Früher spielte ich das Mamisein mit Puppen, wie die meisten Mädchen. Im Kindergarten gab es den «Bäbiegge», wo sich mehrheitlich Mädchen liebevoll um Plastikpuppen kümmerten. Und es gab die Jungsecke, wo es mit den Rennautos und Polizeistationen auch mal wild zu- und herging. Die Rollen waren klar. Buben, die sich mehr fürs Papi spielen und Ballett interessierten, wurden als komisch abgestempelt. Ohne zu hinterfragen, zementierten wir, die Generation Z, traditionelle Geschlechterbilder aus dem letzten Jahrtausend.

Nun sind wir, die damals mit Puppen und Rennautos spielten, Jugendliche bis junge Erwachsene. Als Kind beantwortete ich die Frage, ob ich denn mal Kinder wolle, ohne Überlegen immer mit «Ja» – wie die meisten Mädchen. Den Jungs wurde die Frage kaum gestellt. Aufgefallen ist mir das zum ersten Mal mit 14 Jahren.

Amélie Galladé
Ich kann verstehen, wieso man keine Kinder will. Kinderkriegen ist in der heutigen Arbeitswelt und Gesellschaft unattraktiv, insbesondere für Frauen.

Heute bin ich eine junge Frau und werde oft gefragt, ob, wann und wie viel Nachwuchs ich mir denn mal wünsche. Unter Freundinnen ist die Mutterfrage ein Thema. Und in den Medien ebenfalls, denn 17 Prozent der jungen Erwachsenen möchten keine Kinder, und rund die Hälfte der 20- bis 29-Jährigen wünschen sich zwei Kinder. Viele Medienberichte und Kommentare zeigen sich fassungslos darüber, dass wir jungen Menschen uns keine Familie wünschen, für die man ein grösseres Auto braucht. Oder dass wir eben gar keine eigenen Kinder wollen.

Ich kann verstehen, wieso man keine Kinder will. Kinderkriegen ist in der heutigen Arbeitswelt und Gesellschaft unattraktiv, insbesondere für Frauen.

Erstmal muss man sich Nachwuchs leisten können, denn Kinder in der Schweiz sind unfassbar teuer. Rechnet man die Kosten von Betreuung, Lohneinbussen, tieferer Rente und vielem mehr zusammen, kostet ein gesundes Kind bis zum Erwachsenenalter eine Million Franken. Das muss man erstmal bezahlen können – und wollen.

Wenn beide Eltern berufstätig sind, wie das heute in vielen Familien der Fall ist, stellt sich die Herausforderung der Vereinbarkeit. Care-Arbeit und Mental Load bleiben auch im Jahr 2024 mehrheitlich an Frauen hängen. Wenn jemand sein Arbeitspensum reduziert, dann sind es meist die Frauen. Motherhood Penalty is real. Es scheint nur logisch, dass 70 Prozent der jungen Frauen mit Hochschul- oder Uniabschluss bei der Geburt eines Kindes negative Auswirkungen auf ihre Berufsaussichten fürchten. 

Ich teile diese Bedenken. Zahlen und Fakten untermauern, dass Kinderkriegen in der Schweiz meistens nicht gleichberechtigt stattfindet. Neben all den systemischen Ungleichheiten gibt es noch die körperlichen und seelischen Strapazen von Schwangerwerden, Schwangerschaft und Geburt.

Wenn Schweizer Systeme nicht familienfreundlich sind, könnte man erwarten, dass unsere Generation zumindest in der Paarbeziehung gleichgestellt wäre. Jedoch zeigen nationale und internationale Umfragen einen frappanten Gendergraben bei der Generation Z. Junge Männer werden im Vergleich zu jungen Frauen zunehmend konservativer. Ein Grossteil der jungen Männer ist überzeugt,  dass die Gleichstellung in der Schweiz bereits erreicht sei.

Amélie Galladé
Wie sollen wir gleichberechtigt Kinder aufziehen, wenn die meisten jungen Männer nicht mal anerkennen, dass wir ein Problem mit der Gleichstellung haben?

Anders als prominente Politikwissenschafter:innen sehe ich das als grosses Problem: Wie sollen wir gleichberechtigt Kinder aufziehen, wenn die meisten jungen Männer nicht mal anerkennen, dass wir ein Problem mit der Gleichstellung haben? Die Partner:innenwahl scheint für Frauen entscheidend bei der Frage, ob gleichberechtigte Familiengründung funktionieren kann und ob sie ihre Karriere mit Kindern (weiter-)verfolgen können. Das erhöht den Druck für alle, die mal Kinder wollen.

Apropos: Die Frage nach dem Kinderwunsch sollte man nicht leichtfertig im Smalltalk stellen. Kinderkriegen wird im Aufklärungsunterricht als natürlicher Prozess dargestellt, der einfach klappt. Ich weiss nicht, wer dieses Märchen erfunden hat, aber der Reality-Check zeichnet ein anderes Bild. Unfruchtbarkeit ist eine der häufigsten chronischen Krankheiten bei Menschen im gebärfähigen Alter. In der Schweiz werden knapp 3 Prozent der Lebendgeborenen mit In-vitro-Fertilisation gezeugt, also mit künstlicher Befruchtung. Ungefähr jedes fünfte Paar bleibt ungewollt kinderlos. Die Kinderwunsch-Frage ist also definitiv keine geeignete Floskel, die man mal so nebenbei an einem Apéro oder beim Familienfest fallen lassen sollte. Und wenn man das Thema diskutiert, dann sollte die Frage genauso den Männern gestellt werden. Denn zumindest biologisch ist an jedem Kind zur Hälfte ein Mann beteiligt.

Was muss sich ändern, damit wir jungen Frauen nicht mehr all die Nachteile in Kauf nehmen müssen, wenn wir uns für Kinder entscheiden? Einerseits brauchen wir ein Umdenken in der Gesellschaft. Es ist nicht cool, Väter für ihren Papi-Tag zu loben. Und die anderen sechs Tage der Woche sind Mami-Tage, oder wie? Wenn ein Vater sein Pensum für die Familie um 20 Prozent reduziert, wird das positiv hervorgehoben. Habt ihr schon mal gehört, dass einer Mutter hoch angerechnet wird, dass sie einen Tag weniger arbeitet, damit sie sich um ihre Kinder kümmern kann? Eben. In diesen scheinbar kleinen, aber bedeutsamen Momenten zeigt sich, wie gleichgestellt wir wirklich denken.

Amélie Galladé
Es geht nicht nur um uns Frauen, sondern um alle Geschlechter und um die nächste Generation.

Dann gibt’s noch die Systemebene, auf der wir so viel ändern müssen. Bezahlbare, qualitativ hochstehende Kinderbetreuung, die längst überfällige Individualbesteuerung – zu der nun immerhin der Nationalrat Ja gesagt hat – und ein faires Rentensystem für Teilzeitarbeitende sind nur einige Punkte. 

Es geht nicht nur um uns Frauen, sondern um alle Geschlechter und um die nächste Generation. Dass diese unter bestmöglichen Umständen aufwachsen und es dabei den Familien gut geht, das sollte in unser aller Interesse sein. Schliesslich steht auf der anderen Seite der Rechnung der unbemessbare Wert, den Kinder mit sich bringen.

Ich habe die Kinderwunschfrage diskutiert, ohne persönlich Stellung zu nehmen. Vielleicht erwartet die eine oder der andere von euch, dass ich nun die Frage für mich beantworte. Genau das werde ich aber nicht tun. Und du musst es auch nicht.