Pflanzenbasierte Ersatzprodukte sind endgültig auf dem Menu-Plan von Schweizer Konsument:innen angekommen. Der Detailhändler Coop spricht in einer aktuellen Studie gar von einem neuen Konsumtyp – den «Substitariern». Diese Konsumentengruppe ersetzt gelegentlich tierische Originale durch pflanzenbasierte Imitate, ohne sich dabei vollständig vegetarisch oder vegan zu ernähren. Ein Report des Bundes zeigt zudem: Im Schweizer Detailhandel hat sich der Umsatz mit Fleischersatzprodukten zwischen 2016 und 2021 verdoppelt.
Für die Umwelt ist das eine positive Entwicklung, denn die Viehwirtschaft macht weltweit rund 15 Prozent der vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen aus. Und selbst die umweltfreundlichsten tierischen Produkte haben laut Berechnungen der Universität Oxford höhere Auswirkungen aufs Klima als pflanzliche Ersatzprodukte.
Dennoch gehören tierische Lebensmittel bei den meisten Schweizer:innen nach wie vor auf den Speiseplan. Laut swissveg ernähren sich nur 4.7 Prozent der Bevölkerung vegetarisch oder vegan. Insbesondere der Konsum von Fleisch hat mit emotionalen Merkmalen wie Genuss und Freude zu tun.
Umweltfreundlich und geschmackvoll
Hier möchte das Start-up «Planted» mit seinem Fleisch aus Pflanzen ansetzen. Judith Wemmer ist in der Geschäftsleitung von Planted für die Produktentwicklung zuständig. Sie sagt: «Wir wollen Flexitarier ansprechen, die in ihrem Alltag den tierischen Fleischkonsum reduzieren wollen, ohne dabei beim Genuss einen Kompromiss einzugehen.»
Bekannt wurde Planted mit seinem Poulet aus Erbsen, welches anfangs 2020 in die Regale von Coop kam. Seither ging die Nachfrage durch die Decke – Planted ist mittlerweile in sechs Ländern vertreten, bedient über 2000 Restaurants und hat seine Produktepalette um drei weitere Fleischersatzprodukte erweitert. Bei Coop macht der Anteil des veganen Poulet-Geschnetzelten im Vergleich zum tierischen Original bereits 9 Prozent aus – das dürfte mehrheitlich Planted zu verdanken sein. Wemmer, die an der ETH in Lebensmittelverfahrenstechnologie doktoriert hat, erklärt: «Durch unsere Bekanntheit als ETH-Spin-off konnten wir einen Hype generieren und viele neue Konsument:innen auf die Produktkategorie Fleischersatz heben. Die Schweizer Kundschaft ist offen für Neues und nicht so preissensitiv – deshalb ist der Markt perfekt für die Einführung neuer Produkte.»
Das Poulet von Planted besteht aus natürlichen Zutaten und enthält im Vergleich zu vielen anderen Fleischersatzprodukten weder Konservierungs- noch Aromastoffe. Wemmer sagt: «Der Produktionsprozess von Fleisch ist sehr ineffizient. Das Futter von Tieren braucht viele Ressourcen, wobei nur ein Bruchteil davon in Muskelfleisch weiterverarbeitet wird. Bei Planted verarbeiten wir proteinreiche Rohstoffe durch ein Extrusionsverfahren direkt in eine faserige, fleischähnliche Struktur.» Gemäss Berechnungen von Eaternity werden mit dem Pflanzen-Poulet 74 Prozent weniger CO2-Äquivalente ausgestossen als bei der konventionellen Fleischproduktion. «Unser Hauptabdruck entsteht durch Rohmaterialien, die wir momentan aus Westeuropa beziehen. Wir brauchen qualitativ hochwertige Erbsen, damit wir unsere Produkte ohne Zusatzstoffe herstellen können. Diese sind leider noch nicht in den richtigen Mengen und der richtigen Qualität in der Schweiz verfügbar», so Wemmer.
Hafermilch gewinnt im Öko-Test
Ebenfalls eine Food-Innovation auf den Markt gebracht hat Marie Tuil. Die Journalistin und Entrepreneurin hat vor einem halben Jahr das Start-up «Haferdrinkkonzentrat» gegründet. Gemeinsam mit ihrem Partner produziert sie Hafermilchkonzentrat, welches Konsument:innen mit Wasser anreichern können. Sie erklärt: «Unsere Familie hat vor zwei Jahren auf Hafermilch umgestellt. Wir haben festgestellt, dass diese zu 90 Prozent aus Wasser besteht. Wozu dieses ganze Wasser verpacken und transportieren, wenn es zu Hause aus dem Wasserhahn kommt?» Inspiriert wurde Tuil von einem Unternehmen, welches Saftkonzentrate herstellt. Erste Experimente führte sie in der eigenen Küche durch, bevor sie in der industriellen Küche eines Kollegen schliesslich die Lösung fand. «Momentan machen wir die Herstellung des Konzentrats noch selbst und verkaufen es über unseren Onlineshop», sagt sie.
Gesamthaft beträgt der Marktanteil von pflanzlichen Milchalternativen in der Schweiz erst fünf Prozent, doch insbesondere die Nachfrage nach Hafermilch befindet sich auf Wachstumskurs. Tuil begrüsst diese Entwicklung, denn gemäss einer Studie der Universität Oxford schneidet Hafermilch bei diversen Umweltaspekten im Vergleich zur Kuhmilch und anderen Pflanzendrinks gut ab. Bei allen pflanzenbasierten Milchalternativen entstehen deutlich weniger Treibhausgasemissionen als bei der Kuhmilch, was mit dem hohen Methan-Ausstoss von Kühen zu tun hat. Allerdings hat Milch auf Reis- oder Mandelbasis einen hohen Wasserverbrauch und Soja wird hauptsächlich aus dem Ausland importiert. Tuil fügt hinzu: «Mit unserem Konzentrat können wir zusätzlich sowohl die Verpackung als auch die Transportbelastung um 90 Prozent reduzieren.»
Wettbewerbsvorteile für Tierprodukte
Nochmals zurück zum Planted Chicken: Hier führt der Import von ausländischen Rohstoffen zu grossen Nachteilen in der Preissetzung. Judith Wemmer sagt: «Momentan ist es so, dass auf den Import von Tierfutter kaum Zölle gezahlt werden, jedoch auf den Import von Proteinen für die menschliche Ernährung schon.» Nicht nur das verzerrt ihrer Meinung nach den Wettbewerb zwischen pflanzenbasierten Ersatzprodukten und Fleisch. «Auch in der Schweiz erhalten Bauern für den Anbau von Erbsen, die fürs Tierfutter verwendet werden, Subventionen. Werden die Erbsen hingegen für den menschlichen Verzehr verwendet, gibt es keine Unterstützung.»
Der Bund will dieses Problem nun mit einem landwirtschaftlichen Verordnungspaket angehen. In einer Medienmitteilung schreibt das Bundesamt für Landwirtschaft, dass Bauern künftig auch für den Anbau von Eiweisspflanzen zur menschlichen Ernährung staatliche Unterstützung erhalten sollen. Eine zwingend nötige Entwicklung, findet Wemmer: Damit pflanzliche Ersatzprodukte zu einem fairen Preis verkauft werden können, müssen sich diese Rahmenbedingungen ändern.
Die Denkfabrik «Vision Landwirtschaft» kommt in einer Studie zu einem ähnlichen Schluss. Eine Aufschlüsselung der Kostenträger zeigt, dass es je nach Produktkategorie grosse Unterschiede gibt. Während die Konsument:innen von Rindfleisch einen Drittel der Kosten tragen, sind es bei Geflügel drei Viertel, bei Gemüse 80 Prozent. Grund dafür ist, dass der Bund die Produktion von tierischen Produkten finanziell unterstützt, beispielsweise durch Marketinggelder für die Fleischindustrie. Auch die Milchindustrie profitiert von Staatsgeldern, so wird die Verkäsung von Milch subventioniert. Für die Founderin Marie Tuil ist das unverständlich: «Der Staat verschafft dadurch Produkten, die schädlich sind fürs Klima, einen Wettbewerbsvorteil. Dies führt dazu, dass Konsument:innen nachhaltige Güter als teuer wahrnehmen.»
Mehr als ein Fleischersatz
Um die Grundlagen auf politischer, regulatorischer und gesellschaftlicher Ebene zu verbessern, hat Planted zusammen mit anderen Unternehmen 2021 einen Verband für alternative Proteinquellen gegründet. Wemmer sagt: «Die Namensgebung von Fleischalternativen ist ein grosses Thema. Interessensgruppen aus der Fleischindustrie haben ein Problem damit, dass unser Planted-Produkt Poulet genannt wird, obwohl es nicht vom Tier stammt. Das ist unsinnig, denn beim Fleischessen geht es nicht darum, dass man ein totes Tier isst, sondern um den Proteingehalt, den Geschmack, die Textur und den Genuss – das können wir mit unseren Produkten genauso erreichen.»
Planted möchte nicht nur mit tierischem Fleisch mithalten können, sondern besser sein. «Das Ziel ist es, dass unsere Produkte nicht mehr als Fleischersatz gesehen werden. Nur so erreichen wir die grosse Masse», sagt Wemmer. «Wir wollen auch grössere Stücke Fleisch produzieren – beispielsweise Steaks. Diese sollen saftig, geschmackvoll und reich an Proteinen sein sowie einen guten Biss haben.»
Marie Tuil plant mit ihrem Start-up ebenfalls bereits den nächsten Schritt. «Aufgrund der grossen Nachfrage nach unserem Hafermilchkonzentrat sind wir schon auf der Suche nach einem Partner für grössere Produktionsmengen.» Allerdings möchte Tuil das Produkt auch künftig ohne grosse Marge über den eigenen Webshop verkaufen, statt auf Detailhändler und Grosshändler zu setzen.