Er war der erste Männerbeauftragte der Schweiz, gründete 2005 die Plattform männer.ch mit und gehört zu den Vordenkern der politischen Männerbewegung im deutschsprachigen Raum. Wenn einer weiss, was Männer beschäftigt, dann Markus Theunert.
Du warst Gründungspräsident und bist heute noch Gesamtleiter von männer.ch. Nehmen sich Männer so wichtig, dass sie eine eigene Website und eine eigene Bewegung brauchen?
Ja!
Warum braucht ihr das?
Männer.ch stellt die Frage, wie weisse, heterosexuelle cis Männer einen Schritt in Richtung Gleichstellung machen können: Wie kann man sie begeistern und mobilisieren für Gleichstellungsfragen? Und dafür braucht es andere weisse, heterosexuelle cis Männer, die sagen: Jungs, jetzt machen wir einfach!
Und weil Männer natürlich vor allem auf andere Männer hören, oder?
Ja. Das kann man bedauern, aber es ist schon so. In vielen Fragen hören Männer zwar auch auf Frauen. Aber wenn es um das Ranking in der Männlichkeitshierarchie geht – und das ist nach wie vor für die meisten Männer von hoher Bedeutung –, dann sind die gleichgeschlechtlichen Kollegen relevanter. Darum ist es wichtig, vor anderen Männern als «echter» Mann dazustehen.
Bitte mansplainen: Was ist das, diese Männlichkeitshierarchie?
Was männlich ist, weiss man ja nicht so genau. Man weiss nur, was sicher nicht männlich ist: Alles, was weiblich ist oder «schwul» wirkt. Männer, die sich ihrer Männlichkeit unsicher sind, können diese nur herstellen, indem sie alles vermeiden, was so wirken könnte. Das führt zu dieser verkrampften, etwas blutleeren Männlichkeitsfasssade.
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Was meinst du damit?
«Echte» Männer dürfen ja nicht zu viele Gefühle zeigen, keine Weichheit zulassen oder zu sensibel sein. Dieses Männlichkeitsbild basiert sehr stark auf Vermeiden. Dadurch lebt man aber im Prinzip ein leicht zeitverzögertes Leben, wenn man immer zuerst abchecken muss, ob das eigene Verhalten jetzt gerade «männlich genug» oder eben «unweiblich» genug ist. Ich würde sagen, fast jeder Mann kennt dieses Bedürfnis, seinen Platz in dieser Hierarchie zu finden und zu verteidigen.
Klingt mega stressig.
Das ist es auch absolut! Aber Frauen kennen diese Art von Stress ebenso, ihr kämpft ja auch mit gewissen Rollenbildern.
Arme Männer. Wie kommt ihr denn da raus?
Das Wichtigste ist: feststellen und anerkennen, dass es solche Männlichkeitsnormen gibt, dass man sie verinnerlicht hat und dass sie nicht unbedingt lebensfreundlich sind. Weil sie es einem schwer machen, Intimität und emotionale Nähe zuzulassen, zum Beispiel. Wenn man einmal erkannt hat: Ich bin jemand anders als die Summe der verinnerlichten Männlichkeitsnormen, ab dann geht es relativ zackig mit der Entwicklung. Aber diese Differenzierung muss passieren.
Aber Männer fühlen sich ja auch so schnell angegriffen.
(Seufzt.) Wenn dieser Vorgang der Differenzierung nicht stattfindet, dann haben diese Männer grosse Mühe, wenn man Männlichkeit gesellschaftlich verhandelt. Oder überhaupt mal fragt: Was ist Männlichkeit überhaupt? Darum haben wir so viele wütende Männer, die sich wahnsinnig aufregen, wenn in der Zeitung etwas von Gender steht – weil sie sich angegriffen fühlen in ihrem wackeligen Selbstverständnis von Männlichkeit.
Gehört Daniel Jositsch da auch dazu? Du hast ja mit einem offenen Brief auf seine Bundesratskandidatur reagiert.
Ich kenne Herrn Jositsch zu wenig, um das zu beurteilen. Reagiert habe ich auf seine Begründung, auf seine Denkfigur einer «Männerdiskriminierung». Aus einer individuellen Benachteiligung eine strukturelle Diskriminierung zu konstruieren: Das ist die Grundoperation männerrechtlerischen Denkens. Sie funktioniert nur mit einer strukturblinden Argumentation. Sonst wird ja sofort sichtbar: Wenn schon eine Mehrheit mittelalter, privilegierter, weisser cis Männer in der Regierung sitzen, ist es albern, so zu tun, als würden mittelalte, privilegierte, weisse cis Männer systematisch von politischer Macht ausgeschlossen. Genau das aber meint «Diskriminierung». Diesen argumentativen Kniff zu kritisieren, war mir wichtig.
Welche Reaktionen gab es auf deinen offenen Brief?
BLICK und 20Minuten haben ihn aufgegriffen. Entsprechend zahlreich waren die Reaktionen. Es gab zwei Strömungen: einerseits viel Zustimmung und Dank für die klare Abgrenzung – sowohl von Männern wie Frauen. Andererseits viele Beschimpfungen, meist nach dem Muster «Wer sowas schreibt, ist doch kein richtiger Mann». Das äussern fast ausschliesslich Männer. Ich lese die Vehemenz ihrer Abwehr als Bestätigung, wie notwendig es ist, dass wir cis Männer unsere Geschlechtsgenossen zu einer privilegienkritischen Auseinandersetzung einladen und auffordern.
Also darf man heute ja eigentlich gar nichts mehr sagen, ohne dass sich jemand angegriffen fühlt.
(Lächelt.) Man(n) darf alles sagen, riskiert aber einfach mehr Widerspruch als früher … Fragile Männlichkeit ist recht gut untersucht und ist einer der grössten Treiber für Radikalisierung. Diese Typen, die einen auf dicken Max machen und sich an klassische Männlichkeitsmerkmale klammern – körperliche Stärke, Souveränität in jeder Lebenslage, dominantes und abwertendes Verhalten anderen gegenüber –, das sind im Kern unsichere Männer. Sie versuchen so verkrampft, diese Unsicherheit zu verbergen, dass es manchmal fast schon karikaturhaft wirkt.
Sind Männer denn so einfach zu vereinheitlichen?
Nicht ganz. Es gibt eine Typologie, die in Deutschland entwickelt wurde und die ich recht hilfreich finde. Männer werden hier empirisch vier Kategorien zugeordnet: Ganz am Rand hast du die modernen, egalitären Männer, die Gleichstellung gut finden und entsprechend leben: moderne Väter, die Teilzeit arbeiten, zum Beispiel. Und am anderen Ende hast du die traditionellen Männer: Die finden, Frauen gehören in die Küche und zu den Kindern. Diese beiden Typen machen je etwa 20 Prozent der Bevölkerung aus. Die Modernen sind auf einem guten Weg und brauchen eigentlich keine Unterstützung mehr, und bei den Traditionellen ist eh Hopfen und Malz verloren, um es überspitzt zu formulieren.
Darf man jetzt nicht einmal mehr finden, dass Frauen in die Küche gehören?
Haha, doch, natürlich. Auch wenn es furchtbar altbacken ist und für mich persönlich überhaupt keinen Sinn ergibt, muss man das wohl respektieren und diese Männer in Ruhe lassen. Neben diesen beiden Gruppen gibt es noch die Verunsicherten, die zwar an einer anderen Männlichkeit interessiert sind, aber nicht recht wissen, wie das gehen soll. Sie brauchen Unterstützung und Orientierung, Vertrauen und Austausch mit anderen Männern. Und dann gibt es noch die Pragmatischen: Die haben eigentlich traditionelle Rollenbilder, aber trauen sich nicht mehr, es zu sagen. Und aus meiner Sicht ist das politisch die tückischste Gruppe. Dort nehme ich spätestens seit Trumps Wahl 2016 auch eine klare Verschiebung wahr.
Inwiefern?
Die Akzeptanz, sich als Mann sexistisch zu verhalten und zu äussern, hat in dieser Gruppe zugenommen. Wofür man sich vor zehn Jahren noch geschämt hätte, das posaunt man heute plötzlich stolz heraus. Und man freut sich ob der Empörung.
Sexismus, Mobbing, Lohnungleichheit am Arbeitsplatz? Absolute No-Gos, dennoch nehmen es viele Frauen hin. Das darf nicht sein. Deshalb ist es höchste Zeit für eine Rechtsschutzversicherung von Frauen für Frauen. Wehr dich.
Und wie erreicht zum Beispiel männer.ch diese Typen?
Um ehrlich zu sein: Ich weiss es nicht. Man muss sich bewusst sein, dass wir uns in einer ergebnisoffenen Situation befinden, was das Männlichkeitsbild angeht. Es kann in die eine oder die andere Richtung kippen. Also kann man nur strategisch überlegen. Dazu gehört etwa, dass man jenen Männern Sorge trägt, die progressiv denken und bereit sind, sich zu reflektieren und an sich zu arbeiten, aber verunsichert und vielleicht auch verletzt sind durch die Abwertung traditioneller Männlichkeit. Für sie braucht es entsprechende Angebote. Bei den Traditionellen könnte eine «Teflon-Strategie» funktionieren, dieser Rat richtet sich auch an die Medien: Empörungsbewirtschaftern sollte man nicht noch mehr Aufmerksamkeit geben. Mich erinnern diese Männer manchmal an das Kind im Chindsgi, das «Gaggi» sagt, und alle schreien auf. Das muss nicht sein. Solange diese Männer Aufmerksamkeit bekommen, werden sie sich daneben benehmen.
Pirmin Meyer von «WE/MEN» hat durch dich zum Feminismus gefunden, in deinem Wikipedia-Eintrag steht, du gehörst zu den «Vordenkern der politischen Männerbewegung im deutschsprachigen Raum». Du bist also quasi die Schweizer Version von Alice Schwarzer. Setzt dich das unter Druck?
Die Schweizer Alice Schwarzer … naja. (Kichert kurz, überlegt lange.) Nein, als Druck würde ich das nicht beschreiben. Ich habe ja einen gewissen Anspruch an meine Arbeit und die Dinge, die ich tue. Und ich finde, man darf auch eine gewisse Zufriedenheit verspüren, als tonangebend zu gelten. Grundsätzlich geht es ja um die Positionierung einer politischen Männerbewegung und um die Frage, wie Männer genügend Spielraum für eigene Entwicklungen haben, um ihre eigenen Beiträge zur Gleichstellung leisten können. Wenn ich mit meiner Arbeit etwas dazu beitragen kann, macht mich das schon glücklich. Immerhin treiben mich diese Fragen schon seit über 20 Jahren um. Ich bin ja auch mit anderen Männern aus diesem Bereich im Austausch, die Szene ist relativ übersichtlich – leider!
Gibt es da keine Stutenbissigkeit untereinander?
(Kichert.) Wirklich wenig. Das hat wohl damit zu tun, dass Männer, die sich vertieft mit Geschlechterfragen auseinandersetzen, noch immer krass in der Minderheit sind. Dadurch entsteht fast zwangsläufig eine Grundsolidarität. Und die imprägniert ganz gut gegen dieses ganze Konkurrenz-Zeugs.