Das Buch «I will be different every time» macht Frauen aus der afrikanischen Diaspora mit ihren Stimmen, Biographien, Denkweisen, Perspektiven und Lebenswelten sichtbar.
Ein Beitrag im Buch stammt von der Co-Herausgeberin und Lyrikerin Fork Burke. Die Künstlerin und Lyrikerin wurde in Detroit (USA) geboren und studierte in New York Literaturwissenschaften und Creative Writing an der New School University. Heute lebt Fork Burk in Biel und beschäftigt sich intensiv mit Schwarzer Geschichte und Afrofuturismus.
Du hast eine Tochter: Wie gelingt eine feministische Erziehung, möglichst frei von Stereotypen?
Ich denke, als Frau und Elternteil weiss man, dass nicht nur man selbst ein Vorbild ist. Man lebt das Leben, das man seiner Tochter zeigen und vorleben will. Man muss seine Tochter aber auch einer Gemeinschaft von starken Frauen aussetzen. Es ist nicht nur die Mutter, auf die das Kind schaut. Es geht darum, wer deine Freund:innen sind. Diese Freund:innen schaffen einen bestimmten Lebensrhythmus. Ich glaube, Kinder sehen diese Unterstützung, sie sehen diese Stärke, wenn man andere Frauen in sein Leben einbezieht.
Stellst du Backlashes bei bestimmten Themen oder Ideen in Bezug auf den Feminismus fest?
Das ist eine Untertreibung. Wenn die Dinge besser zu werden scheinen, werde ich ein wenig nervös. Denn es gibt immer so viel Spielraum für Vereinnahmung, Verdrehung und Manipulation, dass wir am Ende etwas verlieren. Wir werden immer auf die eine oder andere Weise abgelenkt. Die ganze Sache mit Roe vs. Wade und dem Kampf um das Recht auf Abtreibung ist mehr als tragisch, aber wir haben nie aufgehört, weltweit Rückschläge zu erleiden. Wenn man den Schrecken in den USA isoliert betrachtet, verkennt man, dass es sich um eine Horrorshow mit Unterbrechungen handelt, in der wir Chancen haben, und das ist alles.
Was war ein Schlüsselmoment für dein Buch?
Das Buch habe ich gemeinsam mit Franziska Schutzbach und Myriam Diarra herausgegeben. Ich habe mich entschieden, mit meinen poetischen Essays zum Buch beizutragen, weil ich Lyrikerin bin. Und ich wollte mich klar ausdrücken. Ich weiss, wenn man ein Gedicht oder einen poetischen Essay liest, scheint es das Unklarste überhaupt zu sein. Aber für mich war das alles, was ich zu sagen hatte. Das, was ich für wichtig hielt, nämlich die Jugend anzusprechen, Mädchen, Schwarze Mädchen und solche, die noch nicht geboren sind. Die Zukunft. Ich wollte davon ausgehen, dass wir alles, was wir derzeit tun, einfach hinter uns lassen, und die Vision so darstellen, wie ich sie sehe. Das, was ich geschrieben habe, musste also viele Fragmente der Geschichte enthalten und eine Collage aus allem sein, was zu einer Vision gehört – sei es von Vorfahren oder aus belauschten Gesprächen. Ich wollte alle Dinge, die auf uns einwirken, aufgreifen und eine klare Aussage machen. Darüber, wie weit Wahrheit und Erneuerung gehen, wenn wir von unserer afrikanischen Weltsicht ausgehen – jenseits des oberflächlichen Wissens und der Einschränkungen der Abgrenzung, die in einer europäischen Weltsicht wurzeln. Aber ich stellte auch fest, dass ich an ein erfolgreiches Textstück von mir den Anspruch habe, dass ich es jedes Mal anders verstehe und lese. Es soll fast so sein, als würde ich es jedes Mal zum ersten Mal lesen. Für mich ist das bei meiner Arbeit wichtig. Wenn das nicht der Fall ist, habe ich das Gefühl, dass das, was das Stück zu sagen hatte, vorbei ist, und ich muss weitergehen oder etwas anderes vertiefen. Aber solange es noch etwas aussagt, dann ja …
Welche persönliche Entwicklung hast du während des Schreibens durchgemacht?
Es war eine Herausforderung, weil ich nicht wusste, wo ich in der Spirale einsteigen wollte. Ich wusste nicht, worauf ich mich genau konzentrieren sollte. Ich musste dem Ganzen wirklich Zeit geben. Es hat mich lange Zeit gequält, was ich sagen wollte, wie direkt ich sein musste. Ich wollte wirklich, dass es in der Stimme und in der Sprache dessen, was ich als uns wahrgenommen habe, richtig ist. Wenn man also eine weibliche «Écriture» hat, eine sehr weibliche Sprache, dann will man das nicht auf akademische Art und Weise sagen. Denn ohne es zu merken, ist die Verwendung dieser Sprache für mich eine Herabsetzung und in gewisser Weise eine Beugung. Diese Sprache ist reduziert, auch wenn sie klarer zu sein scheint. Sie ist nicht unsere Sprache. Ich wollte einfach eine Sprache finden, die nicht beschädigt werden kann.
Was war das schönste Kompliment, das du für dein Buch erhalten hast? Und was war die schlimmste Beleidigung?
Über die eine Frage muss ich noch nachdenken. Die andere Frage kann ich sofort beantworten: Ich bekam keine Beleidigungen. Wenn die Leute etwas Schlechtes zu sagen hatten, haben sie es für sich behalten. Ich hatte nichts als wunderbare Erfahrungen aller Art von verschiedenen Menschen mit verschiedenen Gedanken. Das Netteste, hmmm ... ich kann mich nicht mehr an die genauen Worte erinnern. Aber die Resonanz von jungen Frauen bei dieser einen Lesung in Zürich zu bekommen, das hat mir wirklich viel bedeutet. Ich habe schon vorher nette Dinge und interessante Dinge und Komplimente gehört, aber diese Lesung gab mir das Gefühl, dass sich das Buch einer Gemeinschaft angeschlossen hat oder die Gemeinschaft sich dem Buch angeschlossen hat. Ich hatte das Gefühl, ein Teil der Dynamik zu sein. Für mich war das besser als ein Kompliment. Denn als wir mit dem Projekt begannen, sah ich die Präsenz dieser Gemeinschaft kaum. Als das Buch fertig war, hatte sich diese kleine Gemeinschaft gebildet. Es war, als würden all diese Blumen blühen.
Was ist die Kernbotschaft des Buches im Allgemeinen – und die deiner Essays?
Meine Hauptbotschaft ist, die Sprache zu sprechen, in der wir bereits angekommen sind. Es geht wirklich darum, aus der akademischen Sprache herauszutreten. Es geht darum, das was wir sind, mit unserer eigenen Stimme zum Ausdruck zu bringen. Das heisst nicht, dass die Art und Weise, wie ich schreibe, unsere Stimme ist, sondern dass es meine Stimme ist. In meinem Essay gibt es ein Zitat von Dr. Marimba Ani. Ich habe mir ihre Interviews oft angesehen. Sie sagt: «Wir müssen uns selbst in unserer eigenen Sprache und zu unseren eigenen Bedingungen definieren.» Das ist die Hauptbotschaft. Wir müssen uns nicht durch eine westliche akademische Sprache oder was auch immer übersetzen. Wir entdecken unsere Beziehung zur Sprache.
Die Hauptbotschaft des Buches hat viel mit dem Vermächtnis zu tun. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Gruppen von Menschen ihre eigene Geschichte erzählen, die Geschichte weitergeben und sichtbar sein wollen. Ich denke, das ist sehr wichtig für das Überleben eines Volkes. Es ist eine Sache, in einer Gesellschaft unsichtbar zu sein, aber es ist eine andere Sache, füreinander unsichtbar zu sein. Das war für mich inakzeptabel.
Auf was im Buch bist du besonders stolz?
Die erste Frau, die wir für ein Interview ausgewählt haben – diese Frau hat die nächste Frau ausgewählt, und diese Frau hat die nächste Frau ausgewählt. Und dieser Prozess hat wirklich für einen magischen Faden gesorgt. Ich glaube wirklich sehr an die unsichtbare Welt, und wir haben das Unsichtbare vor dem Sichtbaren aktiviert. Anstatt dass eine von uns sich hingesetzt und eine Liste von Frauen erstellt hat, liessen wir jede Frau die nächste Frau auswählen. Als ich all die Autorinnen bei einer Vernissage traf, war das etwas ganz Besonderes.
Wie bereit ist die Schweiz für dein Buch?
Die Schweiz ist viel bereiter, als man denkt. Ich glaube nämlich, dass die Schweiz vielseitig ist, was zu einer grösseren Chance führt, gesund zu sein. Denn Isolation führt zu Wahnsinn. Wir müssen unsere Kulturen miteinander teilen, so sind erfolgreiche Kulturen immer gediehen. Ich denke, mit all den unterschiedlichen Familien, die in der Schweiz leben, hat das Land erkannt, dass es an der Zeit ist, aus dieser engen Sichtweise herauszukommen. Wir wollen nicht in einer Mentalität leben, die den Frauen erst in den 1970er-Jahren das Wahlrecht zugestanden hat. Wen wollen wir hier schützen? Wir alle wollen uns weiterentwickeln. Ich denke, dass die Schweiz sehr bereit ist, ausser dort, wo sie es nicht ist. Und die Leute sollten darauf reagieren, sei es mit Aktivismus oder sonst wie. Ich persönlich ignoriere diese Dinge einfach, ich ersticke sie im Keim und mache weiter. Das bin ich.
Wen möchtest du mit deiner Botschaft «aufwecken»?
Niemanden. Ich möchte niemanden aufwecken, denn die Leute, für die ich es geschrieben habe, müssen nicht aufgeweckt werden. Es ist für diejenigen Menschen, die die Gegenwart ihrer anderen Schwestern spüren müssen. Ich habe es geschrieben, weil ich so etwas für meine Tochter nicht gefunden habe, als ich hierher kam. Und das war meine Motivation. Dass etwas für ihre Generation und danach da ist. Und das kommt am Ende uns allen zugute.
Welche Frage zu deinem Buch möchtest du nie wieder gestellt bekommen?
Warum hast du das Buch geschrieben? Ich denke, manche Fragen sind gute Einstiegsfragen und spiegeln Neugierde wider. Aber manchmal denke ich einfach: «Setz dich einen Moment damit auseinander.» Wenn wir in die Schule gehen, fragen wir die Lehrer:innen nie: «Warum wurde dieses Buch geschrieben?» Weil man über verschiedene Revolutionen lernen muss. Man muss diese Dinge einfach lernen.
Über welche anderen Themen würdest du gerne schreiben?
Es gibt auch Themen, die ich nicht verstehe, bevor ich über sie schreibe, weil ich Lyrikerin bin. Aber ich denke, ein Thema, das mich im Moment neben der Sprache sehr interessiert, ist die ganze Geschichte des westlichen Literaturkanons. Und die ganze Sekundärliteratur, die aus dieser kolonialen Denkweise heraus entstanden ist – die das akzeptiert, was ich «die falsche Realität» nenne. Es ist sehr interessant für mich, dieses Gefühl zu haben, dass all diese Literatur darauf abzielt, die Wahrheit zu sagen und sich zu widersetzen, und dabei trotzdem etwas zu übersehen scheint. Das möchte ich untersuchen, und darüber möchte ich schreiben.
Wer inspiriert dich?
Es gibt eine Lyrikerin, die eine spirituelle Schwester von mir ist und die früher meine Professorin an der New School war – Sharon Mesmer. Sie ist eine grosse Inspiration für mich. Ich spreche anders, wenn ich in ihrer Gegenwart bin. Ich schätze diese Gespräche, bei denen zwei Personen miteinander reden und dadurch eine dritte Person erschaffen. Wenn man ohne die andere Person gewisse Gedanken nie haben würde. Das gefällt mir sehr gut. Was die Schriftsteller:innen angeht, bin ich ein Fan von William S. Burroughs. Und die Arbeiten von Hélène Cixous haben mich sehr beeindruckt. Und meine Mutter ist auch eine Inspiration für mich.
Welche Stereotypen hast du in deinem Leben?
Ich stecke überhaupt nicht in irgendeinem Stereotyp fest, weil mir klar ist, dass ein Grossteil des Konstrukts von aussen aktiviert wird und sogar unsere Reaktion darauf, die Dinge, von denen wir uns früher befreit haben. Ich schaue mir das auch sehr genau an, weil es für mich immer noch dieses Element der Gefahr enthält, das uns in den Hintergrund drängt. Ich bin vielen Dingen gegenüber misstrauisch. Ich habe nicht wirklich diese Stereotypen, ich bin einfach sehr misstrauisch gegenüber allem.