Aktuellstes Beispiel: Die erneuten globalen Debatten um das Recht der Frau auf einen Schwangerschaftsabbruch.
«Wir haben abgetrieben!» titelte der Stern am 6. Juni 1971. 374 Frauen, darunter Stars wie Romy Schneider oder Senta Berger, bekannten sich im Rahmen der von Alice Schwarzer initiierten Aktion dazu, gegen geltendes Deutsches Recht verstossen zu haben und holten das Thema Schwangerschaftsabbruch damit aus der dunklen, staubigen Schublade der gesellschaftlichen Tabus.
Die Aktion bringt eine der fundamentalen Forderungen der zweiten Feminismuswelle der 60er und 70er Jahre auf den Punkt: Das Recht der Frauen, über ihr Leben und ihren eigenen Körper zu entscheiden. Die Stern-Aktion gilt entsprechend als Meilenstein des Deutschen Feminismus und steht in engem Zusammenhang mit ähnlichen Entwicklungen in anderen Ländern. War der Abbruch einer Schwangerschaft in der ersten Hälfte des 20 Jahrhunderts in den meisten westlichen Ländern - unter Androhung von teils drakonischen Strafen - noch verboten, so lockerten ab den 1970er Jahren viele Staaten ihre Gesetze.
Ein bekanntes Beispiel ist das Urteil «Roe vs. Wade» des Obersten Gerichtshofs der USA. Es besagte, dass ein texanisches Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch das verfassungsmäßige Recht einer Frau, über Abbruch oder Fortführung ihrer Schwangerschaft selbst zu entscheiden, verletze. In der Folge wurde Abtreibung in den USA legal - zumindest unter gewissen Bedingungen. Der (zeitliche) Fortschritt der Schwangerschaft ist dabei der wichtigste Indikator für die Straffreiheit einer Abreibung - in den USA und anderswo. Weitere Indikatoren sind medizinischer (das physische und psychische Wohlergehen der Mutter), sozialer (drohende Notlage durch die Geburt eines Kindes), eugenischer (Diagnose einer schweren Behinderung des Kindes) oder kriminologischer Art (z.B. das Zustandekommen der Schwangerschaft durch Vergewaltigung).
Die Schweiz bildet mit der sogenannten «Fristenlösung», welche Abtreibungen bis zur zwölften Woche grundsätzlich auf Wunsch der Mutter hin erlaubt, wenig überraschend eines der europäischen Schlusslichter. Diese wurde bei uns erst 2002 eingeführt. Davor war ein Abbruch ausschliesslich bei medizinischer Indikation straffrei - also wenn die physische oder psychische Gesundheit der Mutter durch die Schwangerschaft bedroht war.
2002 bin ich 18 Jahre alt, und einige meiner Freundinnen haben zu diesem Zeitpunkt bereits eine Abtreibung hinter sich - durchgeführt in der rechtlichen Grauzone, die die «psychische Gesundheit» einer minderjährigen Schwangeren darstellt. Heute erscheint mir das beinahe unvorstellbar, so verankert ist mein Verständnis von meinem Bauch als meinem alleinigen Besitz.
Millionen von Frauen auf dieser Welt wird dieses Recht auf ihren eigenen Körper aber immer noch verweigert. In Afrika, Asien sowie im Nahen Osten sind Abtreibungen vielerorts noch immer illegal - und auch im Westen erstarken konservative Kräfte, die meinen Uterus zur politischen- und damit zur patriarchalen Angelegenheit machen wollen. So wird in Malta Abtreibung nach wie vor mit Gefängnis bestraft. Im mittelamerikanischen El Salvador werden Fehlgeburten gleich Morden geahndet und ziehen lebenslange Freiheitsstrafen für die betroffenen Frauen nach sich. In Polen verstarb vergangenen September eine 30-jährige Frau an einem septischen Schock, da sich die Ärzte aufgrund des strengen Verbotes so lange weigerten, ihren Fötus abzutreiben, bis dieser im Mutterleib verstarb und die Mutter vergiftete. Ähnliches passiert in Italien regelmässig, wo es Ärzten freisteht, eine Abtreibung aufgrund persönlicher Vorbehalte zu verweigern.
In Deutschland dürfen Gynäkologen auf ihrer Website nicht über die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs in ihren Praxen informieren, da dies als «Werbung für Abtreibung» gewertet wird. Und im nordamerikanischen Bundesstaat Texas könnte der Arzt, der eine Abtreibung an einem 12-jährigen Missbrauchsopfer vornimmt, künftig länger ins Gefängnis wandern als der Onkel, der sie vergewaltigte. Dabei ist längst hinlänglich bekannt, dass die Kriminalisierung von Abtreibungen weder zu weniger ungewollten Schwangerschaften, noch zu weniger Abbrüchen führt. Frauen, die abtreiben wollen, werden damit nur in die Illegalität abgeschoben - mit verheerenden Folgen: Gemäss Amnesty sind illegale Abtreibungen eine der häufigsten Todesursachen von Frauen weltweit.
Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass ich dereinst für dasselbe fundamentale Recht auf Selbstbestimmung würde auf die Strasse gehen müssen, für das meine Mutter und meine Grossmutter bereits kämpften. Und nie hätte ich mir vorstellen können, dass auch ich in einer Welt leben würde, die mich mit ihren frauenfeindlichen Gesetzen und patriarchalen Verboten dazu zwingen würde, folgende Sätze zu sagen:
Ich habe abgetrieben. Ich bereue nichts. Mein Bauch ist mein fucking Business!