Diesen Fragen versucht Nils Pickert in seinem Buch «Lebenskompliz*innen – Liebe auf Augenhöhe» auf den Grund zu gehen. Pickert ist 1979 in Ostberlin geboren und schreibt als freier Journalist für «Die Zeit», «taz» oder den «Tagesanzeiger». 2012 sorgte er für mediales Aufsehen, als er sich einen Rock anzog, weil sein 5-jähriger Sohn gerne Kleider trug und er ihm ein Vorbild sein wollte. Er engagiert er sich gegen Sexismus und Homophobie und hat vier Kinder.
Seine These: Liebe ohne Augenhöhe ist möglich, aber sie hat keine Zukunft. Er zeigt auf, wo wir in Beziehungen noch immer das tun, was «man» halt so tut, und wie eine selbstbestimmtere Form von Liebe zwischen zwischen Mann und Frau möglich ist.
Nämlich indem wir das Idealbild der romantischen Liebe auf dem Schrottplatz der Geschichte entsorgen. Monogamie, ein gemeinsames Zuhause, Kinder, gemeinsamer Urlaub, eine Hochzeit in Weiss: All dies seien christlich-patriarchale Anforderungen, denen nur sehr wenige Menschen tatsächlich entsprechen würden. Anstatt dessen plädiert Nils Pickert für bilaterale Abmachungen, Beziehungsverträge und Sex, der auch mal schlecht sein darf. Erst mit dem Ende der romantischen Liebe, so ist er überzeugt, werden wir erkennen, wie grossartig die echte, normale (und manchmal endliche) Liebe wirklich ist.
Wann bist du Feminist geworden? Bist du überhaupt Feminist?
Ich würde sagen, dass ich Feminist bin, auch wenn ich lange mit dem Begriff gehadert habe, weil es leider einige Männer gibt, die dieses Label benutzen, um sich hinter die Verteidigungslinien von Frauen und marginalisierten Gruppen zu schleimen. Es gab viele Momente, in denen ich zum Feministen wurde. Als meine Mutter sich gegen das DDR-System erhob. Als eine Freundin sexualisierte Gewalt erfuhr. Als ich Kinder bekam.
Was möchtest du in Bezug auf Sexismus nie mehr erleben oder hören?
Dass das ja alles kein Problem ist und längst Schnee von gestern. Ich bin neulich auf dem Weg nach Hause mit dem Rad zufällig meiner Tochter und ihrer Freundin begegnet. Auf einer Strecke von 200 Metern wurden beide zweimal ziemlich ekelhaft gecatcalled. Dudes United sollen einfach aufhören so zu tun, als gäbe es das alles nicht.
Wo erlebst du im privaten und im öffentlichen Raum am meisten Sexismus?
Ich arbeite in einem feministischen Verein, für den ich mir Werbebilder anschauen muss, auf denen zum Beispiel mit einer halbnackten Frau, die sich schmerzverzerrt den Schritt hält, und dem Claim «Weitet die engsten Stellen» für eine Schlagbohrmaschine geworben wird. Ich bin echt der Falsche, um auf so eine Frage kurz antworten zu können. Ausser mit: Sexismus ist überall.
Welches war der Schlüsselmoment für dein Buch? Welches Erlebnis hat den Ausschlag dafür gegeben, dass du dich entschieden hast, ein Buch zu schreiben?
Es gab drei. Einmal die konstante Erwartung in meinem Umfeld, ich würde andere Liebesbeziehungen ausser meiner eigenen als irgendwie minderwertig oder weniger liebevoll einstufen. Dem ist aber nicht so. Liebe hat viele Formen, und das ist auch gut so. Dann die überzogenen Liebesideale, mit denen wir alle tagtäglich überfrachtet werden: Ewige, bedingungslose, unverbrüchliche Liebe. All das ist Liebe aber gar nicht. Liebe ist wie wir. Liebe ist auch nur ein Mensch. Und dann hatte ich im Freundeskreis einige Paare, die an eben diesen Anforderungen gescheitert sind. Paare, die sich wirklich geliebt haben, aber schliesslich aufgaben, weil sie die Konfrontation mit der sozialen Liebeserwartung nicht mehr ertragen konnten: Wie, ihr lebt nicht zusammen, habt keine Kinder und mit anderen Menschen Sex? Dann liebt ihr euch auch nicht.
Allein dafür war ich der romantischen Liebe ein paar gepfefferte Beleidigungen schuldig, und die hat sie dann ja auch bekommen.
Was hast du selbst im Schreibprozess gelernt?
Dass ganz alltägliche, stinknormale Liebe noch viel grossartiger ist, als ich es für möglich gehalten hatte. Jede Liebe, die mit allen ihren Konflikten immer noch steht, ist besser als jede romantische Fiktion über Liebe, die je erdacht wurde. Ausserdem habe ich ein Jahr lang über eine Definition von Liebe nachgedacht, bis ich eine hatte, die über das Buch hinaus gültig ist: Liebe ist das Bedürfnis und das Bemühen darum, sich in jemandem zu beheimaten.
Inwiefern haben deine Kinder und das Muttersein dein Schaffen befeuert oder gebremst?
Anmerkung der Autorin: Wir wollten zunächst ausschliesslich Frauen für unsere Sommerserie interviewen. In den Fragen, die Nils Pickert geschickt wurden, hat meine schlaue Wenigkeit vergessen, das «Muttersein» in «Vatersein» umzuändern.
Leute, was ist mit euch?! Wir reden hier über Sexismus und ihr stellt so eine Frage nur an Mütter?
Als Vater von vier Kindern reden wir schlicht und ergreifend von viel Nachtarbeit und wenig Schlaf. Insofern bremsen Kinder schon. Aber ohne sie wäre ich ein sehr viel schlechterer Autor. Ich würde sehr viel prätentiöser schreiben, rücksichtsloser und empathiebefreiter.
Wer ist dein Vorbild? Wer inspiriert dich?
Gerade vor allem meine fünfjährige Tochter. Ich sitze an meinem zweiten Kinderbuch, und im Prinzip muss ich ihren unfassbar kreativen Ideen und Wortschöpfungen einfach nur zuhören, dann schreibt sich das von allein.
Was würdest du heute in deinem Buch anders schreiben?
Alles. Ich würde jedes Gespräch anders führen, jeden Text anders schreiben als gestern. Kommunikation ist immer auf den Moment bezogen. Das ist vollkommen in Ordnung. Das tut ein bisschen weh und ist zugleich das Schöne daran.
Wer durfte deinen Entwurf zuerst lesen?
Meine Lebenskomplizin.
Wie bringt man Männer dazu, dein Buch zu lesen?
Männer sollten mein Buch lesen, weil es ihnen guttun würde. Weil es sie klüger macht, zärtlicher, entspannter, liebevoller, gleichberechtigter. Und auch wenn sie es vielleicht nicht auf Partys erzählen würden, vermutlich auch feministischer. Wenn sie darauf keinen Bock haben, sollen sie es lassen.
Was braucht es für eine feministische Weltrevolution?
Wut. Macht. Gleichberechtigung. Nachhaltigkeit. Alternativen. Und Männer, die die Schnauze voll haben, vom Patriarchat vereinnahmt und verarscht zu werden.