Eigentlich müsste die US-Wahl ein Selbstläufer sein: Frauen machen 50.5 Prozent der US-amerikanischen Bevölkerung aus, Männer 49.5 Prozent. Das heisst, es leben rund 3.5 Millionen Frauen mehr in den Vereinigten Staaten als Männer. Ausserdem gehen Frauen häufiger wählen und geben ihre Stimme jeweils häufiger dem oder der demokratischen Kandidat:in. Rein rechnerisch hätte die amtierende US-Vizepräsidentin Kamala Harris also keine Mühe haben dürfen, die Wahl zur Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika für sich zu entscheiden – auch dann nicht, wenn der Löwenanteil der Männer republikanisch wählt.
Schliesslich dürften trotz allem ein paar Millionen Männer ihre Stimme für Harris in die Urne geworfen haben. Zusammen mit den Frauen, vielen lateinamerikanischen Wähler:innen (abgesehen vielleicht von den Kubaner:innen, die herkunftsbedingt in der Tendenz antisozialistisch und damit republikanisch wählen), sämtlichen queeren Menschen sowie dem afroamerikanerikanischen und asiatischstämmigen Teil der Bevölkerung sollte der Fall klar sein. Eigentlich.
Offensichtlich ist er das aber nicht. Die Realität auf der anderen Seite des grossen Teiches ist eine andere – was den Schluss nahelegt, dass auch 2024 wieder viele Frauen Trump gewählt haben.
Dies war bereits 2016 so, als Donald Trump gegen Hillary Clinton antrat – und gewann, wobei vor allem weisse, schlecht ausgebildete Frauen für ihn stimmten. Ob es wirklich 52 Prozent von ihnen waren, wie Trump gern behauptet, oder etwas weniger, bleibt unklar. Fakt ist: Es waren einige.
Und auch dieses Jahr ist Trump bei meinen Geschlechtsgenossinnen nicht so unbeliebt, wie es ein geouteter Frauenhasser eigentlich sein müsste. Es gibt sogar Women of Color, die Trump wählen, auch wenn ihre Bedeutung weitaus geringer ist, als es die Trump-Kampagne gerne behauptet.
Wie zum Teufel ist das möglich? Was geht bloss in den Köpfen von Frauen vor, die Donald «Grab Them By The Pussy»-Trump wählen, anstatt für ihre eigene Zukunft einzustehen? Einen senilen, antidemokratischen Rassisten, der eine Mauer an der mexikanischen Grenze zu bauen versprach und nicht nur gegen Abtreibung – und damit das körperliche Selbstbestimmunsrecht von Frauen – hetzt, sondern auch mehrfach wegen sexualisierter Gewalt verurteilt wurde?
Die Trump-Wählerinnen selbst sagen dazu Sätze wie: «Rassismus und Sexismus sind keine Realitäten, sondern existieren nur in den Köpfen gewisser Menschen – zum Beispiel in dem von Kamala Harris». Oder: «Ich will einen Präsidenten für alle Amerikaner, nicht bloss für die Schwarzen und die Frauen.»
Ganz ehrlich: Bei solchen Aussagen fällt es mir schwer, nicht selbst ein bisschen frauenfeindlich zu werden. Ich bin versucht zu sagen: «Hat es diesen B*tches eigentlich das Hirn verbrannt?»
Nur: Wenn ich das tun würde – von Frauen mehr Differenzierungsvermögen erwarten als von Männern –, dann wäre ich im gleichen Spital krank wie eben diese Frauen. Ihre Aussagen sind zwar durchaus dumm, aber wer bin ich, sie deswegen zu verurteilen? Ist es mein Verdienst, dass ich weiss, intelligent und sehr gut ausgebildet bin, oder sind diese Dinge nicht viel eher Privilegien, die gewisse Menschen – so wie ich – einfach geschenkt bekommen? Und ist mein Wissen um Dynamiken wie internalisierten Rassismus oder internalisierten Sexismus nicht ebenfalls eine Folge dieser Privilegien und darum nichts, auf das ich besonders stolz sein sollte?
Zum Verständnis: Internalisierte Misogynie nennt man das Phänomen, wenn Frauen die Diskriminierung und den Hass, der ihnen wegen ihres Geschlechts begegnet, verschlucken und verdauen – mit der Konsequenz, dass sie nun andere Frauen und vor allem sich selber hassen.
Keine von uns ist davor sicher. Auch ich selbst nicht. Darum hier ein Beispiel aus meinem eigenen Leben:
Als Kind hörte ich ständig den Satz «Du bist nicht wie andere Mädchen.» Zu laut war ich, zu unverblümt meine Sprache und zu klar und zielorientiert mein Wille. Ich fühlte mich jeweils geschmeichelt, wenn jemand diesen Satz zu mir sagte – und ging damit als Mädchen selbst einem misogynen Narrativ auf den Leim. Ich fühlte mich jahrelang geschmeichelt, wenn man mich verbal von meinen Geschlechtsgenossinen unterschied, weil auch ich glaubte, dass ein «typisches» Mädchen zu sein im Umkehrschluss etwas Negatives wäre. Je mehr ich mich von den Mädchen abhob, desto cooler würde ich sein – das zumindest glaubte ich für Jahre und verletzte mich damit selbst mehr, als ich es jemals für möglich gehalten hätte.
Ich distanzierte mich von Mädchen, solidarisierte mich mit Jungs und war entsprechend häufig eine Aussenseiterin – fast zugehörig, aber eben nicht ganz. Und: Ich verinnerlichte unhinterfragt eine Skepsis gegenüber Weiblichkeit, von der ich heute weiss, dass sie eben diesen Namen trägt: internalisierte Misogynie.
Das sich zu eigen Machen von strukturellem Hass gegenüber der eigenen Gruppe ist ein altbekanntes Phänomen, das auch in Bezug auf Hautfarbe (internalisierter Rassismus) oder sexuelle Orientierung (internalisierte Homophobie) existiert. Es ist durchaus logisch – schliesslich entsteht das Welt- und Selbstbild von uns Frauen, wie dasjenige von Männern, in einer frauenverachtenden Gesellschaft.
Oder anders: Ein Kinderhirn bildet seine Synapsen analog zu dem, was es sieht, hört, lernt. Dies gilt für alle Menschen. Frauen, Männer, Queere, Nichtweisse. Entsprechend viel Arbeit und Bewusstsein wird später benötigt, diese erlernten Muster wieder zu verlernen. Sie zu korrigieren.
Dass nun so viele in der US-amerikanischen Bevölkerung – Männer wie Frauen – in Sachen Aufarbeitung ihrer eigenen Stereotypen die Hausaufgaben nicht gemacht haben, sollte einen nicht wundern. Wie liesse es sich sonst erklären, dass Trump mit seiner Rhetorik rund um «traditionelle Familienwerte» durchkommt, obwohl er doch fünf Kinder mit drei verschiedenen Frauen hat, während Harris schon nur wegen ihrer Kinderlosigkeit angefeindet wird? Stellt euch die Familienverhältnisse mal umgekehrt vor – kaum auszudenken.
Vielleicht sind die Menschen in den USA also schlicht und einfach noch nicht bereit für eine weibliche, afroamerikanische Präsidentin mit indischen Wurzeln. Das ist mühsam, aber grundsätzlich entschuldbar, denn mal ehrlich: Viel weiter sind wir Schweizer:innen auch nicht.
Das Problem ist nur: Wenn es jetzt nicht geschieht, hat sich das Zeitfenster meiner Meinung nach auf absehbare Zeit geschlossen. Da Trump das Rennen machte, sind Dinge wie persönliches Wachstum, Fortschritt und im schlimmsten Fall die US-amerikanische Demokratie wohl vorerst passé.
Man kann 2028 schliesslich keine Frau wählen, wenn man 2028 nicht mehr wählen darf.