Die Männerquote bei Intendanten ist sehr tief. Wie erklärst du dir das?
(Schaut irritiert. Überlegt.) Die Männerquote bei Intendanten ... Ach so, Achtung Ironie! Ich glaube, es muss sich Qualität durchsetzen. Ansonsten muss man da aber schon gegensteuern. Wie überall, wenn etwas ungerecht verteilt ist.
Man hört oft, die niedrige Quote habe vor allem mit der schwierigen Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu tun. Wie kriegst du das hin?
Das ist tatsächlich ein grosses und kompliziertes Thema in meinem Leben. Jetzt ohne Ironie. Eine Familie passt nicht so gut zu meinem Jobprofil. Meine Partnerin hat auch eine künstlerische Karriere, sie ist Opernsängerin und ebenfalls international unterwegs. Wir schlängeln uns da seit zehn Jahren durch und haben es bis jetzt wie durch ein Wunder immer geschafft. Wir brauchen aber sehr viel Unterstützung, vor allem bei der Kinderbetreuung. Und diese Art von Unterstützung in Zürich zu erhalten, dafür hilft es auf jeden Fall, ein Intendanten-Gehalt zu haben. Ein Grossteil meines Gehalts fliesst in die Kinderbetreuung.
Aber als Intendant in Co-Leitung hast du bestimmt mehr Zeit für deine Familie?
Die Doppelspitze hilft natürlich, weil wir einander vertreten können. Trotzdem ist es sehr schwer, Familie und Beruf zu vereinbaren. Man denkt immer, Co-Leitung sei weniger Arbeit, aber das ist nicht unbedingt so. Wir müssen einander immer wieder onboarden, informieren und auf Augenhöhe halten. Somit machen wir viele Termine doppelt. Strukturell hingegen finde ich es völlig richtig, solche Machtpositionen nicht in einer Hand zu lassen. Wir können einander stärken, wir können einander aber auch konterkarieren. Das ist beides wichtig für so einen Posten. Es ist gut, dass die Arbeit nicht nur auf einem Paar Schultern liegt. Es ist aber auch gut, dass nicht einer allein schalten und walten kann, wie er will.
Du teilst dir mit einem anderen Mann die mächtige Position des Intendanten. Das führt bestimmt oft zu Zickenalarm?
Das Gute ist, dass wir schon sehr lange befreundet sind. Deswegen schaffen wir es, obwohl wir Männer sind, mit wenig Zickenkrieg miteinander auszukommen. Das Konfliktpotenzial in einer solchen Konstellation ist aber riesig, gerade für Männer.
Wie löst ihr Konflikte, wenn es welche gibt? Männer nehmen bekanntlich alles gleich persönlich.
Es hilft, wenn man die Dinge eben nicht persönlich nimmt und denkt, der andere will einem etwas Schlechtes. Es hilft aber auch, an den anderen zu denken: Was bräuchte er jetzt? Was würde er tun? Was wäre gut für ihn? Und schliesslich muss man auch gut loslassen und damit leben können, dass Dinge manchmal anders laufen, als man es selbst gemacht hätte. Bei einer Co-Leitung teilt man eben nicht nur die Verantwortung, sondern auch die Macht und die Möglichkeit, alles selbst bestimmen zu können. Das kenne ich sehr gut aus der Theaterarbeit, und ich empfinde es als Bereicherung. Dadurch, dass man Dinge mit anderen Menschen teilt und herstellt, kommt es oft zu besseren Resultaten, als man sich das im Kopf ausgemalt hat.
Als Intendant vergibst du Jobs und bestimmst die Gagen. Wie wichtig sind dir Männerquoten und gleiche Löhne für alle?
Das ist mir sehr wichtig. Zumal es auch bei uns, wie in jedem Betrieb, Nachholbedarf gibt. Es gab eine Erhebung über den Gender-Pay-Gap. Wir stehen gut da, aber wir sind nicht bei Null. Es gibt immer noch ein paar Prozentpunkte, wo wir uns fragen: Wo kommen die her, und wie können wir diese beheben? Was die Besetzung von Stellen angeht, auch das ist uns ein grosses Anliegen. Wir wollen dieses Haus diverser machen, nicht nur in Bezug aufs Geschlecht. Das ist aber gar nicht immer so leicht. Gerade in technischen Berufen ist es manchmal schwer, Frauen zu finden. Das ist uns jetzt aber gerade gelungen: Wir haben eine Leiterin Bühnentechnik im Pfauen und im Schiffbau auch.
Die Kostüme werden also bei euch auch von Männern genäht?
Unter den Leiter:innen der Gewandmeisterei ist tatsächlich auch ein Mann. Wir hatten bis vor kurzem sogar einen Kostümassistenten. Aber ganz im Ernst: unsere Ausstattungsleiterin Marysol del Castillo hat schon ins Spiel gebracht, ob man im Kostümbereich nicht eine Männerquote bräuchte. Das Berufsgebiet ist traditionell eher in Frauenhand, das führt auch zum ebenfalls traditionellen Lohnungleichgewicht. Kostüm ist überall schlechter bezahlt als Bühnenbild. Das hört bei uns auf. Für die Art Theater, wie ich sie mache, ist das Kostüm mindestens so wichtig wie das Bühnenbild. Das ist richtig dramaturgische Arbeit und spielentscheidend.
Man liest, in der Theaterszene sei der Umgang oft sehr grob und toxisch. Du förderst als Mann bestimmt Umgangsformen, die das Umfeld angstfreier machen?
Ich persönlich neige nicht zu solchen Umgangsformen und mag die auch nicht. Ich gehöre nicht zu dieser Sorte Regisseur, die Autorität über Macht und Angst ausübt. Ich mag es, wenn sich Leute angstfrei einbringen können und im Kollektiv gearbeitet wird. Bei Proben zum Beispiel soll jeder Vorschlag angstfrei eingebracht und angeschaut werden können. Das ändert aber noch nichts daran, dass es strukturelle Probleme gibt. Wenn eine Person an der Spitze steht und zu dieser Person auch noch ein Abhängigkeitsverhältnis besteht, weil sie die Verträge unterschreibt, dann ist das objektiv kompliziert.
Wie geht ihr gegen diese Probleme vor?
Wir sind an vielen Massnahmen dran: Wir haben unsere Human-Resources-Abteilung aufgestockt, indem wir eine Doppelspitze geschaffen haben mit einem Mann und einer Frau. Zudem haben wir eine Agentin für Diversität eingestellt. Wir haben ein Reglement erstellt zum Schutz vor Diskriminierung, sexueller Belästigung, Mobbing, Gewalt und Bedrohung am Arbeitsplatz und schreiben gerade einen allgemeinen Wertekodex. Und wir haben eine externe Beratungsstelle engagiert, an die man sich wenden kann, wenn man sich unwohl fühlt am Arbeitsplatz.
Gab es diese Instrument vor deiner Zeit also nocht nicht?
Nein … In einem Betrieb von einer solchen Grösse ist das eigentlich unvorstellbar. Das liegt aber auch daran, dass wir uns in der Theaterszene befinden, wo alles sehr familiär ist. Man hat viel durchgewunken und gesagt: Das ist ja Kunst, das verspielt sich. Es hat natürlich auch Vorteile, wenn Grenzen verschwimmen, weil viel persönliche Involviertheit im Spiel ist. Aber gerade das macht die Szene anfällig auf Missbrauch. Deshalb muss man Massnahmen schaffen, dass dieser Missbrauch komplizierter wird und es Möglichkeiten gibt, damit umzugehen.
Seit diesem Jahr werden im Schauspielhaus Intimacy Coaches eingesetzt. Wozu?
Es gibt Produktionen, wie zum Beispiel die Yana-Ross-Produktion «Kurze Interviews mit fiesen Männern», wo es Live-Sex auf der Bühne gibt. Da war es wichtig, bei den Proben ein Umfeld zu schaffen, in dem sich alle wohl fühlen. Also sowohl die Schauspieler:innen als auch die Sex-Darsteller:innen. Deshalb haben wir Kasia Szustow engagiert, die bisher für Firmen wie Netflix gearbeitet hat. Dort ist es mittlerweile Usus, dass man bei intimen Szenen solche Coaches hat. Ein Intimacy Coach schafft einen professionellen Rahmen, wo klar definiert wird, wo eine Probe beginnt und wo sie aufhört. Und auch, was Spiel ist und was nicht. Im Gegenzug kann man dann auf der Bühne weit gehen, wenn sich alle wohl fühlen.
Hast du als Regisseur deine Gagen immer selbst verhandelt oder gab es da eine Agentin, die das besser konnte?
Ich habe das immer selbst gemacht. Ich bin aber nicht sicher, ob das immer klug war. Zwar hatte ich eine Zeit lang die komfortable Position, dass ich mehr Angebote hatte, als ich annehmen konnte. Dadurch hatte ich ein gewisses Druckmittel und konnte mich wohl immer gemäss Marktwert bezahlen lassen. Ich habe aber oft gedacht, dass es besser wäre, eine Agentin verhandeln zu lassen. Ich hasse eigentlich Verhandlungen.
Hast du als Mann in der Theaterszene je konkrete Benachteiligung erlebt?
Hm, ich versuche mal, ehrlich darauf zu antworten. Als ich angefangen habe, war die Arbeit im Theater sehr begehrt. Momentan ist man sehr auf junge Leute fixiert. Das war damals, als ich angefangen habe, noch nicht so. Das war eher so ein 68er-Generation-unter-sich-Club. Damals habe ich mir gedacht, dass es vielleicht als junge, attraktive Frau einfacher gewesen wäre, reinzukommen. Rückblickend bin ich mir nicht sicher, ob das wirklich so ist, und ich glaube auch, dass der Preis dafür nicht so angenehm ist. Und vermutlich wurde auch ich teilweise wegen meines Aussehens engagiert.
Wie behauptest du dich als Mann in einer Regieposition?
Als ich angefangen habe, hat man mir an der Regieschule gesagt, man muss ganz entschieden auftreten und darf keine Schwächen oder gar Zweifel zeigen. Ich hatte immer das Gefühl, dass ich das nicht so gut kann. Ich glaube aber, es ist mir dann trotzdem gelungen, auf eine andere Art Autorität zu behaupten. Ich habe versucht, immer ehrlich zu sein, Nicht-Wissen und Zweifel zuzulassen. Ich kann mir aber vorstellen, dass solche Eigenschaften bei einem Mann mehr akzeptiert werden, weil einem per se schon eine andere Aufmerksamkeit zukommt. Deshalb konnte ich einen Prozess eher «unmännlich» führen. Das war Teil eines männlichen Privilegs, das ich ganz gut genutzt habe.
Du thematisierst in deinen Stücken oft Geschlechterrollen, jüngst etwa im Stück «Der Vater». Was haben Männer im Feminismus zu suchen?
Als ich mich mit diesem Stück befasst habe, hatte ich eine Erkenntnis. Das Stück wurde von Strindberg vor über 100 Jahren geschrieben, explizit in anti-feministischer Absicht. Er wollte zeigen, wie der Feminismus das Leben der Männer zerstört. Eigentlich hat er aber ein Stück darüber geschrieben, wie das Patriarchat das Leben von Männern und Frauen zerstört. Es zeigt ziemlich spezifisch, wie tödlich die Machtverhältnisse sind, auch für Männer. Deswegen: Wenn Männer nicht ganz blöd sind, kämpfen sie für Feminismus. Nicht nur aus Solidarität mit den Frauen, sondern auch aus Eigeninteresse. Das Patriarchat tut Männern nicht gut, und diese ungerechte Ballung von Macht und Verantwortung ist ungesund für Männer.
Wer hat mit dir als Kind über Feminismus gesprochen?
Meine Mutter und meine drei Jahre ältere Schwester hatten in meiner Kindheit eine feministische Phase. Simone de Beauvoir, Alice Schwarzer und so weiter, diese Bücher lagen alle bei uns herum. Ich habe das als 12-Jähriger alles mitgelesen, und ich glaube, ich war zu jung. Mich hat das Wissen verstört, dass es problematisch ist, ein Mann zu sein. Das hat dann auch dazu geführt, dass ich von dem Thema eine Zeit lang nichts mehr wissen wollte. Aber wie gesagt, heute stehe ich anders zum Feminismus. Und es gibt mittlerweile auch andere Wellen und Anknüpfungspunkte, die Feminismus mit Männern denken und nicht gegen sie. Wobei Feminismus letztlich ja nie gegen Männer gedacht war, er war schon immer eher ein Kampf gegen Machtstrukturen.
Welche Art von Männlichkeit lebst du deinen Kindern vor?
Wenn man Kinder hat, weiss man, dass man sich nicht allzu viel vornehmen sollte. Vieles manifestiert sich einfach unter dem Radar der Eltern. Ich finde auf jeden Fall erstaunlich, wie schnell diese Geschlechterrollen bei Kindern zuschlagen. Mein Sohn ist jetzt vier Jahre alt, und bis vor Kurzem war Pink seine Lieblingsfarbe. Er liebte auch Prinzessinnenkleider. Jetzt ist er in der Kita mit anderen Jungs zusammen und plötzlich werden diese Geschlechterrollen wichtiger. Jetzt will er Fussball spielen und Superheld sein. Die auf Kinder ausgelegte Industrie bedient und zementiert diese Geschlechterrollen enorm. Das zeigt, wie weit das auseinanderklafft mit urbanen Bubbles oder unserer Theaterwelt, in denen das Geschlecht als Konstruktion behandelt wird. Ich wünschte mir ganz andere Role Models als Spiderman und Batman für meinen Sohn oder als die Eisprinzessin von Frozen für meine Tochter. Wenn man sich nicht komplett abschottet von der Welt, die uns umgibt, ist man damit aber konfrontiert. Ich finde es aber wichtig, dass wir als Familie ein Modell vorleben, in dem es kein Oberhaupt und keine klassische Rollenverteilung gibt. Meine Partnerin arbeitet gleich viel wie ich, und wir beide sind für Hausarbeit und Kinder zuständig.
Du bist etwas über 50 Jahre alt. Du siehst aber deutlich jünger aus…
(Geschmeichelt.) Oh, vielen Dank.
Hast du ein Beauty-Geheimnis?
Ich wundere mich eigentlich auch, weil ich nichts mache und auch nichts machen lasse. Ich mache nicht einmal Sport, fahre bloss viel Velo in Zürich. Aber das ist es auch schon. Ich bin erstaunt, zum Beispiel darüber, dass ich noch keinen Bandscheibenvorfall hatte. Aber ich muss langsam anfangen, etwas auf die Linie zu schauen.
Warum erst jetzt?
Bislang ging das von selber, ist wohl Veranlagung. Aber ich bin viel in Bewegung in jeder Hinsicht. Auf Proben springe ich ja die ganze Zeit rum. Und meine jetzige Position verlangt von mir als über 50-Jährigem, dass ich permanent meine eigenen Gewissheiten hinterfrage und mich nicht in die Ecke des alten weissen Mannes manövriere, in der ich nichts mehr mitbekomme oder nichts mehr verändern will. Sowas hält vermutlich in Bewegung und jung.
Du hast es ja schon angetönt: Hat dein Aussehen deine Karriere beeinflusst?
(Lacht.) Ich glaube ja. Als Regisseur geht es um Leitung. Und wenn man Autorität nicht mit Schreien durchsetzen kann, hilft wahrscheinlich Charme. Humor natürlich auch. Oder dass Leute, für die ich gearbeitet habe, mich sympathisch finden. Whatever. Ich glaube aber, ich habe das nie bewusst ausgespielt. (Lacht etwas verunsichert.) Ist das eine strange Frage, wenn man die gestellt kriegt! Wahrscheinlich stimmt das alles, was ich sage. Aber man denkt da halt selten darüber nach.
Du bist jetzt erlöst, vielen Dank für deine Offenheit!