andererseits wegen der praktischen Umsetzung: Wer würde definieren, welche Arbeit wie bezahlt wird? Wer würde kontrollieren, ob die Arbeit quantitativ und qualitativ befriedigend ausgeführt ist – und ob die Rechte der Bezahlten wirklich geschützt sind? Wer würde bestimmen, wann welche Arbeit zu leisten ist? Wer wäre befugt, «Überstunden» anzuordnen? Wer könnte eine Kündigung aussprechen? Was wären valable Kündigungsgründe? Mir scheint, dass das Modell Lohnarbeit schlicht nicht in den Bereich der privaten Care-Arbeit transferierbar ist, weil die Familie nun mal kein (Arbeits-)Markt ist. 

Damit komme ich zu (m)einer Antwort auf deine Frage: Sollte unbezahlte Care-Arbeit bezahlt werden?

Nein. Meines Erachtens sollte sie nicht bezahlt, sondern fair verteilt werden. Dafür braucht es politische Mehrheiten für Massnahmen, die erleichtern und einfordern, dass Männer ihre Hälfte der unbezahlten Arbeit leisten – als Grundverantwortung, die auch gegen individuelles Widerstreben wahrzunehmen ist. So wie das Ausfüllen der Steuererklärung auch. 

Und während ich im Brustton der Überzeugung diese pointierte Schlussfolgerung in die Tasten haue, schleicht sich von hinten der Zweifel an, ob vielleicht einfach mein Vorstellungsvermögen zu begrenzt ist – oder mein Glaube an die Veränderungsbereitschaft zu gross…?

Diese Kolumne verfolgt – auf Einladung der elleXX-Redaktion – das Anliegen, einen patriarchatskritischen Blick auf Geschlechter-, Geld- und Gesellschaftsfragen beizusteuern. Unserem Kolumnisten ist es wichtig, seine Unsicherheit transparent zu machen, wo die Bereicherung durch eine reflektierte Männerperspektive aufhört – und wo das «Mansplaning für Fortgeschrittene» beginnt.

Markus Theunert ist Gesamtleiter von männer.ch, dem Dachverband progressiver Schweizer Männer- und Väterorganisationen. Kontakt: theunert@maenner.ch

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