Macht und Misogynie, Geld und Gier, Patriarchat und Privilegien: Wer die Antwort nicht scheut, darf unseren Kolumnisten alles fragen, Markus Theunert teilt, was er in 25 Jahren Beschäftigung mit Männern und Männlichkeit gelernt hat.
Heute mit der Frage von Franziska (44): Warum sprechen Männer untereinander nicht über ihre Probleme?
Liebe Franziska
Das ist ganz einfach: Ein «richtiger Mann» hat keine Probleme. Weshalb sollte er also darüber sprechen?
Wenn ich dieses Klischee bemühe, meine ich das natürlich nicht ganz ernst. Aber trotzdem bildet es eine Realität ab – oder zumindest eine gern gepflegte Illusion. Denn tatsächlich verlangen gesellschaftliche Männlichkeitsanforderungen von Jungen und Männern bis heute ganz vieles, was der Entwicklung kommunikativer Kompetenzen nicht eben zuträglich ist. Beispielsweise die Pflicht, keine Gefühle der Schwäche und Bedürftigkeit zu zeigen. Fels in der Brandung zu sein. Sich und sein Leben im Griff zu haben. Es ist unter diesen Umständen bereits eine ziemliche Herausforderung, Unbehagen oder Scheitern vor sich selbst einzugestehen. Der Schritt, sich damit auch noch einem anderen Mann anzuvertrauen, ist für viele Männer zu gross.
Diese Feststellung bildet einen irritierenden Kontrast zum Klischee der «best buddies», die gemeinsam durch dick und dünn gehen und ihre selbstgewählte Bruderschaft wichtiger nehmen als die Beziehung zu ihren Partnerinnen. Um die Widersprüchlichkeit zu verstehen, muss man die Feinmechanik von Beziehungen unter Männern im Patriarchat näher analysieren. Denn die ist durch die Gleichzeitigkeit von Gefährtenschaft und Konkurrenz gekennzeichnet.
Der Soziologe Pierre Bourdieu bezeichnet in seinem Standardwerk «Die männliche Herrschaft» (2005) Männer als «Partner-Gegner». Sie seien stets gefordert, zwecks Sicherung ihres Status innerhalb der männlichen Peer Group «die ernsten Spiele des Wettbewerbs» auszufechten.
So sind Männerfreundschaften oft geprägt von Konkurrenz. Man versucht sich zu übertrumpfen – sei es im Sport, beim Flirten im Ausgang oder beim Sprüche reissen in der Stammkneipe. Diese Art von Männlichkeit muss sich ständig beweisen und kann deshalb auch ständig unterliegen. Entsprechend fragil ist sie. Trotzdem vermittelt sie in aller Fragilität eben auch eine gewohnheitsmässige Sicherheit. Denn aus Erfahrung weiss man(n) ganz genau, was zu tun ist, um in einer Männerrunde zu bestehen. So erweist sich das Bedrohliche als Vertrautes, Geborgenheit Stiftendes.
Die Antwort auf deine Frage ist also eine Doppelte, eine widersprüchliche. Der erste Teil der Antwort heisst: Männer sprechen untereinander nicht über Probleme, weil es zu riskant ist. Das Risiko besteht darin, sich kraft des Probleme-Habens und des Probleme-Thematisierens als «unmännlich» zu outen. Wer persönliche Informationen preisgibt, läuft zudem Gefahr, dass diese vom «Partner-Gegner» in einem anderen Moment missbraucht werden könnten, um ihn blosszustellen, lächerlich oder klein zu machen, zu beschämen.
Der zweite Teil der Antwort lautet: Die Frage beruht auf einem Missverständnis. Denn (viele) Männer haben gelernt, eine etwas andere Form von Austausch als «normal» zu empfinden als dies unter Frauen der Fall ist. Entsprechend haben sie auch ein anderes Verständnis, was ein «gutes Gespräch» ausmacht. Emotionale Selbstreflexion ist nicht Kern des männlichen Austauschs. Ein leicht abgedroschenes Bonmot sagt: «Men don’t talk face to face but shoulder to shoulder». Der Spruch verweist auf Situationen vertrauter Mitmännlichkeit: im Stadion, an der Werkbank, am Bartresen, wo sich Männer beim Gespräch nicht ins Gesicht blicken, sondern Schulter an Schulter sitzen, den Blick nach vorne gerichtet Solche Settings erleichtern vielen Männern Selbstmitteilung und Zusammensein. Von aussen mögen solche Begegnungen irritierend wortarm und beziehungskarg aussehen. Trotzdem leisten sie, was ein «gutes Gespräch» leisten soll: Sie schaffen Verbindung.
Ganz ehrlich: Mir persönlich erschliesst sich auch nicht recht, wie genau das geht. Für mich ist ein zentrales Element gelingender Kommunikation, auch über Gefühle zu sprechen. Nur wenn ich mich im Verletzlichen mitteile, erfahre ich die Entlastung, die ich suche. Gerade weil ich eher so funktioniere, wie es dem Stereotyp weiblicher Kommunikation entspricht, ist es mir wichtig, das «typisch Männliche» nicht einfach als defizitär abzuwerten. Mannsein im Patriarchat ist zwangsläufig mit der Erfahrung einer tiefgreifenden Entfremdung verbunden. Wenn Männer diese Last wortlos teilen, dann hat das seine Berechtigung – auch wenn die Begrenzung offenkundiger scheint als der Nutzen.
Diese Kolumne verfolgt – auf Einladung der ellexx-Redaktion das Anliegen, einen patriarchatskritischen Blick auf Geschlechter-, Geld- und Gesellschaftsfragen beizusteuern. Unserem Kolumnisten ist es wichtig, seine Unsicherheit transparent zu machen, wo die Bereicherung durch eine reflektierte Männerperspektive aufhört – und wo das «Mansplaning für Fortgeschrittene» beginnt.
Markus Theunert ist Gesamtleiter von männer.ch, dem Dachverband progressiver Schweizer Männer- und Väterorganisationen. Kontakt: theunert@maenner.ch