Es ist ein Kurswechsel in der internationalen Gleichstellungsarbeit: Männer sollen in den Fokus rücken. Was auf den ersten Blick wie ein Widerspruch zur Emanzipation der Frauen erscheint, hat gute Gründe. Doch wie kommt es dazu?

Seit 1996 verbietet das Gleichstellungsgesetz (GlG) die Diskriminierung von Arbeitnehmenden aufgrund ihres Geschlechts. Seither sind staatliche Gleichstellungsbüros damit beauftragt, für beide Geschlechter am Arbeitsmarkt die gleichen Chancen zu gewährleisten. Und auch zahlreiche Unternehmen haben mit «DEI-Abteilungen» ein internes Instrument geschaffen, das ein inklusives Arbeitsumfeld fördern soll.

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Was bedeutet «DEI»?
«DEI» steht für drei Pfeiler, welche die Kultur in einem Unternehmen prägen sollen:

- Diversity (Vielfalt) fördert die Diversität eines Teams, etwa in Bezug auf Geschlecht, Ethnie, sexuelle Orientierung und Alter.
- Equity (Fairness) fordert, dass alle Mitarbeitenden den gleichen Zugang zu Ressourcen erhalten.
- Inclusion möchte ein Arbeitsklima schaffen, in dem sich alle Mitarbeitenden zugehörig fühlen und ihre Perspektiven in Entscheidungen einbringen können.

Bei der Frage, ob und wann die Gleichstellungspolitik ihr Ziel erreicht hat, öffnet sich ein Geschlechtergraben. Während sich die meisten Frauen in fast allen Lebensbereichen mehr Chancengleichheit wünschen, betrachten zwei Drittel der Männer Gleichstellung in der Schweiz als bereits erreicht. 28 Prozent aller Männer finden sogar, dass die Schweiz besser dran wäre, wenn mehr Frauen zu Hause bei den Kindern blieben. Und nur ein Drittel der Männer ist der Ansicht, dass in Unternehmen gleich viele Frauen wie Männer in Führungspositionen sein sollten. 

Warum aber zeigen sich viele Männer abgeneigt gegenüber Gleichstellungsprogrammen?

Problem: «Männer nur mitgedacht»

Pirmin Meyer ist selbstständiger Strategieberater mit Fokus auf Culture, Reputation & Stakeholders und Mitgründer der Plattform allyship.ch. Er hat eine Erklärung dafür: «Männer fühlen sich von Diversity-Initiativen oft nicht angesprochen.» Meyer ist der Überzeugung, dass viele Männer Gleichstellung als Ziel zwar unterstützen, aber die daraus abgeleiteten Massnahmen nicht nachvollziehen können. «Wenn du als Mann bloss einmal im Jahr in einem obligatorischen Training mit dem Thema konfrontiert wirst, ist es verständlich, dass viele Männer ablehnend reagieren. Unternehmen setzen deshalb vermehrt auf den Einbezug von Männern als Mitgestalter der Veränderung», sagt Meyer.

Pirmin Meyer
In staatlichen Gleichstellungsprogrammen wurden Männer lange Zeit lediglich mitgedacht.

Hinzu komme, dass überwiegend Frauen Gleichstellungsarbeit betreiben. Laut Pirmin Meyer seien die Beauftragten oft ratlos, warum sich Männer nicht stärker in Inklusions-Themen einbringen – und sich manchmal sogar aktiv dagegen wehren. «In staatlichen Gleichstellungsprogrammen wurden Männer lange Zeit lediglich mitgedacht. Aber ich beobachte ein Umdenken, zum Beispiel im Kanton Zürich und beim Bund», erläutert Meyer.

Markus Theunert, Gesamtleiter des Dachverbands männer.ch, sieht eine tiefer liegende Ursache dafür, dass einige Männer abwehrend auf Gleichstellungsbemühungen reagieren. «Viele Männer hinterfragen die Geschlechtervorstellungen nicht, die nahelegen, dass Frauen und Männer von Natur aus unterschiedlich sind», sagt Theunert. «Wenn Frauen in den Sphären von Macht und Geld untervertreten sind, ist das aus dieser Perspektive keine Ungerechtigkeit, sondern eine vermeintlich natürliche Folge dieser Unterschiede.»

Diversity als Leistungsfaktor

Dass sich gerade grössere Unternehmen mit Diversity auseinandersetzen müssen, ist für Unternehmensberater Meyer selbstverständlich: «Bei meiner Arbeit dreht sich alles um die Frage, wie wir für Leute mit unterschiedlichen Hintergründen einen guten Rahmen schaffen können, sodass sich alle gesehen, gehört und wertgeschätzt fühlen.» 

Pirmin Meyer
Vielfalt macht uns erfolgreicher – aber nur, wenn es uns gelingt, sie aktiv zu managen.

Laut einer Studie der Unternehmensberatung McKinsey zahlt sich das aus: Firmen, welche im Topmanagement einen ausgeglichenen Frauenanteil aufweisen, haben eine 21 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, überdurchschnittlich profitabel zu sein. Dies erklärt sich damit, dass eine Gruppe von Mitarbeitenden kreativere und schnellere Entscheidungen trifft, je vielfältiger ihr Hintergrund ist.

Auch wenn die Zahlen belegen, wie erfolgreich ein diverses Team ist – Meyer benennt eine zentrale Herausforderung: «Vielfalt macht uns erfolgreicher – aber nur, wenn es uns gelingt, sie aktiv zu managen. Es braucht einen offenen Dialog auf Augenhöhe und mehr männliche Allies – auch als Vorbilder an den Unternehmensspitzen.» Heisst: Um Diversität konstruktiv nutzen zu können, müssen Wirtschaft wie Politik einen Weg finden, dass sich auch Männer von Gleichstellungsarbeit angesprochen fühlen.

Das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann hat das umgesetzt: Seit September leitet die Stelle ein Tandem aus einem Mann und einer Frau, namentlich dem Co-Direktor Gian Beeli und der Co-Direktorin Stéphanie Lachat. «Unsere unterschiedlichen Perspektiven ergänzen sich ideal», erzählt Gian Beeli. «Uns ist es wichtig, zu zeigen, dass Gleichstellung nicht nur Frauen betrifft, sondern ein gesellschaftliches Projekt ist, das alle angeht.»

Gleichstellungspolitik bedeutet auch Männerpolitik

Der Trend zeichnet sich international ab. Auch im Europarat wollen die Vertretungen der fünf nordischen Länder Männer in Gleichstellungsfragen stärker mit einbeziehen. Laut dem norwegischen Vertreter Helge Seland werde Gleichstellung oft so diskutiert, als könne man sich nicht um die Anliegen von Frauen und Männern gleichzeitig kümmern. Gleichstellungsarbeit sei laut Seland aber kein Nullsummenspiel: «Befassen wir uns mit den Problemen von Männern, profitieren auch die Frauen – und umgekehrt.»

Markus Theunert
Solange Männer als Massstab dienen, hören sie gleichstellungspolitische Forderungen primär als Appell, auf Macht, Geld und Privilegien zu verzichten.

Auch Markus Theunert von männer.ch äussert Kritik daran, wie einseitig die Politik Gleichstellung auslegt. Der Ansatz definiere Männer als Norm, an der sich Frauen messen sollten. «Solange Männer aber als Massstab dienen, hören sie gleichstellungspolitische Forderungen primär als Appell, auf Macht, Geld und Privilegien zu verzichten», erklärt Theunert. «Damit mehr Männer Gleichstellung mitgestalten, bräuchte es den lockenden Horizont: die Aussicht auf mehr Lebensqualität, tiefere Beziehungen, mehr Selbstverbundenheit, mehr Intimität und erfüllendere Sexualität.»

Einen solchen Weg geht Dänemark. Das Land identifizierte letztes Jahr eine Reihe von Schicksalen, denen Männer überproportional häufig zum Opfer fallen: Drogenabhängigkeit, Obdachlosigkeit, Suizid. Jetzt legt Dänemark einen konkreten Aktionsplan vor, um gegen diese strukturellen Probleme vorzugehen: Das Land fördert mit umgerechnet 4,5 Millionen Franken die körperliche und psychische Gesundheitsversorgung von Männern sowie die Prävention von Obdachlosigkeit und Kriminalität. Davon profitieren sollen letztlich sowohl Männer als auch Frauen.


Und auch die deutsche Gleichstellungsministerin Lisa Paus macht sich für eine geschlechtergerechte Männerpolitik stark. Unter anderem hebt Paus hervor, wie wichtig Männer in sozialen Berufen sind, wo sie sich für Kinder als wichtige Vorbilder herausstellen können. Würden Männer häufiger Care-Arbeit leisten und würde der Staat diese Arbeit finanziell entlohnen, wüchse auch die weltweite Wirtschaft um neun Prozent.

Die Forschungseinrichtung ICRW betont, dass sowohl Männer als auch Frauen die gesellschaftlichen Strukturen aufrechterhalten, unter denen beide Geschlechter leiden. Deshalb liege es auch an beiden Geschlechtern, diese Strukturen aufzubrechen.

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