Wer heute Mutter wird, muss ganz schön viele Anforderungen erfüllen: Geld verdienen, die Kinder aufziehen, eine erfolgreiche Karriere haben und natürlich immer schön sexy bleiben. Dass man darunter leidet, ist keine Überraschung. Die Journalistin und Autorin Mareice Kaiser schreibt in ihrem Buch «Das Unwohlsein der modernen Mutter» über dieses widersprüchliche, unerreichbare Mutterideal. Über den gesellschaftlichen Druck und den auf Instagram. Und sie zeigt auf, wo Mütter heute stehen – und wie sie sich selber sehen: frei und selbstbestimmt.
Mareice, welches Erlebnis hat den Ausschlag dafür gegeben, dass du dich entschieden hast, ein Buch zu schreiben?
Ich hetzte auf dem Velo von meinem Büro zur Kita, um mein Kind abzuholen, fuhr über rote Ampeln und hatte noch «Schönen Feierabend» von einem kinderlosen Kollegen in meinem Ohr. Da dachte ich: Was passiert hier eigentlich gerade? Gleichzeitig erschien eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung mit dem Ergebnis: In den sieben Jahren nach der Geburt eines Kindes verschlechtert sich das mentale Wohlbefinden von einem Drittel aller Mütter deutlich. Es handelt sich um eine sogenannte substanzielle Verschlechterung, so heisst es in der Studie. Das Unwohlsein der befragten Mütter äussert sich in drei Dimensionen: mentaler Stress, stressbedingter und sozialer Rückzug, depressive Verstimmungen und Angstgefühle. Ich kannte all das und beobachtete es auch bei Freundinnen, die Mütter sind. Am nächsten Tag schrieb ich dazu eine Kolumne, und am Ende wurde daraus ein ganzes Buch.
Welches Hoch und welches Tief gab es beim Schreiben?
Es begann mit einem Tief, weil kein Verlag dieses Buch haben wollte. Eine Absage wurde so begründet: Die «Zielgruppe Mütter» hätte ja leider keine Zeit zum Lesen. (Spoiler: Natürlich richtet sich das Buch nicht ausschliesslich an Mütter, im Gegenteil.)
Wie hast du die Disziplin aufgebracht, deine Idee auch wirklich in die Tat umzusetzen?
Disziplin spielt sicher eine Rolle, aber noch mehr Privilegien. Für das Schreiben brauchen Menschen Zeit, noch mehr für die Gedanken, die zu Sätzen führen. Diese Zeit ist keine Zeit mit Kindern, diese Zeit ist Zeit allein. Ich hatte diese Zeit, ein Zimmer für mich allein. Eine meiner Forderungen aus dem Buch ist, dass dieses Zimmer für sich allein alle Menschen mit Fürsorgearbeiten bekommen sollten – und dafür braucht es strukturelle Veränderungen.
Über welche weiteren Themen möchtest du schreiben?
Gerade habe ich mein drittes Sachbuch geschrieben, das im Herbst erscheinen wird. Es geht um soziale Gerechtigkeit am Beispiel von Geld. Was machen wir mit Geld und was Geld mit uns? Warum ist es so ungerecht verteilt, welche Auswirkungen hat das und wie können wir das hin zu mehr Gerechtigkeit verändern? Mit diesen Fragen beschäftige ich mich im Buch «Wie viel».
Wer ist dein Vorbild?
Vorbilder sind für mich Menschen, die Solidarität leben.
Mareice Kaiser ist Journalistin, Autorin und Moderatorin. Sie scrollt, schreibt und spricht zu Gerechtigkeitsthemen, lebt in Berlin, in Zürich und im Internet. In ihrem Newsletter FAST SOMMER schreibt sie über Utopien und Alltag.
Von Anfang 2018 bis Ende 2019 arbeitete sie als Redakteurin, Kolumnistin und Podcasterin bei ze.tt. Von Anfang 2020 bis Anfang 2022 war sie die Chefredakteurin des Online-Magazins EDITION F, seit Sommer 2022 ist sie Digitalchefin der annabelle.
Mit ihrem Essay Das Unwohlsein der modernen Mutter war Mareice Kaiser 2018 nominiert für den Deutschen Reporter:innenpreis.