Ganz ehrlich: Von Liebesgeschichten halte ich nicht viel. Ich mag keine romantischen Komödien, fand Romeo und Julia schon als junges Mädchen furchtbar naiv und bin Mitglied einer Gruppe auf Facebook, die «Am Valentinstag im Park mit Steinen auf glückliche Paare werfen» heisst.
Das tue ich natürlich nicht, Paare mit Steinen bewerfen. Aber: Die Vermarktung der romantischen Liebe, ob sie sich nun in herzförmigen Pralinéschachteln oder schnulzigem R’n’B äussert, war mir tatsächlich schon immer zuwider.
Das mag zum einen daran liegen, dass ich zur Generation Y gehöre. Ich bin nicht mit emanzipierten medialen Vorbildern aufgewachsen wie meine Patentochter heute. Im Gegenteil: Ich bin mir sicher, dass ich in meiner Kindheit unzählige toxische Muster über Hetero-Liebe internalisiert habe. Wer die Disneyfilme der damaligen Zeit kennt, weiss genau, was ich meine: In «The Beauty and the Beast» verliebt sich Belle in ihren Geiselnehmer – ein klassischer Fall von Stockholm-Syndrom, wenn ihr mich fragt. Cinderella führt währenddessen ein elendes Leben als Haussklavin, komplett unfähig, sich selbst zu helfen. Dafür braucht sie natürlich einen Typen, der sie mit seiner «Liebe», die notabene nur auf Äusserlichkeiten beruht, und einem Eheversprechen aus ihrer Misere rettet. Und dann ist da noch Arielle, die Meerjungfrau, die doch tatsächlich dumm genug ist, ihre Stimme aufzugeben, nur um irgendeinem dahergelaufenen Macker zu gefallen!
Ladies and Gentlemen: Das waren die Heldinnen meiner Kindheit. Oder sie wären es zumindest gewesen, hätte ich nicht schon damals gewusst, dass da doch etwas nicht stimmt. Ich habe früh gefühlt, wenn auch nicht ganz verstanden, dass eine Liebe, die von uns Frauen die komplette Selbstauflösung erfordert, nicht gesund sein kann. Das ist nicht zuletzt meiner starken, feministischen, von Männern ernüchterten Mutter zu verdanken, die in ihren ersten Jahren als Erwachsene nicht stimmberechtigt war und zur Eröffnung eines Bankkontos die Unterschrift meines Vaters benötigte. Sie hat mir beigebracht, für mich selbst zu sorgen, mehr noch: für mich selbst sorgen zu wollen.
Ich danke ihr innerlich jeden Tag dafür. Ohne sie verfügte ich wohl kaum über mein feines Gespür für Manipulationen jeglicher Art, und ich wäre auch nicht mutig genug, darauf mit vehementem Widerstand zu reagieren.
Ich bin eine verhältnismässig unabhängige Frau geworden, denke ich. Mein Kopf funktioniert autonomer als viele andere Köpfe. Die grösste Erfüllung finde ich in dem, was ich tue, und nicht in der Beziehung zu einem Mann. Ich prüfe jede meiner Entscheidungen auf ihre Eigenständigkeit und arbeite kontinuierlich daran, meinen Selbstwert endgültig von männlicher Aufmerksamkeit zu entkoppeln. Ich bin weit gekommen in dieser Hinsicht. Meine Unabhängigkeit ist Fakt und Realität, sie ist genauso wenig verhandelbar wie die Tatsache, dass Feuer heiss ist und Wasser nass.
Man könnte sagen, dass ich das Konzept der romantischen Liebe, so, wie es in unserer Gesellschaft gelebt wird, grundsätzlich anzweifle. Eine Haltung, auf die ich stolz bin.
Nur: In der Praxis geht leider nicht immer alles so auf, wie ich es gerne hätte.
Ich bin tatsächlich oft sperrig und nonkonformistisch, antiautoritär und prinzipiell dagegen. Aber: Ich habe auch Facetten, mit denen ich weniger im Reinen bin. Weil sie typischer und stromlinienförmiger sind als die Widerstandskämpferin in mir.
Ein besonders grosser Dorn im Auge ist mir meine innere Prinzessin, denn: Sie ist leider ziemlich dumm! Sie mag böse Buben und breite Schultern, verwechselt possessives Verhalten mit Zuneigung und macht sich stundenlang schön für irgendeinen dahergelaufenen Bock. Sie will auf Händen getragen werden und träumt heimlich nachts von «happily ever after».
Ich verachte sie ein bisschen und bin gleichzeitig doch der Meinung, dass sie durchaus ihre Existenzberechtigung hat. Die Prinzessin trägt eine gewisse Schönheit in sich, sie ist die einfachste und klarste Version von mir. Sie hat ein grosses Herz, das für Abenteuer brennt, ist lieber kitschig als nichtssagend und hält Lady Gagas «Pokerface» für eins der besten Liebeslieder aller Zeiten.
«I wanna roll with him, a hard pair we will be. A little gamblin' is fun when you're with me (I love it). Russian roulette is not the same without a gun. And baby, when it's love, if it's not rough, it isn't fun.»
Kurz: Sie ist eine Frau, die Lust darauf hat, sich weit aus dem Fenster zu lehnen und gegen ihre eigenen Ängste zu handeln. Sie liebt das Risiko, das die Liebe birgt, und sie liebt die Liebe selbst. Anders als ich, ist sie mutig genug, auch mal typisch weiblich zu sein.
Das Problem: Die Widerstandskämpferin und die Prinzessin liegen in ständigem Streit miteinander, wenn es um die Männer geht. Oder besser: um diesen einen Mann, der mich grad so sehr beschäftigt. Die eine will sich die Unabhängigkeit bewahren und mahnt zur Vorsicht, während die andere schon Hals über Kopf in einer Liebesgeschichte steckt.
Ja, ich bin verliebt. Fucking Hell, wie konnte das nur passieren?! Wisst ihr eigentlich, wie anstrengend das ist?! 24/7 dieses rumorende Gefühl mit sich herumzutragen, das in Popsongs glorifiziert wird, sich in der Realität aber eher nach Prüfungsangst anfühlt als nach Schmetterlingen im Bauch? Erinnert ihr euch an den dauernden Schlafmangel, die schwitzigen Nächte und den fast physischen Schmerz, den ein getrennt verbrachter Abend verursachen kann?
Und dann, das Allerschlimmste: Die nagende Angst, dass mir mein Leben entgleitet, dass meine Unabhängigkeit eben doch zur Verhandlungssache wird.
Ich fühle mich lächerlich, ich kann mich selber nicht mehr ernst nehmen. Verliebt zu sein macht mich zur Karikatur einer Frau.
Und weil es jetzt echt nicht mehr drauf ankommt: Full Disclosure. Ich hätte diese Kolumne bereits vor zwei Wochen abgeben müssen, konnte aber leider keinen einzigen klaren Gedanken fassen. Mein Hirn, mein wertvollstes Attribut und Quell meines ganzen Selbstbewusstseins, hat sich über Nacht in Brei verwandelt. In eine dampfende, wabernde Emulsion aus himmelhochjauchzender Zärtlichkeit, ständiger Lust auf Sex und füdliblutter Panik vor dem Verlust jeglicher Kontrolle.
Die gute Nachricht: Ich weiss, das geht vorbei. Kein Mensch hielte es länger als ein paar Monate aus, verliebt zu sein, ich am allerwenigsten von allen.
Die Schlechte: Mein Herz bricht schon jetzt vor Trauer. Ich wünschte, ich könnte es konservieren, mein Gefühl. Weil es echt ist, noch unverletzt. Jungfräulich, irgendwie.
Ich wünschte mir so sehr, happily ever after wäre machbar!