Ich befinde mich gerade in den Ferien und kann kaum in Worte fassen, wie wohltuend es ist, einfach mal offline zu sein und mich nicht diesem ständigen Druck aussetzen zu müssen, immer leistungsfähig sein zu müssen. Sicher, da gibt es trotz Ferien noch einiges zu tun – einen Podcast, eine Kolumne, meinen Newsletter, Interviews und eine endlose Flut an E-Mails. Aber abgesehen davon kann ich wirklich abschalten. Während ich durch die französischen Landschaften reise, lasse ich Beyoncés neues Album auf mich wirken und höre nochmals ganz genau hin. Bei «Texas Hold'em» gehe ich voll ab, mit den Fenstern unten, der Sonne auf meinem Arm und einem Gefühl von Freiheit, das ich seit Wochen angestrebt habe.
Die Diskussion um dieses Album ist hitzig. Es ist ein Country-Album, und es wird tatsächlich diskutiert, wer das Recht hat, dieses Genre zu bespielen. Ein Country-Radiosender in Oklahoma wollte den Song «Texas Hold’em» zunächst nicht spielen. Ich werde mehr als einmal gefragt, wie ich das Ganze einschätze. Das Signal, das Beyoncé mit diesem Album sendet, ist enorm. Es bedeutet viel mehr, als einfach die Countrymusik zu reclaimen, die Schwarze Menschen mitbegründet haben. Es fordert die stereotypisierte Vorstellung des ganzen Musikgenres heraus, das historisch von weissen Künstler:innen gegatekept und monopolisiert wurde.
Beyoncés Konfrontation mit Rassismus zeigt, dass selbst erfolgreiche Persönlichkeiten nicht immun gegen strukturellen Rassismus sind. Es verdeutlicht die fortbestehenden Hindernisse und die Notwendigkeit, gegen rassistische Praktiken in allen Bereichen der Gesellschaft anzukämpfen. Ich meine, come on: Dass selbst Beyoncé, die mehr Grammy-Auszeichnungen hat als jeder andere Mensch, immer noch darum kämpft, Barrieren und Stereotypen in einer Branche zu durchbrechen, die sie dominiert, spricht für sich.
Sie ist damit nicht alleine: In derselben Zeit wird die Musikerin Aya Nakamura in Frankreich angegriffen, als öffentlich bekannt wurde, dass sie bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele singen soll. Eine rechtsextreme Gruppe sprach von dem angeblichen Versuch, «französische Chansons zu afrikanisieren». Der grosse französische Sender BFMTV machte sogar eine Umfrage, um aufzuzeigen, dass die Französin Aya Nakamura nicht gewollt sei als französische Vertretung. Es reicht nicht, dass sie weltweit die meistgehörte französischsprachige Sängerin ist. Beide Frauen sind also ganz oben, stürmen alle möglichen Charts, sind extrem erfolgreich und bleiben aber Schwarze Frauen und damit Personen, die Mysoginoir – der gemeinsamen Wirkung von Sexismus und Rassismus – ausgesetzt sind.
Während einer Tankpause schaue ich kurz auf die neuste Mail, die reinkommt: Eine Absage. Die letzte. Der Buchverlag findet mein Buch gut, aber irgendwie passe es nicht ins Programm. Ein anderer meinte vor ein paar Wochen, sie hätten schon ein Buch von einer Schwarzen Frau veröffentlicht. Ich hatte gehofft.
Die Hoffnung, die ich habe, ist eher ein falsches Versprechen. Oder vielleicht eine Glaubensrichtung, die uns bereits im jungen Alter eingetrichtert wird. Der Glaube an die Meritokratie. Sie suggeriert, dass erfolgreiche Menschen ihren Erfolg durch Talent, Intelligenz, Fleiss oder Werte verdienen, während diejenigen, die scheitern, einfach nicht genug geleistet haben. Während sie Gleichheit vortäuscht, ermöglicht sie es, Ungleichheiten zu akzeptieren. Denn sie blendet die systemischen und historischen Faktoren aus, die unsere Lebenswege massgeblich beeinflussen.
Ich gebe drei Journalistinnen vom Tagesanzeiger ein Statement. Sie fragen mich: «Müssen wir nicht auch darüber nachdenken, dass wir erneut von den Black Women of Color erwarten, dass sie vorangehen und Lösungen finden? Was können wir als solidarische nicht-BIPoC tun, um beispielsweise in einer Debatte um Countrymusik und Beyoncé Stellung zu beziehen – und den Druck mitzutragen?» Und ich antworte: «Es ist wichtig, ein Ally, ein:e Verbündet:e, im eigenen Umfeld, im eigenen Land zu sein.»
Beyoncé und ihr Album provozieren da, wo Rassismus am offensichtlichsten sichtbar ist – in der Countryszene in den USA. Was es aber zeigt: wenn selbst Beyoncé, die oft auch als Queen bezeichnet wird, nicht von Rassismus befreit ist, dann gibt es mehr zu tun, als viele denken. Was es aber auch zeigt: von Schwarzen Frauen wird erwartet, dass sie diese Grenzen selber aufbrechen, dass sie voranschreiten. Und genau da sind Allies wichtig.
Die Meritokratie ist eine Illusion. Letzten Endes geht es vor allem um unsere Privilegien. Fleiss und Arbeit spielen eine enorme Rolle, aber wirklich entscheidend ist, welche Privilegien wir haben und welche eben nicht.
Ich komme in meiner Bleibe am Ozean an und setze mich auf die Terrasse. Erstmal werde ich Pause machen. In einer Gesellschaft, die Erschöpfung und Überlastung glorifiziert, sind Auszeit und Entschleunigung Teil der Revolution. Und sie sind vor allem auch ein Privileg. Ein Privileg, das ich habe, und davon mache ich jetzt erstmal Gebrauch. Vorerst bleibe ich offline und dann mache ich weiter – trotz des Wissens, im Geheimen an die Meritokratie zu glauben.