Macht und Misogynie, Geld und Gier, Patriarchat und Privilegien: Wer die Antwort nicht scheut, darf unseren Kolumnisten alles fragen, Markus Theunert teilt, was er in 25 Jahren Beschäftigung mit Männern und Männlichkeit gelernt hat.

Heute mit der Frage von Christina (37): Warum ist eigentlich «schwul» ein Schimpfwort unter Männern?

Liebe Christina

Es ist ja wirklich merkwürdig … Obwohl gleichgeschlechtliche Paare mittlerweile heiraten, homosexuelle Menschen ohne jede Aufregung höchste Ämter bekleiden und Paraden sexueller Vielfalt öffentlich gefeiert werden, muss ein Junge auf dem Pausenplatz bis heute zwei Dinge um jeden Preis vermeiden: die «Beschimpfung» als «Schwuler» oder «Mädchen». Das ist verstörend, lässt sich aber männlichkeitskritisch gut erklären.

Startpunkt ist die Feststellung: Mannsein bedeutet, sich im Wechselspiel zwischen gesellschaftlichen Männlichkeitsanforderungen und individuellen Anlagen als Mann selbst «hervorzubringen». Je mehr dieser Anforderungen ein Junge oder Mann erfüllt, umso sicherer ist sein Rang in der gleichgeschlechtlichen Peergroup. Der Geschlechtersoziologe Michael Meuser spricht von einer «doppelten Distinktions- und Dominanzstruktur von Männlichkeit»: Männlichkeitsanforderungen verlangen von Männern, nicht nur anders zu sein als Frauen, sondern auch besser als andere Männer. Das klingt nicht nur stressig, sondern ist es auch.

Markus Theunert
Die sexuelle Anziehung durch Menschen desselben Geschlechts wird durch die traditionelle Männlichkeitsideologie als gesicherter Beleg für «Unmännlichkeit» missbraucht.

Dazu kommt ein weiteres Problem: Die Natur hat  Neigungen und Talente bunt unter den Menschen verteilt. Persönlichkeitseigenschaften, die nur Männer oder Frauen haben, gibt es schlicht nicht. Weil deshalb gar nicht definierbar ist, was «männlich» sein soll, das nicht zugleich «weiblich» sein kann, betonen Männlichkeitsanforderungen notgedrungen vor allem, was Männer auf keinen Fall sein, tun und/oder empfinden dürfen. Deshalb dient eine Negativdefinition als letzter Anker: Ein Mann kann vieles sein, aber ganz bestimmt keine Frau und nicht schwul.

Der Kniff ist leicht durchschaubar, aber trotzdem wirksam: Die sexuelle Anziehung durch Menschen desselben Geschlechts wird durch die traditionelle Männlichkeitsideologie als gesicherter Beleg für «Unmännlichkeit» missbraucht.

Markus Theunert
Wer seinen Selbstwert darauf baut, als «echter Kerl» Anerkennung zu finden, kann sich nie sicher sein, dass es reicht. Ein Moment der Schwäche kann genügen, um sich als «unmännlich» zu entlarven.

Das ist natürlich grober Unfug, erfüllt aber die Funktion, mit einem einfachen Kriterium unliebsame, weil unangepasste Geschlechtsgenossen abzuwerten und/oder auszuschliessen. Für das Patriarchat ist das eine äusserst nützliche Machttechnik. Denn die Gleichsetzung von Homosexualität und Unmännlichkeit hilft ganz enorm, die männliche Lust am Entdecken und Erkunden von Anziehungen, Potenzialen und Sehnsüchten in ein enges Korsett zu zwängen. Mit einem Schlag wird so ein reicher Strauss an Lebens-, Emanzipations- und Solidarisierungsimpulsen abgewürgt. Übrig bleibt das Korsett kontrollierter Mainstream-Männlichkeit.  

Problematisch ist die weitgehende Absenz einer Positivdefinition gelingender Männlichkeit auch deswegen, weil damit ein Schwellenwert fehlt, dessen Erreichen das Streben nach Männlichkeit begrenzen könnte. Wer seinen Selbstwert darauf baut, als «echter Kerl» Anerkennung zu finden, kann sich nie sicher sein, dass es reicht. Ein Moment der Schwäche kann genügen, um sich als «unmännlich» zu entlarven. Deswegen brauchen so viele Männer so viel Energie, um die Fassade von Härte und Stärke selbst dann aufrecht zu erhalten, wenn sie zum bemitleidenswerten Zerrbild geworden ist.

Markus Theunert
Die homosexuelle Beziehung wäre in dieser Perspektive eigentlich Ausdruck maximaler Maskulinität.

Lieber unglücklich als unmännlich, lautet die männlichkeitsideologische Selbstverpflichtung. Denn unglücklich leben kann man(n). Unmännlich zu leben aber wäre gleichbedeutend mit Auslöschung und Vernichtung. 

Unfreiwillig komisch finde ich die Abwertung der Homosexualität dort, wo die Kumpanei unter Männern zelebriert und durchaus auch erotisiert wird. Im Kampf und im Krieg, beispielsweise. Gerade im rechtsradikalen Spektrum ist Männlichkeit ja stets auch eine ästhetische Kategorie. Es wäre eigentlich zu erwarten, dass es in einer traditionellen Männlichkeitsideologie gar nicht zu viel «Männlichkeit» geben kann. Die homosexuelle Beziehung wäre in dieser Perspektive eigentlich Ausdruck maximaler Maskulinität. Sollte man meinen. Aber das darf eben nicht sein. So werden Bruderschaften gelebt, Seilschaften gepflegt und Kameradschaften stilisiert. Sogar die aufopferungsvolle Liebe unter Männern wird heroisiert.

Doch wehe, in das Sehnen mischt sich ein Begehren. Dann ist die Fallhöhe maximal.

Markus Theunert ist Gesamtleiter von männer.ch, dem Dachverband progressiver Schweizer Männer- und Väterorganisationen. Kontakt: theunert@maenner.ch

Diese Kolumne verfolgt – auf Einladung der ellexx-Redaktion – das Anliegen, einen patriarchatskritischen Blick auf Geschlechter-, Geld- und Gesellschaftsfragen beizusteuern. Unserem Kolumnisten ist es wichtig, seine Unsicherheit transparent zu machen, wo die Bereicherung durch eine reflektierte Männerperspektive aufhört – und wo das «Mansplaning für Fortgeschrittene» beginnt.

Warum sprechen Männer untereinander nicht über Probleme?
Unser Autor beantwortet Fragen rund um die Themen Mannsein und Männlichkeit. Heute geht es um Männerfreundschaften.
Warum sind Männer so empfindlich, Markus Theunert?
Er war der erste Männerbeauftragte der Schweiz, gründete 2005 die Plattform männer.ch mit und gehört zu den Vordenkern der politischen Männerbewegung im deutschsprachigen Raum. Wenn einer weiss, was Männer beschäftigt, dann Markus Theunert.