Es sei für sie momentan noch sehr schwierig, nur von der Musik zu leben, erzählt die Genfer Sängerin Shanna Danitsa Nurkic alias Danitsa. Sie wohnt noch bei ihren Eltern, eine eigene Wohnung könnte sie sich mit ihren Einnahmen nicht leisten; die finanziellen Förderungen und Preisgelder, die sie erhält, werden vollumfänglich in die Musik investiert. Ihr Tourbus ist ein kleiner Vierplätzer, und ohne ihr Team könnte sie das Leben als freischaffende Künstlerin nicht stemmen. Und das, obwohl die Musikerin 2018 und 2022 den Swiss Music Award als Best Act Romandie gewonnen hat.
Kampagne für mehr Sensibilität
Nurkic ist Teil der Kampagne «Zahl deine Künstler*in» der Fédération Genevoise des Musiques de Création FGMC, die auf die prekäre finanzielle Situation von Schweizer Musiker:innen aufmerksam machen will. Für die Kampagne hat die FGMC eine eigene Studie in Auftrag gegeben. Die grössten Probleme resultieren laut den Autor:innen der Studie daraus, dass viele Künstler:innen oft nur für einzelne, kurzfristige Engagements und wenige Monate lang fest angestellt werden – viele von ihnen sind aber auch nicht als Selbstständige angemeldet: Dafür müssten sie ein gewissen Einkommen als Selbstständige erzielen, das oft nicht erreicht wird. Das alles hat unter anderem zur Folge, dass für ihre Löhne oft keine oder nur die minimalen Sozialabgaben bezahlt werden – und dass im Umkehrschluss Schwarzarbeit noch immer verbreitet ist. Zudem haben die betroffenen Künstler:innen keine Ansprüche auf Arbeitslosengeld oder andere finanzielle staatliche Unterstützungen. Besonders für Frauen wiegen die kleinen oder wegfallenden Sozialabgaben schwer: Der Gender Pension Gap liegt in der Schweiz noch immer bei 34,6 Prozent. Wenn Frauen im Alter schon bei einem geregelten Einkommen im Erwerbsleben kaum über die Runden kommen, schlägt das Prekariat bei Künstlerinnen gleich doppelt zu. 2020 konstatierte eine Analyse des Bundesamts für Statistik: Nur rund jede vierte Frau in der Kulturbranche verdient genug, damit sie in die Pensionskasse einzahlen kann. Bei den Männern ist es immerhin jeder Dritte.
Sexismus, Mobbing, Lohnungleichheit am Arbeitsplatz? Absolute No-Gos, dennoch nehmen es viele Frauen hin. Das darf nicht sein. Deshalb ist es höchste Zeit für eine Rechtsschutzversicherung von Frauen für Frauen. Wehr dich.
Um sich über Wasser zu halten, müssen viele Kunstschaffende sich mit Nebenjobs etwas dazuverdienen. Dass die Löhne der Künstler:innen schockierend tief sind, zu diesem Schluss kam bereits 2016 die Einkommensstudie des Vereins Suisseculture Sociale: 60 Prozent der befragten Kulturschaffenden leben mit einem Jahreseinkommen von weniger als 40’000 Franken. Und das Genfer Künstler:innenkollektiv Rosa Brux erhob 2019 eigene Zahlen und kam zum Schluss, dass in der bildenden Kunst 72 Prozent der befragten Künstler:innen jährlich sogar weniger als 30’000 Franken verdienen – miteingerechnet sind die Einkünfte aus Nebenjobs.
Geregelter Lohn für Musiker:innen? Fehlanzeige!
Ein weiteres Problem zeigt sich bei den Anstellungsverhältnissen: Gerade in der Musikbranche sind klassische Arbeitsverträge selten. Eine Ausnahme bilden Musiker:innen in klassischen oder institutionalisierten Orchestern, hier sind unbefristete Verträge mit festen, den Branchenempfehlungen entsprechenden Löhnen die Regel. Der Lohn von Musiker:innen gleicht in aller Regel aber einem Puzzle: Neben Konzertgagen und Nebeneinkünften wie Stipendien, Preisen und Zuschüssen für die Plattenproduktion, Unterstützungen für Tourneen oder Ausstrahlungen, Anteile an Urheberrechten und Plattenverkäufen sind auch in der Musikbranche viele Künstler:innen auf Nebenjobs angewiesen. Die Einkünfte aus den Angestelltenverhältnisse erreichen den Minimallohn von jährlich 21’510 Franken für Einzahlungen in die Pensionskasse selten bis nie.
Auch in der ersten Säule haben viele Kunstschaffende Lücken, erklärt Béatrice Graf, Leiterin der FGMC, weil viele Arbeitgebende schlicht keine Abgaben bezahlen: «Eigentlich müssten Arbeitgeber:innen laut Bundesgesetz seit 1. Januar 2010 die AHV-Beiträge ab dem ersten Lohnfranken entrichten.» In der Praxis, so die Studie, wird diese Beitragspflicht aber oft umgangen. Häufig lassen die Arbeitgebenden die Kunstschaffenden eine Verzichtserklärung für die AHV-Beiträge – sogenannte «AHV-Entlastungen» – unterschreiben, ohne einen Nachweis für eine Selbstständigkeit zu fordern. In diesem Fall müssten die Künstler:innen diese Abgaben nämlich selbst bezahlen. Das Geld und somit ein Teil der Altersvorsorge für die betroffenen Künstler:innen geht also schlicht verloren. Auch hier: Gerade für Frauen ist diese Lücke besonders schwerwiegend.
Eine ECOPLAN-Studie von 2021 zeigt: Ein Drittel der selbstständigen Kulturschaffenden verfügt über gar keine Altersvorsorge und hat weder eine zweite noch eine dritte Säule noch Geld auf einem Sparkonto oder andere Anlagen. Und Künstler:innen, die Beiträge in die zweite Säule einzahlen, haben aufgrund ihres tiefen Einkommens kaum Chancen, jemals eine angemessene Rente zu erhalten – weil sie nur geringe Beiträge einzahlen können.
Coronakrise verschärfte Geldprobleme bei Künstler:innen
Die Coronakrise rückte auch in der Kulturszene die bereits vorhandenen Probleme unter ein Brennglas, beschreibt Béatrice Graf: «Viele meiner Kolleg:innen hatten kaum Geld auf der Seite, um zu überleben. Und es war ein wahnsinnig grosser administrativer Aufwand, sich um die Unterstützungsleistungen zu kümmern – wenn man sie denn überhaupt bekommen hat.» Die FGMC fordert deshalb, dass künftig ganz allgemein mehr Geld in die Musikbranche fliessen soll, wo es bis anhin an Mitteln fehlt. Immerhin: Auf Bundesebene tut sich etwas. Die Kulturbotschaft 2021–2024 des Bundesamts für Kultur sieht vor, dass der Bund künftig nur noch Zuschüsse an Projekte vergibt, wenn die Vergütungsrichtlinien der Dachverbände eingehalten werden. Das löst allerdings ein zentrales Problem nicht: In Genf fliessen momentan 87 Prozent der öffentlichen Gelder in die sogenannte Hochkultur, also zum Beispiel Institutionen im Bereich klassische Musik – die Populärkultur, also Rock, Pop, sowie Chöre und Blasorchester sind mit je 6 Prozent wortwörtlich arm dran. In den meisten anderen Kantonen sieht es ähnlich aus, sagt Béatrice Graf.
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Welche Lösungen für Kulturschaffende gibt es?
Neben der Umverteilung der öffentlichen Gelder haben die Studienautor:innen aber noch mehr Lösungsvorschläge. Die zentrale Forderung: Künstler:innen sollen in erster Linie den Status einer Arbeitnehmerin oder eines Arbeitnehmers erhalten. Hierzu gibts mehrere Ideenskizzen:
- Veranstalter:innen sollen die Kunstschaffenden wenn immer möglich direkt anstellen und die entsprechenden Sozialversicherungsabgaben für sie bezahlen.
- Die Künstler:innen sollten sich einem Dachverband anschliessen, der konkrete Empfehlungen für angemessene Löhne abgeben kann.
- Künstler:innen gründen ihre eigene Vereinigung, was die Überweisungen von Fördergeldern oder anderen finanziellen Zuschüssen vereinfacht. Diese müssen nämlich oft auf das Konto einer Organisation eingezahlt werden. Geleitet wird die Vereinigung von einem Präsidenten oder einer Präsidentin – nicht von den Künstler:innen selber.
- Auch möglich wäre ein Vereinsmodell, bei dem sich Vereine um die administrativen Aspekte der Erwerbstätigkeit eines/einer selbstständigen Künstler:in kümmern und etwa die Rechnungsstellung und die Zahlungen der Sozialabgaben übernehmen. Sobald die Kund:innen Geld auf das Konto des Vereins bezahlt haben, zahlt der Verein den Kunstschaffenden das Gehalt nach Abzug der Nebenkosten und der Betriebskosten des Vereins selbst. Ein Beispiel aus dem Bereich der Musik und der bildenden Kunst sind die Modelle von «Kling et Klung», einer in Genf ansässigen Einrichtung, die sich um die administrativen Aspekte der Erwerbstätigkeit von Künstler:innen kümmert. Ein weiteres Beispiel ist die belgische Genossenschaft «SMART», deren Ziel es ist, selbstständig Erwerbstätige, darunter auch Künstler:innen, von der administrativen, buchhalterischen und finanziellen Verwaltung ihrer Tätigkeit zu entlasten.
- In Genf hat sich noch eine fünfte Möglichkeit etabliert: der sogenannte «Chèque service». Private Arbeitgeber:innen können ihre Angestellten, etwa in der Reinigung, bei einer privaten Agentur registrieren. Die Agentur sorgt dafür, dass die obligatorischen Sozialversicherung sowie gerechte Löhne bezahlt werden. In der Deutschschweiz gibt es dafür «quitt». Dieses Modell wäre auch für Kunstschaffende anwendbar – weil auch sie oft auch für kurze Dauer engagiert werden.
Im Grundsatz wirft die Diskussion auch die Frage auf: Welchen Wert messen wir der Kunst ganz allgemein bei? «Für viele ist Musik ein Hobby, aber so viele Menschen leben davon», sagt Graf. «Und die müssen genug verdienen, um zu überleben – wie alle anderen Arbeitnehmenden auch.»