Die Kunst ist der Spiegel unserer Gesellschaft und des Zeitgeistes. Dementsprechend wurde dieses Jahr an der documenta fifteen in Kassel eine Krippe für Kleinkinder als Kunstwerk präsentiert. Die brasilianische Künstlerin Graziela Kunsch hat sie zusammen mit lokalen Partner:innen umgesetzt. Die Einrichtung und die Spielgeräte sind nach der Lehre der ungarischen Kinderärztin Emmi Pikler gestaltet.
Was aber hat eine Kinderkrippe an einer der weltweit bedeutendsten Ausstellungen für zeitgenössische Kunst zu suchen? Meines Erachtens ist dies eine wunderbare Idee des indonesischen Kollektivs ruangrupa, das die Ausstellung kuratierte. Es hebt damit die Kinderbetreuung in eine andere Sphäre der Anerkennung: In die heiligen Hallen der Kunst. Dadurch sorgt es für einen anderen Blick auf die Care-Arbeit: Sie wird aufgewertet. Gleichgestellt mit Kunst.
Heutzutage ist es möglich, dass soziale Interaktionen wie gemeinsames Kochen, Lesen und Diskutieren in einer Galerie oder eben die Betreuung in einer Kinderkrippe als Kunstpraxis angesehen werden. Für mich zeigt sich darin, dass wir immer mehr verlernen, gemeinsam soziale Aktivitäten auszuführen und ihnen die gebührende Wichtigkeit zu verleihen. Nur darum müssen wir sie zur Kunst erheben. Dadurch nehmen wir sie wieder bewusst wahr. Es erscheint uns als erstrebenswert und wertvoll, sie zu praktizieren. Diese «Social Practice» hält seit einigen Jahren immer mehr Einzug in die Kunst.
Museumstreppen schrubben als Performancekunst
Die Künstlerin Mierle Laderman Ukeles aus New York hat Social-Practice-Kunst allerdings schon ab 1969 praktiziert. Tom Finkelpearl, ehemaliger Direktor des New Yorker Queens Museum, das 2016 eine grosse Retrospektive von Laderman Ukeles zeigte, sagt: «Sie war die Mutter der Social-Practice-Kunst, eine Kunstform, in der das künstlerische Medium die soziale Interaktion ist.» Mierle Laderman Ukeles hat 1969, als Künstlerin und aus dem Bedürfnis einer frischgebackenen Mutter heraus, ein Manifest zur «Maintenance Art» geschrieben. Durch ihre Aufgaben als Mutter fühlte sie sich zur Unterhaltskraft verkommen. Sie sah, dass diese Arbeiten gesellschaftlich nicht wahrgenommen, nicht wertgeschätzt wurden. Die Idee in dem Manifest war, dass sie ihr alltägliches Leben einer Mutter mit Baby – also Windeln wechseln, sich ums Baby kümmern, waschen und so weiter – in einem Museum als Kunstwerk präsentierte.
Mit «Maintenance Art», also «Unterhalts-Arbeits-Kunst», erklärte Laderman Ukeles alle Arten von unterhaltenden und pflegenden Arbeiten wie Care-Work zur Kunst. Die Arbeit als Mutter setzte sie mit allen Unterhaltsarbeiten gleich, zum Beispiel mit jener der Stadtreiniger:innen von New York. Sie schüttelte über 8500 New Yorker Müllmännern und -frauen, Strassenfeger:innen und Reinigungskräften die Hand und sagte ihnen: «Danke, dass Sie New York City am Leben erhalten.» Sie schrubbte stundenlang Museumstreppen als Performancekunst. Sie wollte diesen täglichen unsichtbaren und notwendigen Arbeiten Sichtbarkeit verleihen und ein Bewusstsein dafür schaffen.
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Eine Kriegsheldin mit Milchpumpe
Das Thema Care-Arbeit in die Kunst aufzunehmen, kann uns einen anderen Blick darauf vermitteln, kann neue Held:innen in unseren Köpfen generieren und neue Bilder setzen. Auch an der Kunstmesse FAT-art in Schaffhausen findet sich ein gutes Beispiel dafür: Ana Vujic, Künstlerin und frischgebackene Mutter, hat mit ihrem riesigen Wandbild «Milk and Money» ebenfalls ein neues Narrativ für Held:innentum geschaffen. Die dargestellte Künstlerin und Mutter mutet wie eine Kriegsheldin an, mit der Milchpumpe an der Brust, gleichzeitig den Pinsel als Symbol für ihre Arbeit in der linken und den Milchbehälter in der rechten Hand, den sie siegreich in die Höhe streckt. Der Blick ist kämpferisch und stolz nach oben gerichtet. Gleichzeitig befindet sich die Figur in einem Strudel – sie hat keinen festen Boden unter den Füssen. Die Umgebung löst sich in dem Strudel auf. Der Arbeitstisch und der Stuhl geraten ins Wanken.
Gemäss Ana Vujic ist das Werk ein Symbol für den (inneren) Sturm und die Frage: Wie lange kann die abgebildete Künstlerin den unterschiedlichen Aufgaben standhalten? «Die Milchpumpe war bei mir meine letzte Hoffnung, meinem Kind Muttermilch geben zu können, trotz meiner Absenz für meine Erwerbstätigkeit als Künstlerin. Aber leider hat es mit der Milchpumpe nicht wie angedacht funktioniert», erzählt Vujic. Ebenso findet sich auf dem Bild ein gerahmtes Gemälde im Hintergrund mit einer fürsorglichen, ausschliesslich dem Kind zugewandten Madonna. Das Bild ist zerrissen, es scheint von den Fluten weggespült zu werden und etwas Neuem Platz zu machen. Die Heldin scheint aus einem Kampf für ein neues Mutterbild zurückzukehren.
Ein gutes Care-System als Basis unseres Systems
In der Kunst halten dank diverser Künstlerinnen immer mehr Themen Einzug, die bislang fast ausschliesslich weiblich konnotiert waren. Viele dieser Themen fanden in der Vergangenheit unter der Zensur der männlichen Entscheidungsträger und Kunstkritiker keinen Platz in der Kunstwelt. Dass der Care-Alltag, die Care-Arbeit und die damit verbundenen Herausforderungen in der Kunst sichtbarer werden, kann die Anerkennung und Wahrnehmung des Wertes für diese Arbeit ins Zentrum rücken und erhöhen.
Solche Bilder mehr und mehr in unsere Köpfe zu lassen, würde bedeuten, dass nach der künstlerischen Wertschätzung die Wichtigkeit und Notwendigkeit der Care-Arbeit auch gesellschaftlich und politisch anerkannt wird. Wird der Wert höher geschätzt, nimmt die Wichtigkeit zu. Dies wiederum beeinflusst politische Entscheidungen und die Gestaltung unseres gesellschaftlichen Systems. Dann wäre ein gutes Care-System, das staatlich gefördert und finanziell unterstützt wird, plötzlich nicht mehr bloss ein «nice to have», sondern gehörte zur Basis unseres Systems, in das gerne investiert wird.
In ihrer Kritik «Vocabularies of the Economy» (2014) hat die britische Sozialwissenschaftlerin und Geografin Doreen Massey den Unterschied zwischen den Kodierungen sozialer Aktivität als «Investition» und «Ausgabe» sowie die Auswirkungen dieser unterschiedlichen Kodierungen auf die Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit der Reproduktion diskutiert. Durch die ökonomische Kodierung als «Ausgaben» wird gemäss Doreen Massey die soziale Arbeit, wie auch die Care-Arbeit, aus der Sichtbarkeit der Wirtschaft entlassen und demzufolge nicht als Wertschöpfung anerkannt. Wenn also Kosten für Care- und Reproduktionsarbeit im politischen System nicht mehr als Ausgaben, sondern als Investment betrachtet werden, ändern sich die Spielregeln. Es würde mehr in ein Kinderbetreuungssystem investiert. Das würde wiederum mehr Frauen in die Wirtschaft zurückbringen. Interessant wäre auch, zu prüfen, ob die Care-Arbeit als einen Wirtschaftszweig anerkannt werden könnte.
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Wir alle schaffen unsere Wirklichkeit
Der Wandel hin zu einer gerechteren Gesellschaft gelingt uns über die Aufwertung der Wahrnehmung von Care-Arbeit. Kunst kann dazu beitragen. Die Veränderung beginnt in unseren Köpfen. Wer also Care-Arbeit und anderweitig unterhaltende und pflegende Arbeit nicht herabsetzt und als minderwertig betrachtet, sondern sie als etwas Vollwertiges und wirtschaftlich Notwendiges sieht, kann bereits jetzt und heute dazu beitragen, Veränderung herbeiführen. Ganz nach der Schriftstellerin Anaïs Nin: «Die Fantasie regiert das Leben, nicht die Wirklichkeit.»
Wir alle sind es, die unsere Wirklichkeit erschaffen. Deshalb lasst euch von der Kunst inspirieren und euch einen neuen Blick auf euch Altbekanntes schenken. So könnt ihr die Veränderung unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens ebenfalls beeinflussen. Viel Spass bei der Erkundung deines Universums, wie du was bewertest und wieso du es genau so tust. Ob mit oder ohne Kunst.