Heute mit der Frage von Nadja (41): Wie gelingt es mir, den Mental Load mit meinem Mann fairer zu teilen?
Liebe Nadja
Der Mental Load – die gedankliche Beanspruchung für und durch das Familien- und Haushaltsmanagement – ist seit einigen Jahren ein heiss diskutiertes Thema. Zu Recht, finde ich. Denn sie berührt mehr als die Frage, wie sich Belastungen und Ressourcen gerecht verteilen lassen. Aus meiner Sicht stellt das Mental-Load-Thema zentrale Machtfragen.
In der Schweiz übernehmen gemäss Bundesamt für Statistik Männer/Väter 38 Prozent aller unbezahlten Haus- und Familienarbeiten, Frauen/Mütter 62 Prozent. Wir sind also noch sehr weit von 50:50 entfernt – aber noch viel weiter von 0:100. Bemerkenswert: Im Vergleich zu 1997 leisten Männer/Väter heute jede Woche zehn Stunden mehr unbezahlte Care-Arbeit. Das entlastet aber die Frauen/Mütter zeitlich nicht. Im Gegenteil: Frauen haben ihr Erwerbsarbeitspensum im Vergleich zu ihrer Müttergeneration um gut fünf Stunden pro Woche erhöht. Gleichzeitig leisten sie trotzdem knapp eine Stunde mehr für die Familie. Unter dem Strich sind Mütter wie Väter vergleichbar belastet, immer gestresster und hadern permanent damit, dass es trotz allen Aufwands nie reicht …
Ich habe diese widersprüchlichen Entwicklungen schon mit zahlreichen Fachpersonen diskutiert. Dabei dominieren zwei Erklärungsmuster. Einerseits profitieren die Kinder von den väterlichen Zusatzstunden. Eine aktuelle Studie stützt diese Annahme auch empirisch: Eltern widmen den Kindern laufend mehr Zeit und geben mehr Unterstützung. Andererseits – und damit schlage ich den Bogen zu deiner Frage – ist anzunehmen, dass sich Väter zwar mehr in Kinderbetreuung und Haushalt engagieren, das Engagement aber selektiv bleibt. So zeigen Statistiken beispielsweise, dass Väter heute viel mehr mit ihren Kindern spielen als früher, aber in der Regel weiterhin die Mutter zu Hause bleibt, wenn das Kind krank ist.
Wenn ich dies schreibe, spüre ich zwei Seelen in meiner Brust. Die eine geht mit den Männern hart ins Gericht. Sie beklagt ihre Bequemlichkeit und spottet über ihre Erwartungshaltung, «jemand» (also die Liebste, aber neutraler gedacht ist es selbstbild-verträglicher) werde die Dinge schon erledigen, wenn man(n) sie nur lange genug liegen lässt. Ich kenne solche Vermeidungsstrategien auch aus persönlicher Erfahrung und beziehe mich explizit in diese Kritik ein.
Die andere Stimme ist verständnisvoller. Sie nimmt stärker die Feinmechanik der zugrundeliegenden Paardynamik wahr. Aus dieser Perspektive ist die Ungleichverteilung des Mental Load weniger ein Problem sich verweigernder Männer als ein Problem des patriarchalen Kapitalismus. Dieser hat sich ja bekanntlich frisch gemacht, indem er seit einigen Jahrzehnten Frauen wie Männern nahelegt, all das auch zu tun, was bislang dem anderen Geschlecht vorbehalten war. Konkret: Erwerbsarbeit und Familienarbeit gleichermassen zu stemmen. In dieser Entwicklung stecken wir fest. Denn die neuen Aufgaben haben ja die alten nicht abgelöst. Sie sind einfach noch dazugekommen. Das gilt auch für die subjektive Verantwortung: Männer fühlen sich nach wie vor in der Verantwortung als Familienernährer (selbst wenn sie das real gar nicht mehr sind), und Frauen fühlen sich nach wie vor in der Verantwortung für Nestbau und -unterhalt. Diese Ungleichzeitigkeit gilt es auf dem Radar zu haben, wenn der Mental Load fair(er) verteilt werden soll. Denn erst so wird klar: Ein Hemmnis für die gleiche Verteilung von Mental Load besteht auch darin, Betreuungs-, Ordnungs- und Hygienestandards gewährleisten zu müssen, die man nicht selbst definiert hat. (Was nicht unterstellen soll, dass immer Frauen höhere Standards haben.)
Für Paare bedeutet das: Wer will, dass die faire Aufteilung des Mental Loads gelingt, darf sich nicht der Illusion hingeben, das sei bloss individuelle Verhandlungssache. Die geschlechterpolitische Ungleichzeitigkeit der Entwicklungen spielt unweigerlich mit herein. Ihr muss Rechnung getragen werden. Dafür sollten beide dazu bereit sein, je die Hälfte der häuslich-familiären Verantwortung respektive der Ernährer:innen-Verantwortung dem jeweils anderen zuzugestehen und die andere Hälfte selbst zu übernehmen. Das ist anspruchsvoll. Denn unbewusste Prägungen sind meiner Erfahrung nach flinker und zäher als der bewusste Vorsatz, dem anderen genügend Raum zu lassen, um sich den je neuen Verantwortungsbereich anzueignen.
Also, wenn du Mental Load loswerden möchtest, solltet ihr meines Erachtens Folgendes tun:
1. Eine Auflistung eurer häuslich-familiären Aufgaben und Verpflichtungen erstellen. Eine gute Vorlage findest du hier.
2. Nicht einzelne Aufgaben, sondern ganze Verantwortungsbereiche verteilen resp. abgeben.
3. Gemeinsam klare Minimalstandards aushandeln, welche Anforderungen mit der Aufgabenerfüllung verbunden sind.
4. Dabei bereit sein, die eigenen Erwartungen pragmatisch zu hinterfragen – ohne den Anspruch aufzugeben, in den eigenen unverrückbaren Grenzen respektiert zu werden.
5. Unter diesen Voraussetzungen dem/der anderen voll und ganz in die Verantwortung übergeben, wie er oder sie den nun offiziell übernommenen Pflichten nachkommt.
6. Gemeinsam festlegen, wie ihr die Einhaltung der Abmachung so überprüfen könnt, dass sich kein Klima des Argwohns breitmacht.
7. Überprüfen, ob sich die Verteilung der Ernährer(innen)verantwortung fair zur neuen Verteilung des häuslich-familiären Mental Loads verhält.
Markus Theunert ist Gesamtleiter von männer.ch, dem Dachverband progressiver Schweizer Männer- und Väterorganisationen. Kontakt: theunert@maenner.ch
Diese Kolumne verfolgt – auf Einladung der ellexx-Redaktion – das Anliegen, einen patriarchatskritischen Blick auf Geschlechter-, Geld- und Gesellschaftsfragen beizusteuern. Unserem Kolumnisten ist es wichtig, seine Unsicherheit transparent zu machen, wo die Bereicherung durch eine reflektierte Männerperspektive aufhört – und wo das «Mansplaning für Fortgeschrittene» beginnt.