Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist überall: In den Nachrichten, in den sozialen Medien, im persönlichen Gespräch. Und auch der Weltfrauentag am 8. März war dieses Jahr besonders den Ukrainerinnen gewidmet. Den Frauen in den umzingelten Städten, den Frauen auf der Flucht und den Frauen, die in der ukrainischen Armee für ihr Land kämpfen. 36’000 von ihnen gibt es – das sind 15 Prozent der Streitkräfte. 13 von ihnen sind letzte Woche bereits gefallen. Die entsprechenden Bilder gingen um die Welt: der Kyiver Bürgermeister, Vitali Klitschko, wie er zum Weltfrauentag rote Tulpen an ukrainische Soldatinnen verschenkt. Drei maskierte Frauen in Uniform, die in einem viralen Twitter-Video martialische Sätze von sich geben. Anastasiia Lenna, Miss Ukraine 2015, wie sie bewaffnet auf Instagram posiert. Die Bilder sind alles andere als beruhigend – und dennoch werfen sie für mich die Frage auf, ob man sie nicht auch als Zeichen für die fortschreitende Emanzipation der Frauen in der Ukraine werten könnte.
Sollen Frauen Wehrdienst leisten?
Um diese Frage zu beantworten, ist es zunächst wichtig, die beiden sich widerstreitenden Blickweisen des Feminismus auf das Militär zu verstehen. Die eine betrachtet die Armee als eine der letzten ausschliesslich von Männern dominierten Arenen, die es von Frauen zu erobern gilt. Sie glaubt, dass die Streitmacht eines Landes ein wichtiger Faktor der Macht ist und dass Frauen umso mächtiger werden, je besser ihr Zugang zu diesem Machtfaktor ist. Die andere Perspektive geht vom genauen Gegenteil aus. Sie sieht das Militär als Ausdruck eines patriarchalen Systems, welches auf Werten fusst, die mit dem Feminismus nicht vereinbar sind – insbesondere Hierarchie, Gehorsam und die Androhung von Gewalt. Sie plädiert für eine Abschaffung des Militärs – eines Symptoms der patriarchalen Ordnung der Welt.
Fakt ist: Frauen an den Waffen sind historisch eher ein neues Phänomen – von Einzelfällen wie der französischen Nationalheldin Jeanne d’Arc oder der Deutschen Eleonore Prochaska, die als Mann verkleidet in den Krieg gegen Napoleon Bonaparte zog, mal abgesehen. Heute steht der Wehrdienst Frauen zwar in vielen Ländern offen – in der Ukraine ist dies beispielsweise seit 2016 der Fall. Der hohe Frauenanteil in der ukrainischen Armee bedeutet aber keineswegs, dass diesen Frauen auch hoher Respekt gezollt wird. 2021 verursachte das ukrainische Verteidigungsministerium zum Beispiel einen Shitstorm, als es Soldatinnen zu einer Militärparade in Stöckelschuhen antanzen lassen wollte, während Soldaten selbstverständlich in Kampfstiefeln antrabten. Eine Idee, die an Respektlosigkeit kaum zu überbieten ist – die 13 gefallenen Soldatinnen trugen wohl ja kaum High Heels im Feld.
Keine Ausrüstung für Frauenkörper
Und auch in der Schweiz scheinen Frauenkörper die Armeeführung vor unüberwindbare Ausrüstungshürden zu stellen – auch, wenn hier kein Krieg herrscht. Ein paar Beispiele gefällig?
Seit letztem Jahr erst dürfen Rekrutinnen endlich angemessene Frauenunterwäsche fassen.
Frauenquartiere sind oftmals meilenweit weg von den Unterkünften der männlichen Kollegen. Ihre Sanitäranlagen sind gleichzeitig Abstellräume und Putzkammern.
Seit 2004 stehen Frauen zwar sämtliche Funktionen offen, weibliche Funktionsbezeichnungen existieren aber bis heute nicht.
Rekrutinnen müssen zwar die gleiche körperliche Leistungsfähigkeit an den Tag legen wie Rekruten, werden aber viel schlechter ausgerüstet dafür – auch abgesehen von den Unterhosen. Dies habe ich selber erlebt. Als ich vor einigen Jahren für SRF über Frauen in der RS berichtete und dafür selber einige Tage einrückte, wurde mir eine Schutzweste in der Grösse XL ausgehändigt. Ich, ein schmaler Wurf von 159 cm Körperlänge, konnte damit kaum gehen, geschweige denn mit meinen «Kameraden» auf den Schiessplatz laufen. Im besten Fall – so wie bei mir – ist das unbequem, im schlimmsten gefährdet es die Sicherheit der Soldatin.
Personalpolitisch aufrüsten: Wie viele Frauen sind in der Armee?
Und: Berichte über Belästigung, sexualisierte Gewalt sowie den lahmen Umgang der Militärjustiz mit diesem Problem sind keine Seltenheit – weder in der Schweizer Armee noch anderswo. Wen erstaunt es da, dass Frauen sich nicht zusätzlich zur toxischen Männlichkeit in ihrem Alltag auch noch derjenigen im Militär aussetzen wollen?
Kurz: Wie so viele Gesellschaftsbereiche betrachtet auch das Militär Frauen immer noch als Sonderfall, als Abnormität und Abweichung von der Regel. Denn die Regel, der normale Mensch, der ist ein Mann.
Mit dieser Haltung verletzt sich die Armee primär selber. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich vor Augen führt, wie gross ihr Personalproblem ist: Weil immer weniger junge Männer Wehrdienst verrichten wollen, fehlen 20’000 Personen, um den Bedarf zu decken und den laufenden Betrieb zu sichern.
Eine Lücke, die man gern mit uns Frauen schliessen möchte – allerdings mit mässigem Erfolg. Zwar haben sich 2021 rund 57 Prozent mehr Frauen zur Rekrutierung gemeldet als noch 2020, der Frauenanteil in der Schweizer Armee beträgt damit neu knapp 1 Prozent. Von den angestrebten 10 Prozent ist dies allerdings noch weit entfernt.
Immerhin: Dass die Armee eine Chance hätte, sich neu zu erfinden, und auch für Männer attraktiver werden könnte, wenn Frauen sie mitgestalten dürften, wurde vielerorts verstanden. Nur haben die Männer das Problem bisher alleine zu lösen versucht – mit Imagefilmen und Stöckelschuhen. Von diversem Militär sowie der Teilhabe der Frauen an der (Streit-)Macht kann also nach wie vor keine Rede sein. Ob dies auf dem Weg zu einer gerechteren und friedlicheren Welt überhaupt wünschenswert ist, ist eine andere Frage.