Zugegeben, ich bin nicht die erste, die sich sofort für den technologischen Fortschritt in Bezug auf künstliche Intelligenz begeistert. Ich sehe darin häufig auch den unabdingbar eingeschlossenen Rückschritt, und diesen oft in grösserem Masse, als es uns der Fortschritt in diesem Moment verspricht. Zudem finde ich es zuweilen auch beängstigend, wohin wir mit der künstlichen Intelligenz steuern. Ich assoziiere mit dieser Entwicklung oft die Auferstehung des 1818 von der Autorin Mary Shelley erfundenen Unholds von Frankenstein und dass wir Menschen diese Kreaturen irgendwann nicht mehr im Griff haben.
Etwas beruhigt hat mich die Aussage des Hirnforschers Gerald Hüther, gemäss der ein Kollege von ihm nach einem AI-Kongress zusammengefasst hat: «Eines hat der Mensch den Maschinen noch lange voraus: Eine Idee oder eine Vision zu haben. Zum Beispiel zum Mars fliegen zu wollen.»
Das bedeutet, dass es (hoffentlich) immer Menschen braucht, die diese Maschinen mit Ideen und Inhalten füllen. Erst dann sind diese Maschinen fähig, selbst etwas zu produzieren. Und es wird auch immer Tätigkeiten geben, die wir dieser Aussage entsprechend nicht an Maschinen abgeben können. Arbeiten, bei welchen Ideen generiert werden, der Zeitgeist gespürt und erkannt werden muss sowie Beziehungen gepflegt und unterhalten werden müssen. So wie dies in der Kunst und im Care-Bereich der Fall ist. Allerdings gibt es ein Problem.
Während etwa Computer dank Maschinen immer schneller produziert werden können und somit immer günstiger werden, können Skulpturen als Unikate nicht schneller hergestellt werden. Können Künstler:innen Ideen nicht schneller generieren. Kann ein Orchester sein Konzert nicht schneller spielen. Können Kleinkinder nicht schneller gefüttert werden. Können Kinder nicht schneller mit Lernstoff abgefüllt werden. Können alte, pflegebedürftige Menschen nicht schneller geduscht werden. Die für diese Tätigkeiten nötige Arbeitszeit kann ab einem gewissen Punkt nicht mehr gekürzt bzw. produktiver gestaltet werden. Sie kann auch (noch) nicht an Maschinen ausgelagert werden, und somit bleibt die Produktivität konstant. Deshalb werden diese Dienstleistungen im Vergleich zu maschinell hergestellten Produkten immer teurer.
Kunst und Care-Arbeit sind von der Kostenkrankheit betroffen
Dieses Prinzip hat der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler William J. Baumol bereits in den 1960er-Jahren erkannt und «die Kostenkrankheit» genannt. Dieser Ansatz hat bis heute nichts an seiner Gültigkeit verloren. Die Kostenkrankheit betrifft die Care-Arbeit genauso wie die Kunst.
William J. Baumol hat die Kostenkrankheit unter anderem anhand der darstellenden Künste, also Konzerte, Theater und so weiter, untersucht: «Eine Steigerung der Produktivität ist im Bereich der darstellenden Kunst nicht möglich. Hier gibt es keine «echte» Technologie, die weiterentwickelt und somit in ihrer Produktivität auch nicht gesteigert werden kann. Im Gegenteil, durch die Entwicklung der Medien (Tonaufnahmen, Radio, Fernsehen und so weiter) wird die darstellende Kunst sogar einer neuen Konkurrenz ausgesetzt.» Doch leider wird in der Politik meist genau in den von der Kostenkrankheit betroffenen Bereichen als erstes der Rotstift angesetzt: in der Kunst, Kultur, Erziehung und Bildung sowie Gesundheit.
«Ein weiteres Problem besteht in der Sicht der Kunden. Grundsätzlich interessiert sich ein Kunde nicht dafür, wie viel Arbeit in ein Produkt gesteckt wurde. Es zählt nur der Preis.» Dies halten William J. Baumol und William Gordon Bowen in ihrem Grundlagenwerk «Performing Arts – The Economic Dilemma» fest.
Haben wir uns je überlegt, was ein:e Künstler:in oder ein:e Musiker:in an ihrer Arbeit verdient?
Wie sieht es also mit uns selbst als Kund:innen aus? Sind wir noch bereit, eine CD zu kaufen, wo es doch möglich ist, alles herunterzuladen – häufig sehr günstig oder sogar kostenlos? Finden wir nicht, dass ein KiTa-Platz für unser Kind wahnsinnig teuer ist? Aber haben wir uns je überlegt, was ein:e Künstler:in oder ein:e Musiker:in an ihrer Arbeit verdient? Haben wir je berechnet, was eine qualifizierte Betreuungsperson verdient, die unser Kind betreut?
In Bezug auf die KiTa ist es mehr als verständlich, dass es sich für die erwerbstätigen Eltern lohnen sollte, erwerbstätig zu sein. Dass in der betreuten Zeit des Kindes ein höherer Lohn erwirtschaftet werden sollte, als die Betreuungszeit kostet. Aber sollte uns dies nicht auch als Gesellschaft mehr wert sein und somit der Staat Massnahmen ergreifen, um diese Differenz auszugleichen? Die allseits beteuerte Zukunft unserer Gesellschaft – unsere Kinder – liegt schliesslich unter anderem auch in den Händen dieser Betreuungseinrichtungen. Deshalb wäre es gut, in diese zu investieren.
Im Zusammenhang mit den darstellenden Künsten hat William J. Baumol ebendies auch als eine Lösung erkannt: Nebst dem Individuum braucht es Institutionen sowie Verwaltung und Regierung, welche helfen können und sollten, dieser Kostenkrankheit entgegenzuwirken.
Kunst, Kultur und Care ist der Klebstoff unserer Gesellschaft
Kunst und Kultur sind genauso wie die Beziehungsarbeit in diversen Care-Berufen der Klebstoff unserer Gesellschaft. Ohne diesen sind wir bloss ein loser Haufen Menschen, in dem wir als einzelne Individuen nicht miteinander verbunden sind.
Der Begriff Kultur wird von der UNESCO folgendermassen zusammengefasst: «Die Kultur kann in ihrem weitesten Sinne als die Gesamtheit der einzigartigen geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Aspekte angesehen werden, die eine Gesellschaft oder eine soziale Gruppe kennzeichnen. Dies schliesst nicht nur Kunst und Literatur ein, sondern auch Lebensformen, die Grundrechte des Menschen, Wertsysteme, Traditionen und Glaubensrichtungen.» Um diese Kultur zu pflegen, braucht es uns als Individuen genauso wie den Staat.
In diesem Sinne: Lasst uns aufmerksamer und mehr in unsere Kultur und Kunst investieren und vielleicht einmal weniger in ein neues Kleidungsstück. Die Künstler:innen und wir als Gesellschaft verdienen es. Wir alle profitieren vom «return on investment».
Viel Spass bei der Erkundung deines Universums, wie du was bewertest und wieso du es genau so tust.