Wir fragen Männer, was sonst nur Frauen gefragt werden. Wir wollen damit einen Dialog über Stereotypen in Gang setzen, zum Nachdenken und Schmunzeln anregen, aber auch Toxizität entlarven.
Gieri Bolliger hat nicht nur ein Herz für Tiere. Als Tierschutzrechtler setzt er sich auch juristisch für sie ein. Wie er zu seinem Job gekommen ist, wie oft er bei der Arbeit weint und ob seine blauen Augen seine Karriere beeinflusst haben, erzählt er in den Männerfragen.
(Wir treffen uns in einem Café, Gieri schaut auf das Handy der Journalistin.) Oh, die zwei sind ja süss. Sind das deine Kinder?
Ja, danke. Gell, ich find sie auch echt herzig. Zwei Jungs, zwei und vier Jahre alt.
Sehr herzig. Ich zeig dir gleich noch meine beiden. Das wird ja vielleicht ohnehin noch ein Thema in unserem Gespräch. (Er zückt das Handy und zeigt es der Journalistin.) Guck, das sind meine zwei. Harrison und Ashley. Zwei adoptierte Tierschutzbüsis.
Oh, die sind auch sehr süss.
Nicht wahr. Aber wir sind ja nicht nur hier, um Bilder auszutauschen.
Genau. Bist du nervös? Du wirkst etwas angespannt.
(Lächelt verlegen und macht ein paar hastige Bewegungen.) Naja, ein bisschen schon. Oder besser gesagt, ich bin gespannt.
Dann fangen wir doch ganz locker an. Erzähl mal ein bisschen von dir. Du machst so was Herziges mit Tieren, oder?
Haha, genau. Ich bin Jurist und habe mich vor mehr als 25 Jahren auf Tierschutzrecht spezialisiert. Ich leite die Stiftung für das Tier im Recht (TIR), eine Tierschutz- und Tierrechtsorganisation, die sich auf juristische Belange fokussiert. Wir sind vor allem in den letzten zehn Jahren ziemlich gewachsen. Inzwischen sind wir 18 Festangestellte. Unser Ziel ist, stark vereinfacht gesagt, die Welt zu einer besseren für Tiere – und Menschen – zu machen.
Ach wie schnusig. Ihr Männer seid einfach so tierlieb. Woher kommt das wohl?
(Schmunzelt.) In unserem Team hat es deutlich mehr Frauen und nur vier Männer. Frauen sind sensibler und haben mehr Empathie für Tiere. Das ist ein Fakt, den man nicht abstreiten kann. Ich finde es natürlich sehr schade, dass es so ist.
Mögen Männer denn keine Tiere?
Doch, klar! Die meisten bezeichnen sich sogar als tierlieb, und kaum einer hat mir gesagt: «Ich hasse Tiere oder mag es, sie zu quälen.» Aber zwischen tierlieb sein und sich dann auch aktiv und konsequent für Tiere und ihren Schutz einsetzen ist nochmal ein grosser Unterschied. Diesen Einsatz leisten Männer deutlich seltener als Frauen.
Aber du schon …
Ja, Tiere und ihr Wohl waren mir immer sehr wichtig. Schon als Kind habe ich nicht mit Puppen oder Autos gespielt, sondern mit Tieren oder Plüschtieren. Woher das kommt, weiss ich nicht. Es gibt da keine familiäre Prägung oder so etwas. Ich wollte auch mal Tierarzt werden. Meine Berufswahl hat sich dann zwar noch verändert, hin zur Juristerei. Aber bei den Tieren bin ich trotzdem geblieben.
Welche Tierli haben es dir denn besonders angetan?
Mein allererstes Haustier war eine Schildkröte. Die war zwar nicht gerade ein Kuscheltier, aber schon cool. Dann hatte ich einen Hund und später immer Büsis. Büsis mag ich schon sehr.
Ein richtiger Cat-Man. Man sieht dich auch auf Insta oft mit deinen Büsis. Du bist ja total verschmust.
(Verschluckt sich fast am Tee und lacht.) Jaja, mit den Büsis bin ich total verschmust. Also eigentlich auch sonst.
Kein Alphamännchen?
Warum meinst du? Weil ich gerne mit meinen Katzen schmuse? Naja, da hast du vielleicht recht. Ich fühle mich nicht als Alphatier.
Trotzdem bist du Geschäftsleiter. Kannst du das überhaupt so als Gefühlsmensch? Und wirst du von all den Frauen akzeptiert?
Manchmal habe ich schon einen schweren Stand, aber das ist auch richtig so. Es ist wichtig, dass wir uns und unsere Arbeit gegenseitig immer wieder hinterfragen. Grundsätzlich hoffe und glaube ich aber, dass ich ganz gut akzeptiert bin. Ich leite die Organisation ja auch nicht alleine, sondern wir sind zu dritt in der Geschäftsleitung. Meine beiden Kolleginnen und ich teilen das Amt sehr gut untereinander auf.
Warum eigentlich Tierrecht? War Wirtschaftsrecht zu schwierig für dich?
Haha, allerdings. Wirtschaftsrecht war mir tatsächlich zu komplex. Vor allem deshalb, weil es mich schlicht viel zu wenig interessiert hat. Es kostet viel Energie, sich in eine Materie einzuarbeiten – und am Schluss erfüllt es einen trotzdem nicht. Darum war Wirtschaftsrecht für mich nach dem Studium kein Thema mehr.
Nun ist es schon eine Weile her, seit du studiert hast …
… ich weiss, ich bin nicht mehr der Jüngste (schmunzelt).
Darauf wollte ich – noch – gar nicht hinaus. Mich interessierte mehr: War Tierschutzrecht vor fast 30 Jahren überhaupt schon ein Thema?
Es war tatsächlich noch kaum ein Thema. Ich habe vom Tierschutzrecht während meiner gesamten Unizeit weder je gelesen noch gehört. Der Begriff war inexistent. Trotzdem habe ich während dem Studium gemerkt, dass ich als konventioneller Anwalt nicht glücklich werden würde. Ich wollte stets etwas Sinnstiftendes für Tiere machen, und deshalb habe ich versucht, einen Weg zu finden, um die Juristerei damit zu kombinieren. Es gab glückliche Fügungen, ich traf ein paar Leute mit ähnlichen Ansichten, und sie haben mich dabei unterstützt, meinen Weg weiter zu gehen. Deshalb schrieb ich dann meine Dissertation über Tierschutzrecht. Danach hat sich vieles einfach ergeben.
Dann warst du ein echter Pionier?
Meine Arbeit hatte damals schon etwas Pionierhaftes. Viele Dinge, die ich und mein Team angepackt haben, waren völlig neu. Inzwischen ist die Welt des Tierschutzrechts eine andere, worüber ich sehr froh und dankbar bin. Ich darf bei Tier im Recht mit herausragenden Mitstreiter:innen zusammenarbeiten, es gibt allgemein ein viel grösseres Bewusstsein und professionellere Strukturen. Wichtig ist mir zu sagen, dass ich all das nicht alleine erreicht habe. Es war immer Teamarbeit.
Ihr Tierschutzrechtler seid sicher die Softie-Fraktion unter den Juristen. Werdet ihr überhaupt ernst genommen?
Nein, vor allem unter den Anwältinnen und Anwälten wurde ich zu Beginn überhaupt nicht ernst genommen. Teilweise ist das heute noch so. Im zwischenmenschlichen Bereich wurde ich zwar schon akzeptiert. Doch selbst in meiner Familie und meinem Freundeskreis gab es Leute, die mir sagten: «Was du machst ist toll, die grosse Leidenschaft und dein grosses Herz sind super. Wir bewundern dich. Aber du kannst das doch nicht hauptberuflich machen. Das ist einfach ein Hobby.» Für mich war aber immer klar: Der Einsatz für die Tiere ist das Wichtigste. Ich will das nicht nebenbei, sondern vollamtlich machen. Dass mir das gelungen ist, ist ein grosses Glück und ein Privileg.
Sehr radikal und zielstrebig für einen Mann. Wer hat denn deinen Idealismus finanziert, eine reiche Frau?
(Lacht herzhaft.) Nein, ich habe mich tatsächlich immer selbst finanziell über Wasser gehalten.
Wie oft drückst du bei deiner Arbeit auf die Tränendrüse?
Ehrlich gesagt tue ich das viel weniger, als ich könnte. Wir leisten ja vor allem wissenschaftliche und öffentliche Aufklärungsarbeit und sind beratend tätig. Vor Gericht sind wir praktisch nie, weil Tiere gar nicht als Partei auftreten können. Unsere Arbeit machen wir beherzt, aber sachlich-fundiert, und wir wollen auch so rüberkommen. Wenn du dir unsere Webseite oder unseren Social-Media-Auftritt anschaust, siehst du, dass sich schon das Bildmaterial, mit dem wir arbeiten, deutlich von den Auftritten anderer Organisationen unterscheidet. Bei uns tropft nicht überall das Blut.
Warum bist du so rational?
Das ist eine Strategiefrage. Wir möchten als Juristinnen und Juristen aufgrund unserer Arbeit ernst genommen werden. Um die Öffentlichkeit aufzurütteln, wäre es natürlich manchmal zielführender, emotionaler aufzutreten. Doch das überlassen wir anderen.
Bist du so gefühlskalt?
Im Gegenteil: Meine Emotionen sind sehr stark. Auch noch nach all den Jahren im Tierschutz. Ich sehe jeden Tag vor allem die negativen Seiten der Mensch-Tier-Beziehung. Wenn alles gut ist, meldet sich ja niemand bei uns. Das sorgt schon auch für viel Ohnmacht, Wut und Frust. Die Kunst ist, daran nicht zu verzweifeln und diese Gefühle umzuwandeln in positive Energie, mit der man etwas bewegen und verändern kann.
Wie oft fliessen bei dir die Tränen bei der Arbeit?
Es passiert mir immer wieder, dass ich weinen muss. Das Schicksal der Tiere generell und die konkreten Fälle gehen mir nahe. Hinter jedem neuen Fall steckt ein neues, oftmals massives Tierleid, von dem ich finde, dass es ein grosses Unrecht darstellt. Kein Tier hat es verdient, zu leiden. Man muss lernen, diese Ungerechtigkeiten bis zu einem gewissen Punkt auszuhalten und zu handeln, ohne dabei abzustumpfen. Auch wenn ich mittlerweile wohl jede erdenkliche Tierquälerei kenne, bin ich trotzdem immer wieder aufs Neue erschüttert.
Du bist oft in den Medien. Liegt das an deinen wunderschönen blauen Augen?
(Verschluckt sich erneut fast am Tee.) Hahaha, das ist wahrscheinlich der Grund. Nein, im Ernst, ich glaube und hoffe natürlich nicht, dass es daran liegt.
Woran könnte es denn sonst liegen?
Ich hoffe doch sehr, dass es an unserem Engagement und an unserer Kompetenz liegt. Die Medien sind für uns wichtig, um unsere Anliegen zu transportieren. Dabei geht es nicht um uns, sondern stets um den Tierschutz. Oft kommen sie auf uns zu, manchmal melden wir uns auch selbst, wenn wir ein bestimmtes Anliegen umsetzen wollen. Ausserdem bin nicht nur ich ab und zu in den Medien, auch meine Kolleginnen sind präsent. Wir teilen uns das auf.
Du hast auffallend volles Haar für einen 54-Jährigen. Wie machst du das?
(Lacht sehr lange.) Gute Ernährung. Ich lebe vegan. Das macht vielleicht auch die Augen blauer.
Wer weiss. Hast du noch andere Beautytipps? Du hast dich ja recht gut gehalten fürs Alter.
Danke, danke. Ich versuche einfach, gesund und bewusst zu leben. Ich mache etwas Sport und ernähre mich ausgewogen. Mehr Tipps habe ich nicht. Ich nehme mir auch nicht besonders viel Zeit im Bad oder vor dem Spiegel. Das ist alles Natur pur (lacht).
Du hast es geschafft. Wie geht es dir?
Das war’s schon? Das ging echt gut – und danke, du warst gnädig mit mir. Ich war mir sicher, dass du mit mir auch übers Fleischessen reden wolltest.
Wir können uns gerne noch über Fleisch und Männlichkeit unterhalten. Was hast du dir denn dazu überlegt?
Ich habe mich schon immer gefragt, warum Fleischessen als so männlich gilt und warum die Bewegung des Veganismus bei Frauen viel mehr verbreitet ist als bei Männern. Es scheint, dass Fleisch ganz einfach nach wie vor für Kraft, Dominanz und Macht steht. Ich glaube wirklich, dass das ein Grund ist, weshalb Männer den Fleischgenuss noch immer so zelebrieren, nicht nur als Grillchef. Sehr vielen Männern fehlt auch hier schlicht die Empathie und das Bewusstsein für das immense Leid der Tiere. Das finde ich sehr tragisch.
Wir auch.