Wie wichtig ist dir Geld?
Geld bedeutet mir sehr viel, weil es Unabhängigkeit und Sicherheit bedeutet. Ich hatte nicht immer genug Geld in meinem Leben.
Wie war das für dich, Geldsorgen zu haben?
Ich hatte ständig Angst, dass plötzlich das Betreibungsamt vor der Tür stehen oder ich aus meiner Wohnung rausgeschmissen würde, weil ich meine Rechnungen nicht pünktlich bezahlen konnte. Ich hatte Angst um meine Existenz und konnte die kleinen Dinge im Leben nicht mehr geniessen. Alles wurde überschattet von diesen Geldsorgen, die mich ständig bedrückten.
Das klingt sehr belastend. Wie bist du aus dieser Situation herausgekommen?
Bevor ich diesen Kiosk gekauft habe, war ich bei einer Firma angestellt. Zuerst im Lager. Obwohl ich keinen Schulabschluss gemacht hatte, gaben sie mir später die Chance, im Büro zu arbeiten. Ich habe da einen guten Job gemacht und jedes Jahr eine Lohnerhöhung erhalten. Ich habe mich hochgearbeitet und durfte sogar Projekte leiten. Dann erkrankte mein Vater schwer. Einen Monat nach seinem Tod hat mir diese Firma gekündigt. Nach acht Jahren. Einfach so. Ich habe jede Überstunde bereut, die ich für diese Firma geleistet und nicht bei meinem Vater im Spital verbracht habe.
Das tut mir sehr leid. Du hast also dann vor drei Jahren diesen Kiosk gekauft?
Nach dieser Kündigung wollte ich mir zuerst einen neuen Job suchen. Doch dann habe ich mich gefragt: Will ich wirklich wieder in einer Firma arbeiten, in der ich so austauschbar bin? Kurz darauf habe ich vor einem Kiosk in meinem Wohnquartier das Schild gesehen: Zu verkaufen. Jetzt bin ich Kioskbesitzerin.
Du bist eine unabhängige Kioskbesitzerin. Was bedeutet das, wenn ein Kiosk keiner Kette angehört?
Ich definiere mein Sortiment selbst und passe es an meine Kundschaft an. Bei diesen grossen Kioskketten wird den Kund:innen sozusagen vorgegeben, welche Zigaretten sie rauchen, welchen Energy Drink sie trinken und welches Glacé sie essen sollen. Ich wiederum kann auf die Wünsche meiner Kund:innen eingehen und auch lokale Produkte in mein Sortiment aufnehmen. Es ist mir wichtig, regionale Unternehmen zu unterstützen. Momentan verkaufe ich beispielsweise Zigaretten eines Zürcher Unternehmens, Zimmerpflanzen vom Laden nebenan sowie Wein aus der gegenüberliegenden Weinhandlung. Ich kann einfach viel mehr auf die Menschen eingehen als unabhängige Kioskbesitzerin. Das finde ich schön.
Man merkt, dass du den Austausch mit deinen Kund:innen sehr schätzt. Wie vielen Leuten mit Geldsorgen begegnest du in deinem Alltag am Kiosk?
Mir ist es ein grosses Anliegen, dass sich alle willkommen fühlen an meinem Kiosk. Auch Menschen, die durch dieses Netz der Gesellschaft fallen, sollen bei mir Platz haben. Niemand wird bei mir vertrieben, alle dürfen bleiben. Es kommt deshalb auch ab und zu vor, dass Leute bei mir im Kiosk einkaufen und zu wenig Geld haben, um zu bezahlen.
Wie gehst du damit um?
Ich sage solchen Leuten oft, dass sie später bezahlen können. Ich rechne meistens nicht damit, dass das Geld noch kommt. Aber es kommt doch oft zurück. Das finde ich sehr schön, dass die Leute mein Vertrauen schätzen und nicht missbrauchen. Und das meinte ich vorhin in Bezug auf die Kioskketten: So etwas geht nur bei einem unabhängigen Kiosk.
Deine Unabhängigkeit bedeutet aber auch, dass du keine Einnahmen hast, wenn dein Kiosk geschlossen bleibt?
Ja, das ist so. Es gibt Leute, die beklagen sich, wenn ich meinen Kiosk mal einen Tag geschlossen lasse. Viele fragen sich dann auch, wie ich mir das leisten kann. Ich habe dazu eine etwas andere Einstellung. Wenn es mir nicht gut geht, kommt es mich viel weniger teuer, wenn ich mal einen Tag zu Hause bleibe, statt irgendwann drei Monate in einer Psychiatrie zu liegen. Auch unsere Gesellschaft sollte doch verstehen, dass es am Ende vom Tag teurer für alle kommt, wenn Leute beispielsweise zum Sozialfall werden, weil sie diesem Druck in der Arbeitswelt nicht mehr standhalten können. Ich würde mir wünschen, dass wir da etwas weiterdenken.
Warum sprechen Frauen deiner Meinung nach so ungerne über Geld?
Hm, das ist eine gute Frage. Leider ist unsere Gesellschaft noch immer von diesen klassischen Rollenbildern geprägt. Diese Vorstellung, dass der Mann für die Frau sorgen soll, ist noch immer in vielen Köpfen verankert. Viele Frauen haben deshalb wohl Mühe, stolz darüber zu sprechen, wenn sie finanziell unabhängig sind. Das ist schade.
Wie wichtig ist es dir, finanziell unabhängig zu sein in einer Beziehung?
Das ist mir enorm wichtig. Ich denke, dass finanzielle Unabhängigkeit sehr viel mit Gleichstellung in der Beziehung zu tun hat. Wenn eine Person von ihrem Partner oder ihrer Partnerin finanziell stark abhängig ist, kann das unter Umständen auch ihr Selbstwertgefühl beeinflussen.
Wie muss ich mir deine derzeitige Geldsituation vorstellen?
Naja, ich muss sagen, dass dieser Kiosk nicht meine einzige Einnahmequelle ist. Ich mache nebenbei noch ganz viele andere Dinge, zum Beispiel unterstütze ich Firmen administrativ. Deshalb ist es für mich auch nicht so schlimm, wenn in einem Monat mal etwas weniger Geld reinkommt durch den Kiosk. Ich habe mir zudem über die Jahre ein finanzielles Polster zugelegt und brauche auch nicht viel Geld, um über die Runden zu kommen.
Wie bist du finanziell durch die Pandemie gekommen?
Ich habe den Kiosk kurz vor der Pandemie gekauft und während der Pandemie eröffnet. Am Anfang kam fast niemand, es waren ja keine Pendler:innen unterwegs. Mit der Zeit hat es sich aber im Quartier herumgesprochen, dass der Kiosk eine neue Besitzerin hat. Die Leute kamen dann aus dem Homeoffice bei mir vorbei, beispielsweise um Zigaretten zu kaufen. Jetzt gehen viele zurück ins Büro und kommen am Morgen trotzdem noch bei mir vorbei. Von daher war es vielleicht sogar ein Vorteil.
Wie steht es um deine Vorsorge?
Darum kümmere ich mich sehr vorbildlich. Es geht mir dabei nicht nur um mich selbst. Ich finde, dass ich in meiner jetzigen Situation einen Beitrag leisten sollte für die Altersvorsorge. Ich möchte nicht, dass die Generationen nach mir mehr zahlen müssen, nur weil ich zu wenig einbezahlt habe.
Wofür gibst du gerne Geld aus?
Ich gebe gerne Geld für meine Liebsten aus. Es soll ihnen an nichts fehlen, wenn ich mit ihnen eine gute Zeit verbringe. Ich bekoche sie beispielsweise gerne mit qualitativ hochwertigem Essen. Das Fleisch kaufe ich immer hier in der Region bei einem Bauernhof, wo die Tiere gut gehalten werden. Da kriegt man dann gleich eine halbe Kuh, also nicht nur das Filet.
Wie sieht deine Vorstellung von Luxus aus?
Für mich bedeutet Luxus, dass ich morgens aufwache und mich beispielsweise über die Kräuter auf meinem Balkon freuen kann. Luxus ist für mich, wenn man solche kleinen Dinge unbeschwert geniessen kann. Luxus ist für mich aber auch, auf meine Gesundheit zu achten. Wenn ich mich gesund ernähren kann oder Zeit für Sport habe, sehe ich das als grosses Privileg.
Vielen Dank für das offene Gespräch, liebe Geneviève.