Männer in Anzügen. Machtspiele. Ein Finanzcrash. Das alles klingt nach Blockbuster, ist aber Realität. Regisseur Simon Helbling hat mit «Game Over – Der Fall der Credit Suisse» einen Film über das grösste Banken-Desaster der Schweiz gedreht.

Wir haben ihn in einer diffizilen Phase, nämlich wenige Tage vor dem Kinostart, zum Online-Video-Date getroffen. Und mit den Männerfragen konfrontiert, bei denen wir Männer fragen, was sonst nur Frauen gefragt werden.

Ein Gespräch darüber, warum bei der CS so vieles so schief lief. Warum es mehr Female Leadership gebraucht hätte – und dafür weniger männliches Abnicken im Massanzug.

Du als Mann – warum interessiert dich der Fall der Credit Suisse so stark? Männer haben ja nicht viel mit der Finanzwelt zu tun.

(Lacht.) Finanzen interessieren mich ehrlich gesagt gar nicht so sehr. Es gibt zwei Ebenen: Zum einen finde ich es als Schweizer spannend, weil das CS-Aus ein riesiges Desaster war. Und zum anderen fasziniert mich dieses Phänomen von Männern in Anzügen. 

Typisch Mann, von Männern in Anzügen fasziniert zu sein …

Ich hatte immer ein positives Bild von der CS – sie sponsert viel, ist präsent und wirkt professionell. Gleichzeitig gab es immer wieder Skandale. Und bei jedem Skandal standen wieder Männer in Anzügen da, sahen vertrauenswürdig aus und erklärten: «Wir haben alles im Griff.» Und trotzdem wiederholten sich Skandale. Mich interessiert, warum in der Führungsetage der CS so viele Männer waren, die offensichtlich nicht in der Lage waren, Verantwortung zu übernehmen, und warum die Schweiz denen jedes Mal aufs Neue Glauben geschenkt hat.

Simon Helbling
Ich glaube, das ist ein männliches Problem – Verantwortung abgeben statt übernehmen.


Glaubst du, die CS wäre auch kollabiert, wenn Frauen an der Spitze gestanden hätten?

Ganz ehrlich: Nein. Wenn man sich die Entwicklung seit den 1970ern anschaut, war da ein roter Faden: Niemand an der Spitze hat Verantwortung übernommen. Ein Beispiel ist Oswald Grübel im Jahr 2011, der nach dem Skandal in London, der der UBS einen riesen Handelsverlust beschert hatte, sofort als UBS-Chef zurückgetreten ist. Bei der CS dagegen: kein einziger Rücktritt. Ich glaube, das ist ein männliches Problem – Verantwortung abgeben statt übernehmen. Mir fällt kein einziges von Frauen geführtes Unternehmen ein, das ähnlich toxisch agiert hat. 

Woran liegt das?

Bei der CS gab es zwar Initiativen, Frauen zu fördern. Aber in den Schlüsselpositionen sassen trotzdem immer nur Männer, die Fehler machten und nicht dafür geradestanden. Dieses Verhalten erinnert fast an ein Kind, das etwas kaputt macht und sagt «Das war ich nicht» – obwohl es alle gesehen haben. Und das bringt mich zurück zu den gutaussehenden Männern in Anzügen: Die wollen durch ihr uniformes Auftreten Vertrauen in die Welt setzen. A là: «Ich habe es im Griff, bin intelligent und verantwortungsbewusst.» Nur leider haben sie das Gegenteil gemacht.

Da geht es um Stereotypen …

Hardcore, ja. Deswegen habe ich das Gefühl, dass einer Firmenkultur, in der Frauen an der Spitze gewesen wären, sowas never fucking ever passiert wäre. 

Frauen sind doch auch geldgierig, oder?

Natürlich. Aber ich glaube, ein positiver Nebeneffekt der sexistischen Erziehung ist, dass Frauen tendenziell stärker Verantwortung übernehmen, selbst für Dinge, für die sie gar nicht verantwortlich sind. Das war bei den «Buben» an der CS-Spitze definitiv nicht der Fall.

Simon Helbling
Dieses Finanzkauderwelsch ist wirklich grauenhaft.


War es für dich als Mann schwierig, dich in all die Finanzbegriffe einzuarbeiten? Hattest du immer ein Notizbuch dabei?

(Lacht.) Absolut. Ohne Google und Notizbuch ging gar nichts. Ich hatte zudem Unterstützung von Investigativjournalist Arthur Rutishauser, der sich schon lange mit dem Thema beschäftigt.

Dann hast du viel Hilfe erhalten?

Total. Dieses Finanzkauderwelsch ist wirklich grauenhaft.

Gab es Momente, in denen du dachtest: «Wo ist die Frau, die mir das alles erklären kann?»

Extrem. Es war sehr ermutigend, als ich mit Prof. Anat Admati (Stanford University) ein Interview geführt habe. Sie erklärte mir, dass es Teil des Finanzsystems sei, extra undurchsichtig zu sein. Eine Art beabsichtigte Entmündigung durch unverständliche Begriffe, damit man denkt: «Das ist zu komplex für mich.»

Toll, wenn Frauen endlich Männern die Welt erklären.

(Grinst breit.) 


Arbeitest du lieber mit Männern oder mit Frauen?

Tendenziell lieber mit Frauen – obwohl in der CS-Produktion der Männeranteil höher war. Film ist Teamsport. Und leider gibt es – wie wahrscheinlich auch in anderen Branchen – Männer, die ein Ego-Problem haben oder Unsicherheiten hinter grossem Gehabe verstecken. Das ist im dokumentarischen Arbeiten sehr hinderlich, da man seine eigene Person hinter dem zu interviewenden Protagonisten zurücknehmen muss. Wenn jemand auf dem Set den «grossen Gockel» spielt, ist das verheerend für die Beziehungsarbeit.

Kommt es am Set auch mal zu Zickenkrieg?

(Lacht.) Selten. Man merkt meistens schon in der Vorbereitungszeit, wie jemand tickt. Und wenn es nicht passt, wird rechtzeitig das Team angepasst.

Oh, da führst du weiblich rigoros. 

Ja, weil es sonst wirklich schwierig werden kann.

Werden Frauen und Männer in der Filmbranche gleich bezahlt?

In der Regel, ja. Es gibt tarifliche Lohnklassen, zum Beispiel beim Schweizer Syndikat Film und Video (SSAV) oder im Verband der Filmschaffenden. Natürlich gibt es auf Top-Level auch hier sexistische Gaps, wie überall. Aber grundsätzlich ist das Finanzielle gut geregelt. Es ist allerdings denkbar, dass Männer öfter Chancen bekommen – unabhängig vom Können.

Kein grosser Gender Pay Gap also?

Ich habe das nie im Detail untersucht, aber in der Schweizer Filmbranche sieht es vergleichsweise gut aus.

Deine letzte Serie war «The Pressure Game – Im Herzen der Schweizer Nati». Greifst du bewusst typische «Frauenthemen» auf wie Finanzen oder Fussball?

(Überlegt.) Es hat sich einfach so ergeben. Nach dem ersten «Pressure Game» wollten wir unbedingt auch eines zur Frauen-EM machen. Alle, die beim Männerprojekt sofort dabei waren, hatten bei der Frauen-Nati aber dann kein Interesse. Obwohl es zeitgleich ebenfalls eine EM gab. Beide Projekte – «Pressure Game» und «Game Over» – sind mir mehr passiert, als dass ich sie gezielt ausgewählt hätte. Natürlich aber kann ich mich mit den Themen identifizieren, und sie liegen mir am Herzen.

Simon Helbling
Mein Handwerk hat nichts mit Geschlechteridentität zu tun. Hätte jemand anderes den Film gemacht, wäre der Film anders.


Wäre die Serie genauso gut geworden, hätte eine Frau Regie geführt?

Sicher. Vielleicht wäre der Zugang etwas anders gewesen, aber die Jungs in der Nati hätten damit wohl kein Problem gehabt.

Und wie sieht es mit dem CS-Film aus, hätte ihn eine Frau realisiert?

Es wäre anmassend, aus meiner Perspektive heraus zu phantasieren, was für Widerstände auf eine Frau in meiner Position zukommen würden. Ich kenne mehr als genug Gruselgeschichten von Kolleginnen. Vielleicht so formuliert: Mein Handwerk hat nichts mit Geschlechteridentität zu tun. Hätte jemand anderes den Film gemacht, wäre der Film anders.

Im neuen Film war der Wettbewerb um die Regie gross. Du als Mann, kannst du überhaupt mit so viel Druck umgehen?

Mit Druck habe ich kein Problem. Der Auswahlprozess lief eher im Hintergrund. Ich habe davon wenig mitbekommen. Und auch sonst: Filme machen ist für mich handwerklich eine Wohlfühlzone.


Ich meine natürlich auch den gesellschaftlichen Druck.

Der ist in diesem Projekt sehr real.

Klar, schliesslich haben wir alle den Untergang der CS ja mitbekommen. Ich nehme an, du wolltest alles möglichst wahrheitsgetreu erzählen, aber gleichzeitig – wie es sich für einen guten Film gehört – auch Emotionen wecken. Denkst du, das ist dir gelungen?

Das musst du beantworten. Du hast den Film gesehen.

Stimmt, aber mich interessiert deine Sicht als Regisseur: Ist man stolz auf seine Arbeit? Oder denkt man danach, da wäre noch mehr gegangen?

Das denke ich immer. Dieses Gefühl wird man nie ganz los. Aber erzählerisch «verhebt’s». Ich kann voll und ganz dahinterstehen.

Was rätst du jungen Männern, die trotz aller Hindernisse in der Filmbranche Fuss fassen wollen?

Denkt an die Zuschauer:innen – nicht an euch selbst.

Simon Helbling
Wenn ein Film gut ist, ist er gut – egal welches Genre.

Noch eine Frage zur Filmpremiere diese Woche: Hast du dafür einen Beauty-Tipp? Eine Diät, die du verfolgst?

(Lacht.) Schön wär’s. Dazu bin ich seit Oktober nicht gekommen. Ich muss eher schauen, dass ich meine Anzughose finde – und vielleicht ein neues Hemd kaufen.

Hast du privat lieber Rom-Coms oder Actionfilme?

Ich habe nie ein Lieblingsgenre gehabt. Wenn ein Film gut ist, ist er gut – egal welches Genre.

Laut meiner Recherche hast du keine Kinder …

Stimmt, keine Kinder, dafür drei Katzen. (Lacht.) 

Du bist eine Cat Lady?

100 Prozent!

Ist der Film dein Baby?

Nein, der Film ist nicht mein Baby.

Kein Kinderwunsch?

Nein – zum Glück nicht.