Geld und Gurus, Patriarchat und Privilegien, Macht und Misogynie: Wer die Antwort nicht scheut, darf unseren Kolumnisten alles fragen. Markus Theunert teilt, was er in 25 Jahren Beschäftigung mit Männern und Männlichkeit gelernt hat.

Zum Auftakt stellt Co-Founderin Nadine eine Frage, die sie schon lange beschäftigt: Wie überwindet man das Patriarchat in der eigenen Beziehung?

Liebe Nadine

Die Frage ist ebenso kompakt wie klar – und lässt doch viel Raum für Interpretation. Zunächst scheint mir die Fantasie zielführend, dass du diese Frage nicht stellst, weil du in einer 1950er-Ehe feststeckst, in der du deinen Mann um Erlaubnis fragen musst, wenn du dein eigenes Leben führen willst. Auch vermute ich, dass es nicht brachiale, sondern eher subtile Machtdemonstrationen, Grenzverletzungen und Teilnahmslosigkeiten sind, unter denen du leidest. Korrekt?

Markus Theunert
Das Patriarchat ist mehr als eine äussere Macht, die wir bekämpfen und ausschalten könnten. Das Patriarchat ist in uns drin.

So wäre schon einmal geklärt: Das Patriarchat ist in deiner Beziehung, obwohl es gar keinen Patriarchen gibt, der es offiziell verteidigt. Das Patriarchat drängelt sich feinstofflicher in euer Heim. Darin hat es schliesslich Übung. «Das Patriarchat versteckt sich vor aller Augen», stellt der Berliner Autor Christian Dittloff in seinem Buch «Prägung» schmerzhaft treffend fest.

Wie stellt es das bloss an? Indem es als Gefüge vermeintlich unveränderbarer Selbstverständlichkeiten alles durchdringt – auch jene, die aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Herkunft oder ihrer sexuellen Orientierung nicht zu den Privilegierten zählen. Das Patriarchat ist deshalb mehr als eine äussere Macht, die wir bekämpfen und ausschalten könnten. Das Patriarchat ist in uns drin. Das fiese Ding gräbt sich chamäleon-gleich in unsere Leiber und Seelen ein.

Das ist ganz schön spooky, gibt aber auch etwas Entlastung: Denn solange wir in einer patriarchalen Gesellschaft aufwachsen und leben, werden wir keine gänzlich «patriarchatsfreien» Räume schaffen können. Wir können uns dem bloss annähern, indem wir versuchen, unsere Beziehungen so gut wie möglich vom Patriarchat zu befreien. Dafür braucht es aber nicht nur den geschlechterpolitischen Aufbruch im Grossen, sondern auch eine Auseinandersetzung mit der patriarchalen Dynamik im Kleinen, in uns selbst.

Mir persönlich hilft es dabei, achtsam zu sein auf Signale des Mangels wie etwa die Angst vor dem Zu-kurz-Kommen (und die Gier, die sie begleitet) oder die Angst vor dem Ungenügen. Denn patriarchale Logik braucht den Mangel und die Angst. Ich versuche dann, mich ebenso liebevoll wie bestimmt zur Auseinandersetzung mit diesen gefühlten Defiziten zu motivieren und mich dabei immer wieder mit dem zu verbünden, was durch die Angst verdeckt ist. Vertrauen, beispielsweise. In diesem Prozess verorte ich Befreiung und Wachstum.

Übertragen auf deine Situation heisst das: Ich möchte dir abraten, deinen Mann in einer Weise mit deinem Mangel (an Zuwendung, Unterstützung, Verantwortungsübernahme etc.) zu konfrontieren, die letztlich nur Abwehr zur Folge haben kann. Denn wenn du den Mangel in den Vordergrund stellst, bist du bloss eine weitere Stimme, die Forderungen stellt. Doch dieser Chor ist schon vielstimmig genug. Und seine Fähigkeit, auch die ihm wichtigen Stimmen – beispielswiese seine eigene – zu überhören, dürfte bestens trainiert sein. Das wird bei allem guten Willen kaum funktionieren.

Markus Theunert
Das Patriarchat lässt sich nicht frontal bekämpfen. Das Patriarchat lässt sich nur entkräften.

Damit will ich nicht den Mangel in Abrede stellen. Aber ich möchte einen Impuls für einen erfolgsversprechenderen Umgang geben. Die Botschaft: Das Patriarchat lässt sich nicht frontal bekämpfen. Das Patriarchat lässt sich nur entkräften. Kraft entziehst du ihm, indem du an das glaubst und das verfolgst, was das Patriarchat auf den Tod nicht ausstehen kann: Vertrauen in die Veränderung und die Liebe zu all dem Ungelebten, das ins Leben drängen will. Stärke deinen Mann in seiner Sehnsucht nach Überwindung patriarchaler Selbstzurichtung. Du kannst ganz sicher sein: Diese Sehnsucht gibt es. Indem du deinen Mann beim Aufknüpfen seiner Männlichkeitskorsette unterstützt, überwindest du das Patriarchat nachhaltiger als mit einem noch so vehement vorgetragenen Veränderungsappell.

Hast du noch genügend Geduld und Liebe dafür?

P.S. Diese Kolumne will – auf Wunsch von ellexx – einen patriarchatskritischen Blick auf Geschlechter-, Geld- und Gesellschaftsfragen werfen. Unserem Kolumnisten ist es wichtig, seine Unsicherheit darüber transparent zu machen, wo die Bereicherung durch eine reflektierte Männerperspektive aufhört und wo das «Mansplaning für Fortgeschrittene» beginnt.

Markus Theunert ist Gesamtleiter von männer.ch, dem Dachverband progressiver Schweizer Männer- und Väterorganisationen. Kontakt: theunert@maenner.ch