Wir fragen in dieser Rubrik Männer, was sonst nur Frauen gefragt werden. Wir wollen damit einen Dialog über Stereotypen in Gang setzen, zum Nachdenken und Schmunzeln anregen, aber auch Toxizität entlarven.
Christian Jungen hält sich fit, indem er 100 Tage vor dem Zurich Film Festival keinen Alkohol mehr trinkt. In den Männerfragen erzählt der ZFF-Direktor ausserdem, was er von Ken hält und welche seine liebsten Romcoms sind.
Der Redeanteil von Männern in Filmen ist ja historisch sehr tief, und dann geben sie auch oft bloss Banalitäten von sich. Was löst das bei dir aus?
(Stutzt, dann mit ernster Kritiker-Miene:) Filmszenen können auch ohne Worte unterhaltsam sein. Clint Eastwood gilt ja als mundfaul. Die Spaghetti-Western sind trotzdem Klassiker. Mann ist nicht nur ein guter Schauspieler, wenn man viel spricht, auch das Mienenspiel zählt. Bei Schauspielerinnen denke ich dabei beispielsweise an Jodie Foster.
Aber ja klar, der Redeanteil der Frauen in Filmen ist tiefer. Das ist historisch betrachtet einfach logisch, und es wird noch Jahrzehnte dauern, bis wir da Gleichstellung erreichen.
Das heisst, dass wir uns noch jahrelang muskulöse Actionheldinnen, erfolgsverwöhnte Businessfrauen und demgegenüber hysterische Hausmänner und blonde männliche Dummchen ansehen müssen?
Ich habe gerade «Barbie» gesehen. Da war Ken wirklich ein Dummchen. Das fand ich hilarious …
Apropos: «Barbie» oder «Oppenheimer»?
Beide sind toll! Aber an der Kinokasse schlägt «Barbie» «Oppenheimer», ein kolossales Männer-Biopic. Oder: Chick Flick haut den Nolan vom Thron. Das ist doch grossartig, dass wir da angelangt sind. Das ist Hollywood 2023, auch aus wirtschaftlicher Sicht sehr bemerkenswert! Ein feministischer Film bricht Umsatzrekorde. Ich war zuerst sehr skeptisch. Aber es ist guter, intelligenter Feminismus, nicht ein Opfer-Feminismus. Einer, der witzig den Spiess umdreht.
Würdest du gerne in Barbieland leben?
(Weiterhin ernst guckend:) Nicht wirklich. Aber der Film ist ein Gamechanger. Nach der teuren «Wonder Woman» nun eine feministische Produktion, die fast 150 Millionen Dollar verschlungen hat.
Wie schätzt du die popkulturelle Wirkung dieses Films auf junge Männer ein?
Die Wirkung ist sehr gross. Ob man es will oder nicht: Was man auf der Leinwand sieht, inspiriert, vor allem junge Menschen suchen sich dort ihre Vorbilder. Ich bin froh, dass meine Tochter nicht nur mit männlichen Animationscharakteren aufwachsen muss.
Eben. Aber seit Jahrzehnten flimmern die Leben von Frauen, dargestellt, produziert und angeschaut von Frauen über die Kinoleinwand. Fühlst du dich da nicht ein bisschen allein gelassen?
Doch! (Reisst die Augen auf und streckt den Rücken durch.) Ernsthaft. Ich verantworte auch das Kinderprogramm des ZFF. Die Produktion dieser Filme wird mit Fördergeldern gelenkt. Und nun beobachte ich hier eine Umkehr ins Gegenteil: Der weisse Vater ist oft nur noch das Arschloch, abwesend oder gewalttätig. Da wird nun zu viel Gegensteuer gegeben. Jetzt findet ein krasses Korrektiv statt, um es mit Freud zu sagen: ein kompensatorischer Überschlag ins Gegenteil. Es wird eine Art Rache an alten Verhältnissen genommen. Und das ist für niemanden gut, das ist auch nicht gut für die Frauen.
Aber deine Tochter will Mädchen mit mehr Redeanteil auf der Leinwand sehen.
Ja klar. Das wird sich auch ergeben, aber nicht wegen all der übertriebenen Diversity-Quoten, wie sie nun etwa von der Oscar-Academy erlassen werden. Sondern, weil es der Konsumentinnen-Kapitalismus richtet. Hollywood will Geld verdienen, und das verdient man, indem man auch Frauen anspricht.
Du selbst hast ja aber immer hohe Frauenanteile durchgesetzt.
Beim Zurich Film Festival hatte ich in meinem ersten Jahr 2019 mehr Regisseurinnen als Regisseure im Wettbewerb. Dies ist auch unserem Gremium geschuldet: Wir sind neun Leute, sieben Frauen und zwei Männer. Bereits als Kulturchef habe ich bewusst viele Frauen eingestellt. Für mich war offensichtlich, dass es ausgewogene Verhältnisse braucht, damit wir auch Frauen ansprechen können. Wenn man mehr Leserinnen erreichen will, dann muss man mehr Journalistinnen einstellen.
Wie geht es dir eigentlich damit, dass Männer im Film so oft als Lustobjekt inszeniert werden?
Diese ironisch gemeinte Frage ist gar nicht so abwegig. Sylvester Stallone in Rocky trägt nur immer ein Unterleibchen, damit man seine Muskeln sieht, genauso wie Bruce Willis in seinen Filmen. Ohne Sinnlichkeit wird der männliche Körper nicht inszeniert. Es ist nun mal so: Schöne Menschen sind seit der Erfindung des Kinos einer der Hauptgründe, warum das Publikum in die Säle strömt, und zwar beiderseits. Du gehst vielleicht ins Kino wegen Brad Pitt und ich wegen Monica Bellucci. Auf dem Cover meiner Doktorarbeit prangt Sharon Stone. Eine hochintelligente Frau, die schon immer im Driver Seat sass.
Schaust du lieber Romcoms oder Actionfilme?
Klar Romcoms. Und humanistische Dramen. Ich habe eher einen Frauengeschmack.
Deine Lieblingsfilme sind also «Rocky», «Top Gun» oder «Der Pate»?
Nein. «Before Sunrise» mit Julie Delpy. So habe ich übrigens auch meine Frau kennengelernt. Ich habe sie in einer Bar angesprochen, weil sie meiner Heldin aus dem Film ähnelt. Aber Rocky mochte ich, weil der Underdog sich durchschlägt. Als Winterthur Arbeiterkind kann ich mich damit identifizieren.
Was sind denn die besten Biopic-Movies über Frauen?
(Rutscht unruhig hin und her.) Hmm, ja ich weiss, worauf du hinauswillst, es gibt viel mehr Verfilmungen von Männerbiographien. Der Film «La nouvelle femme» über die italienische Kinderpädagogin Maria Montessori gefiel mir, aber auch Evita mit Madonna als Präsidentengattin
Du bist – ähnlich wie Ken in «Barbie» – auch ein sehr repräsentativer Mann, die Verpackung stimmt definitiv?
(Überrascht, dann gefasst:) Danke für das Kompliment.
Verrätst du uns dein Geheimnis? Mit welcher Diät bereitest du dich auf die Opening Night des ZFF vor?
100 Tage vor dem ZFF trinke ich keinen Alkohol mehr. Vor allem, um all diese Filme durchzustehen. Und die abendlichen Calls mit Leuten in LA. Ich muss geistig präsent bleiben. Der Vorteil daran ist, dass ich so jeweils zwei, drei Kilo abnehme. Es ist auch bei Männern unvorteilhaft, wenn das Hemd spannt. Ich stehe am Festival täglich vier bis fünf Stunden auf dem grünen Teppich, lächle und begrüsse die Filmteams.
Hat dir dein Aussehen den Job eingebracht?
Im Filmgeschäft ist gutes Aussehen bestimmt kein Nachteil. Aber ich denke, ich habe den Job als ZFF-Direktor eher wegen meiner Leidenschaft fürs Kino erhalten.